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Claudia Klinger
An Rolf Todesco:

Hypertext als Lebensform - Wie linken?

Rolf Todesco bei seinem Vortrag Hyperkommunikation: Schrift-Um-Steller statt Schriftsteller
 
Lieber Rolf,

zu meinem Artikel Sollen wir auf englisch webben - in Sorge um die Psyche der Amerikaner fragte mich Oliver Gassner, ob er einen Beitrag zum Thema "Übersetzen" einbringen könne, vielleicht einen Vorspann. Ich schrieb ihm: GERN! Aber das Einlinken müsse er mir überlassen, zumindest würde ich für einen VORSPANN zu meinem Artikel keinen Blankoscheck ausstellen.
 
Warum ich Dir das schreibe? Weil es das Hauptproblem des Hypertexts anspricht:
Wer linkt? Wie linken wir zusammen?

Nicht das Verfassen von Text- bzw. Medieneinheiten ist schwierig, sondern die Frage der Verbindungen. In Ausführungen über Hypertext wird darauf nur selten eingegangen, und wenn, dann nur in Bezug auf die Erwartungshaltung eines "Lesers": Wie reagiert er auf den Link? Muß man ihm nicht Hilfestellung leisten, etwa durch ein Zeichensystem, durch Link-Kategorisierungen, durch Erläuterungen und vieles mehr.
 
Bevor der Leser, so er noch manchmal vorbeikommt, sich aber fragen kann, was hinter dem Link ist, muß jemand ihn gesetzt haben. Ich bestehe nicht darauf, ihn oder sie Autor/in zu nennen. zumal die Probleme erst beginnen, wenn es sich um mehrere handelt.
 
Am Tag nach der Rückkehr von unserem wunderbaren Symposium schlug mir Michael Charlier vor, uns ein wenig über die angedachten Webseiten abzustimmen. Da in mir der "Geist von Romainmotier" noch sehr virulent ist, fühlte ich mich frei, das erst einmal abzulehnen. Denn ich war bereits intensiv beschäftigt mit meinem Text (s.o.). Auf dem Symposium angestoßene Gedanken hatten sich auf der Zugfahrt entwickelt und drängten ins Web. Die wunderbare Art, wie Martina erzählt hatte, wie sich im Rahmen ihres Tango-Projekts Schwaben und Spanier ausgetauscht hatten, hatte mich ermutigt, auch mal den Amerikanern die Stirn zu bieten.
 
Mein Vorhaben, "was zum Symposium zu machen", hat sich also blitzschnell verwandelt in den Versuch, es einfach weitergehen zu lassen. Und das Problem der Verlinkung werde ich eben in jedem Einzelfall zu lösen versuchen - vielleicht braucht es ja gar keine Regeln?
 
Regeln? Oder wie?

Die Mitschreibprojekte, die ich Euch gezeigt habe, funktionieren nach festen Regeln. Andere hatten nur die Wahl, auf EINE ganz bestimmte Weise teilzunehmen. Zwar entwickelten sich die Regeln im informellen Mailgespräch durchaus weiter - aber nach aussen war immer eine von mir vorgegebene Struktur sichtbar (Wörterwald, Beim Bäcker, Webgespräch).
 
Als ich das leid war, gab es im nächsten Text (Vom Glück, Work in progress) gar keine Regeln mehr, doch auch keine Versprechen. Ich setzte eingehende Beiträge regelmäßig in ein Kommentarfenster (damit wurden sie "Teil meines Werks"), oder ich linkte raus aus meiner Struktur zu fremden Webseiten - damit war das DRAUSSEN definiert. Zwar hatte ich eine diffuse Einladung in die Welt geschickt, aber es war klar, daß ich auch ganz ohne Resonanz weiterwebben würde.
 
Was dabei herauskam ist, wenn man es sich im "Real Life" denkt, so etwas wie ein Vortrag mit Zwischenfragen und aufkeimender Diskussion, Nachdem ich die Pausenwerbung, die Lyrik-Einlage, und die autobiografische Kurzerzählung eingelinkt hatte, wurde mir das auf immer gleiche Weise "regellose" auch langweilig.
 
Beide "Epochen" meiner Verlinkungserfahrungen mit andern kranken daran, daß ich die Form vorgebe, dass ich die Herrin der Links bin: einmal durch feste Regeln, einmal durch kreative Willkür. Auf der Ebene der Inhalte bin ich "gemeinsam" in den so entstehenden Hypertexten - aber auf der entscheidenden Ebene der Verlinkung bin ich allein. (Das Projekt "Webgespräch" gibt zwar jedem Teilnehmer die Macht, alleine über Links auf seiner Seite zu entscheiden, jedoch muß die FORM eingehalten werden...sonst wäre es aus mit dem Webgespräch - oder doch nicht?).
 
