Jeden Tag gibt es – eigentlich – unzählige Themen, über die ich etwas schreiben könnte, sollte, wollte. Aber angesichts der Fülle schlechter Nachrichten fühl‘ ich mich irgendwie paralysiert. Das Erstarken der Rechten in vielen Ländern und auch hierzulande macht mir Angst. Dass sich so viele in die Arme jener werfen, die „einfache Lösungen“ für komplizierte Probleme versprechen, untergräbt meinen Glauben an die Menschen, an den Sinn rationaler Argumente und die Machbarkeit guter Gespräche.
Die Verrohung öffentlicher Verlautbarungen tut ein Übriges, um mir die Hoffnung auf intellektuell redliche Debatten zu nehmen. Fassungslos höre und lese ich immer wieder Berichte über Mail-Fluten voller Hass und sogar Morddrohungen gegen Menschen, die sich der Entsolidarisierung entgegen stellen, die den „Wutbürgern“ in der jeweiligen Sache widersprechen und den Weg in die Ausgrenzungsgesellschaft nicht mitgehen.
Ja, es gibt massenhaft Gründe, aktuelle Zustände zu kritisieren und all jene, die sie politisch zu verantworten haben. Allerdings ist der Glaube, irgendwelche Funktionäre „da oben“ könnten, wenn sie denn nur wollten, alle erdenklichen Missstände in Wirtschaft und Gesellschaft mal eben zum Besseren wenden, extrem naiv. Das konnte früher nicht mal der Kaiser!
Und so kehrt die Klage immer wieder, dass einstmals engagierte Leute „korrumpiert“ würden, sobald sie in Machtpositionen angekommen sind. Das mag manchmal so sein, doch viel wesentlicher ist etwas anderes: Wer Verantwortung übernimmt, lernt ganz schnell zwei Dinge: Dass man das nötige Geld nicht drucken kann und dass das Kapital flüchtig ist. Wenn wir ihm nicht genug dienen, haut es einfach ab und sucht anderswo seine Profite. Allein mit gutem Willen ändert man daran nichts.
Nach unten treten, nach oben buckeln
Dass ich die Politik vor der Wutbürger-typischen Vermutung absoluter Macht in Schutz nehme, heißt nun nicht, dass es nichts vorzuwerfen gäbe. Es findet ein Verteilungskampf statt, in dem sich die immer schon Privilegierten zu Lasten „derer da unten“ vornehmlich drum kümmern, selber nichts abgeben zu müssen, sondern sich weiter wie gewohnt zu bereichern. Die Lasten der Globalisierung sollen bittschön andere ausbaden.
Katarina Nocun hat es gut in Worte gefasst:
Wir sind Exportweltmeister. Uns geht es so gut wie nie zuvor. Wir sind die Champions Europas. Aber wer ist eigentlich wir? Der Durchschnittsverdiener, der mitgeteilt bekommt, dass seine Rente für nichts reichen wird? Die Alleinerziehende, die sich von Monat zu Monat durchschlägt und abends auf der Couch erschöpft und traumlos einschläft? Die Pflegerin, die insgeheim hofft niemals bei ihrem Arbeitgeber in Pflege gegeben zu werden, weil längst nach Minuten und nicht nach Bedürfnissen abgerechnet wird? Die Wahrheit ist doch die: Deutschland sagt nicht Sorry für die Agenda 2010. Für Rentenkürzungen. Für Riester-Disaster. Denn Deutschland geht es doch so gut. Nur wird für viele immer klarer: Wir sind nicht dieses Deutschland. Und werden es auch nie sein.
Ein Gespenst geht um in Europa. Es ist die nackte Angst. Die Angst vor sozialem Abstieg. Die Angst vor Konzernen, die sich wie Staatschefs aufspielen. Die Angst vor Globalisierung. Diese vermeintlich höhere Naturgewalt muss als universelle Rechtfertigungs-Strategie herhalten. Und es wird kalt in Europa. Denn aus Angst treten wir nach unten. Gegen „Wirtschaftsflüchtlinge“. Gegen „spätrömische Dekadenz von Sozialempfängern“. Gegen „gierige Rentner“. Und „faule Studenten“. Und lassen mal so richtig Dampf ab. Ohne zu merken, dass wir dadurch nach oben buckeln. Und das Hamsterrad sich immer schneller dreht. Am Ende kann man sich nicht einmal mehr beklagen. Denn den Sozialstaat tragen wir mit diesen Scheuklappen selbst zu Grabe. Dabei sind wir sehr produktiv. Sehr gründlich. Sehr deutsch.
Wie wahr! Nur dem „wir“ am Ende widerspreche ich.
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Update: bei CARTA grade gute Tipps gegen Rechtspopulisten gelesen.
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5 Kommentare zu „Düstere Perspektiven“.