Ich kenne niemanden, der diesen Wunsch nicht teilt: nicht mehr selbst für sich sorgen können, auf Hilfe Anderer angewiesen sein, sich womöglich nicht mal mehr selber waschen und eigenständig aufs Klo gehen können: das erscheint als der größtmögliche Horror, an den die meisten lieber gar nicht erst denken wollen.
Dann lieber rechtzeitig abtreten. Auch das ist ein verbreiteter Gedanke, aber mal ehrlich: wer ist denn wirklich so konsequent, sich die Mittel rechtzeitig zu besorgen (und wie?) und dem blassen Gedanken Taten folgen zu lassen? Z.B. beim typischen Oberschenkelhalsbruch, der für viele alte Menschen das Ende ihrer Selbständigkeit bedeutet. Wo wäre da überhaupt noch Gelegenheit dazu? Und: Will man das dann noch, wenn’s wirklich soweit ist?
Auch ist der Eintritt der Pflegebedürftigkeit oft ein schleichender Prozess: Man hofft vermutlich recht lange, die gerade aktuellen Einschränkungen würden sich wieder bessern, man klammert sich an ensprechende Beispiele und will nicht wahrhaben, dass eine Besserung nicht wahrscheinlich ist. Ist es nicht so?
Diejenigen, die Verwandte pflegen, sich ehrenamtlich engagieren oder gar einen Beruf in der Pflege ausüben, werden das besser wissen als ich. Ich weiß nur von meiner Mutter, die auf keinen Fall in ein Pflegeheim wollte. Sie lebte im Haushalt meiner Schwester und war noch nicht durchweg bettlägerig. Sie konnte noch aufstehen, litt aber sehr darunter, kaum mehr etwas im Haushalt tun zu können. Wollte ihre zunehmende Gebrechlichkeit nicht wahrhaben und war alles andere als dankbar oder auch nur freundlich im Umgang – ganz im Gegenteil! Ich hatte einfach „Glück“, vor vielen Jahren schon weit weg gezogen zu sein. So wurden von mir nur recht seltene Besuche erwartet, wobei die auch mehr meinem eigenen Gefühl geschuldet waren. Ich hatte nicht den Eindruck, dass meine Mutter mich gerne öfter gesehen hätte – ganz ohne dass wir beide einander irgendwie bös gewesen wären. Im Gegenteil, da war immer alles friedlich, wir hatten uns im Grunde lange schon nichts mehr zu sagen.
Sie starb sehr schnell zu dem Zeitpunkt, als ein Wechsel ins Pflegeheim unvermeidlich wurde. Auch meine Großtante, die mit 96 immer noch recht rüstig war, starb binnen zwei Tagen, als sie nach einer plötzlichen Einlieferung ins Krankenhaus („irgendwas mit dem Magen“) erfuhr, dass ihre ebenfalls alte Nachbarin die seit vielen Jahren freiwillig geleisteten Hilfen nicht mehr erbringen wollte. Das Pflegeheim wäre unausweichlich gewesen, für sie war das jedoch nach 60 Jahren (!) allein in ihrer Wohnung nicht vorstellbar.
Mein Vater fuhr noch mit Mitte 70 jeden Sommer mit dem Wohnmobil und seiner dritten Frau fröhlich quer durch Europa. Bis er sich eines Tages in Ungarn sehr schlecht fühlte, so dass er die Reise abbrach und nach hause ins Krankenhaus fuhr. Diagnose: Krebs mit Metastasen überall. Es dauerte noch sechs Wochen, dann war er tot.
Es scheint, man stirbt in meiner Familie lieber, als zum „richtigen“ Pflegefall zu werden. Und angesichts dessen, was man vom Leben und „dahin vegetieren“ in den Heimen hört, ist das sehr nachvollziehbar – ich würde mir das ganz genauso wünschen.
Je älter man wird, desto weniger mag man Veränderungen. Der Übergang in eine völlig fremde Umgebung, in einen klinisch durchorganisierten Massenbetrieb mit der wohnlichen Atmosphäre einer Vorhölle gibt vermutlich einer Menge bis dahin noch halbwegs „bei sich“ gewesener Menschen psychisch den Rest. Und was man von all diesen Einrichtungen immer mal wieder in der Presse liest, dient nicht gerade der Beruhigung: wund gelegene Körper, zwangsernährt durch die Magensonde (in manchen Heimen muss man schon bei Eintritt darin einwilligen!) – ich spar mir jetzt die Sammlung weiterer grusliger Details.
Wie denkt Ihr darüber, so ganz persönlich? Statistisch gesehen bin ich mit Mitte 50 noch lange nicht „dran“ – aber anders als früher denke ich schon öfter mal ans eigene Alter, an den möglichen Verlust meiner Selbständigkeit. Und damit auch an die JETZIGE Situation der Menschen, die nicht mehr eigenständig leben können.
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49 Kommentare zu „Bloß nicht pflegebedürftig werden!“.