So viele Solo-Tänze...
 
Natürlich ist die Geschichte der Regeln leicht zu verstehen: da jeder normalerweise auf "SEINEN SEITEN" macht, was er will, passen diese Medieneinheiten kaum je zusammen. Sie sprechen nicht miteinander, sondern jeder hält eine Rede, tanzt den eigenen Solo-Tanz. Zudem gestaltet jeder ganz nach eigenem Vermögen und Geschmack - und ein Luxusliner und ein Schlauchboot können einfach schlecht aneinander andocken (zwei Luxusliner erst recht nicht!).
Erst die Regeln, die gemeinsame Selbstbeschränkung, ja Gruppenaskese, gestatten ein Miteinander. Oder die Ermächtigung eines Einzelnen zur Willkür - wer das nicht mag, braucht ja nicht mittun.
 
Ich suche allerdings etwas anderes, sonst würde ich nicht ein ums andere Mal Projekte starten.
 
Die alte Methode aus dem realen Leben: Besprechungen abhalten, Verhandeln, Beschlüsse, womöglich Linkrichtlinien und Linkpolitik - nein danke! Daran hab' ich schon lange aufgehört zu glauben und meinen letzten Real-Life-Job mit Freude verlassen. Die althergebrachte Weise des Zusammenwirkens, die moderne, oberflächlich demokratische, hat einen so geringen Wirkungsgrad (der offenbar immer noch weiter sinkt), daß er sich für lebendige Webprojekte nicht eignet.
 
Das Treffen in Romainmotier hat mir Hoffnung gemacht. Mir ist klar geworden, daß die einfachen Regel-Projekte vielleicht nur eine Zeiterscheinung sind - sinnvoll, solange viele die Sprache der neuen Medien erst erlernen müssen. Vielleicht wird alles anders, wenn es viele Leute gibt, die vielfältig webben können und sie nach einigen Solotänzen beginnen, mehr miteinander zu machen. Es fängt ja schon an vielen Stellen an.
 
Doch nicht nur Medienkompetenz ist gefragt: neben der Verlinkung kommt es auch auf den Inhalt an. Viele Webseiten haben keinen richtigen Inhalt, man sieht nicht, was das Kerninteresse desjenigen ist, der diese Medieneinheit verfaßt hat. Auch nicht, wenn er 10 Hobbies angibt! Das Finden des je eigenen Kerninteresses ist jedoch kein Hypertextproblem, sondern ein menschliches. Junge Menschen können es z.B. noch garnicht gefunden haben (von seltenen Ausnahmen abgesehen), weshalb es wenig nett ist, über ihre mangelnde Entschlußkraft, ihre Zweifel zu lästern.
 
Da das Web zu stetem Output verführt, ist es immerhin ein Spitzen-Versuchsfeld, um das Kerninteresse auszuexperimentieren. Die Sprache gibt uns einen Hinweis: der Inhalt heisst ja neuerdings CONTENT. Nur das, was uns contento macht, können wir also zu einer guten Medieneinheit verwebben. Und wenn wir das können, ist vielleicht auch der Rest kein Problem mehr.
 
Besten Gruß von
Claudia Klinger
 


 

Dieser Text ist inspiriert vom Symposium DIGITALER-DISKURS in Romainmoitier (CH), zu dem in allernächster Zeit noch mehr Seiten entstehen werden. Auf der Seite "Symposium - Hypertext als Lebensform" (...bald!) werde ich sie alle aufführen, zusammen mit Verweisen auf im gleichen Spannungsfeld entstandene Arbeiten anderer Teilnehmer. Das Symposium war eine singuläre Mischung aus Vorträgen, lockeren Werkpräsentationen, spannenden Diskussionen, amüsantem Geplauder, unvergeßlich gutem Essen & Trinken, geistvoll restaurierten Gebäuden und einer beeindruckenden Umgebung. Ca. 24 erstaunliche Individuen aus der Schweiz, Österreich und Deutschland gerieten in produktive Resonanz und knüpften viele neue Knoten, die man bald auch im Web sehen wird. Zu danken haben wir den Veranstaltern vom Kulturprozent der MIGROS-Genossenschaft , Dominik Landwehr, Veronika Sellier und Beat Suter. Sowie den Schweizern überhaupt, daß sie in diesen Zeiten so etwas ermöglichen und erhalten wie ein "Kulturprozent".

 

Der Text läßt sich zusammenschieben, damit er in eigene und fremde Frame-Konstruktionen paßt. Die Verwendung in kommerzieller Umgebung ist damit allerdings nicht gestattet, sondern bedarf im Einzelfall meiner Zustimmung. Claudia Klinger.