Auf der Suche nach etwas ANDEREM bin ich heute auf einem interessanten Blog gelandet. Es hat gleich drei Namen, was für einen gewissen Chaotismus spricht, der mir symphatisch ist: da ignoriert jemand einfach all die vermeintlichen Erfordernisse heutiger Suchmaschinen-Auffindbarkeit und stromlinienförmigen Anpassung an die „Marke“, zu der das allzu verstreute „Ich“ online gefälligst zusammenzufassen (und ins beste Licht zu rücken) sei.
Im Dateinamen heißen die erstaunlichen Webseiten „Hinterwaldwelt“, im Titel (=ganz oben im Browser) steht „die hermetische Garage“, und in der jede Seite zierenden Header-Grafik prangt in riesigen Lettern das mir völlig unbekannte Wort „Quixiot“.
Drauf gekommen bin ich über den weisen Rat, den ein „Hardy“ (4.Name) unter dem verzweifelt-engagierten Artikel „Revolutio…oooh, ein Eichhörnchen!“ der Verfasserin gab:
wie kann ich dich aufmuntern?
im grunde nur so: wir mussten damit _leben_, daß die welt um uns herum von einer minute auf die andere in schutt gelegt werden könnte, dieses mittelstreckenraketending, du weisst schon, 3 1/2 minuten und so, über 200 fehlalarme im jahr. das konnte einen ganz schön kirre machen, war ja nicht “nur so ein gedanke”, die lagen ja um die ecke …
in der situation habe ich mir folgendes gesagt: du hast zwei möglichkeiten – entweder du bist davon überzeugt, daß ES passiert, jammerst die nächsten jahre oder du sagst, ES passiert nicht und tanzt halt ein bißchen auf dem vulkan (um hans-a-plast zu bemühen). wenn es passiert, hast du keine zeit, deinen irrtum zu bereuen und die anderen keine mehr bei dir vorbeizudackeln, und dir das auf die nase zu binden. aber du hast dich wenigstens die ganze zeit über wohlgefühlt und die anderen sich schlecht wegen der ganzen paranoia.
Mich hat das gleich mehrfach berührt: ein Gleichaltriger mit einer ähnlichen „Bewegungsgeschichte“! Ein Rat, den ich selbst auch heute mehr beherzigen sollte, wenn ich die täglichen Kassandra-Rufe vom nahenden Crash lese, den „Wahlkampf“ in Zeiten der Alternativlosigkeit mitbekomme, mich über den massiven Demokratie-Abbau und zunehmend totalitäre Überwachung aufrege. Nicht zu vergessen den fortschreitenden Raubbau an der Umwelt, den Wachstumszwang und und und – eigentlich dürfte ich aus der Aufregung gar nicht mehr raus kommen, aber: WAS HILFTS?
Erzählen, Erfahrungen weiter geben?
Halt, nicht abschweifen! Als Drittes fand ich es bemerkenswert, dass hier mal jemand deutlich als Älterer spricht, auf die eigenen Erfahrungen in der Vergangenheit hinweist und offenbar tatsächlich glaubt, das wolle jemand unter 50 lesen. Mir hält das den Spiegel vor: Warum schreibe ich fast nie über „damals“? Damals in den 70gern und 80gern ist jede Menge passiert und vielfach war ich mitten drin, war auf vielerlei Feldern engagiert: gemeinsam besser leben, freier lieben, anders wirtschaften, sich gegen „die da oben“ wehren, Geschlechtsrollen hinterfragen, nach Erleuchtung suchen, das Bewusstsein verändern, Frieden schaffen, die Welt verbessern und wenn das nicht gleich klappt, wenigstens mich selbst….
Offenbar scheue ich all diese Erzählthemen, denn ich möchte nicht wirken wie mein Opa und meine Großtante mit ihren ewigen Geschichten von „damals im Krieg“. Zudem glaube ich, dass sich gemachte Erfahrungen nicht wirklich vermitteln lassen, jede Generation muss erneut „das Unmögliche versuchen“, auch wenn sie damit vielfach scheitert.
Trotzdem freut es mich, dass es Menschen gibt, die das nicht anficht! Die nicht mal davor zurück schrecken, ihre Archive auszupacken, der Welt wilde Compuserve-Webseiten mit „versteckter Navigation“ zu zeigen, sowie frühere Alternativmedien („Liebe“) und extra gescannte Artikel mit Gesprächen von Größen wie Timothy Leary über „höhere Intelligenz“ – wer Zeit und Muße hat, lese selbst.
Auf vielen Seiten dieses Blogs finde ich Elemente gemeinsamer Vergangenheit: die Musik, gewisse Literatur, die damals so widerständlerische Rock- und Popkultur, das Sehnen nach dem ganz Anderen, grenzüberschreitenden… Gleichzeitig bloggt Hardy auch über Aktuelles, das die Blogosphäre (und manchmal die Welt darüber hinaus) bewegt. Meist locker daher plaudernd, immer mal wieder abschweifend, jedoch im Unterschied zu vielen Anderen – gerade bei brisanten Themen – erstmal von sich erzählend: vom eigenen Erleben, der eigenen Geschichte.
So etwa im Artikel „der „maskulinismus“ & seine folgen“, der mit dem provozierenden Satz beginnt:
„ich weiss ja nicht wie es dir geht, aber ich find‘ männer scheisse.“
Genug für jetzt. Ich hab‘ mich dort festgelesen und werde die „Hermetische Garage“ in Zukunft öfter besuchen. Wer das auch mal machen will, möge sich von der etwas beschwerlichen Navigation und Zugänglichkeit nicht abschrecken lassen. Gegenüber dem versteckten Link auf einem Würfelsegment (wie auf der Compuserve-Seite) hat Hardy ja durchaus Fortschritte gemacht. :-)
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3 Kommentare zu „Vergangenheit bloggen ohne die Gegenwart zu vergessen – ein Blog mit drei Namen“.