Claudia am 24. Mai 2016 —

Düstere Perspektiven

Jeden Tag gibt es – eigentlich – unzählige Themen, über die ich etwas schreiben könnte, sollte, wollte. Aber angesichts der Fülle schlechter Nachrichten fühl‘ ich mich irgendwie paralysiert. Das Erstarken der Rechten in vielen Ländern und auch hierzulande macht mir Angst. Dass sich so viele in die Arme jener werfen, die „einfache Lösungen“ für komplizierte Probleme versprechen, untergräbt meinen Glauben an die Menschen, an den Sinn rationaler Argumente und die Machbarkeit guter Gespräche.

Die Verrohung öffentlicher Verlautbarungen tut ein Übriges, um mir die Hoffnung auf intellektuell redliche Debatten zu nehmen. Fassungslos höre und lese ich immer wieder Berichte über Mail-Fluten voller Hass und sogar Morddrohungen gegen Menschen, die sich der Entsolidarisierung entgegen stellen, die den „Wutbürgern“ in der jeweiligen Sache widersprechen und den Weg in die Ausgrenzungsgesellschaft nicht mitgehen.

Ja, es gibt massenhaft Gründe, aktuelle Zustände zu kritisieren und all jene, die sie politisch zu verantworten haben. Allerdings ist der Glaube, irgendwelche Funktionäre „da oben“ könnten, wenn sie denn nur wollten, alle erdenklichen Missstände in Wirtschaft und Gesellschaft mal eben zum Besseren wenden, extrem naiv. Das konnte früher nicht mal der Kaiser!

Und so kehrt die Klage immer wieder, dass einstmals engagierte Leute „korrumpiert“ würden, sobald sie in Machtpositionen angekommen sind. Das mag manchmal so sein, doch viel wesentlicher ist etwas anderes: Wer Verantwortung übernimmt, lernt ganz schnell zwei Dinge: Dass man das nötige Geld nicht drucken kann und dass das Kapital flüchtig ist. Wenn wir ihm nicht genug dienen, haut es einfach ab und sucht anderswo seine Profite. Allein mit gutem Willen ändert man daran nichts.

Nach unten treten, nach oben buckeln

Dass ich die Politik vor der Wutbürger-typischen Vermutung absoluter Macht in Schutz nehme, heißt nun nicht, dass es nichts vorzuwerfen gäbe. Es findet ein Verteilungskampf statt, in dem sich die immer schon Privilegierten zu Lasten „derer da unten“ vornehmlich drum kümmern, selber nichts abgeben zu müssen, sondern sich weiter wie gewohnt zu bereichern. Die Lasten der Globalisierung sollen bittschön andere ausbaden.

Katarina Nocun hat es gut in Worte gefasst:

Wir sind Exportweltmeister. Uns geht es so gut wie nie zuvor. Wir sind die Champions Europas. Aber wer ist eigentlich wir? Der Durchschnittsverdiener, der mitgeteilt bekommt, dass seine Rente für nichts reichen wird? Die Alleinerziehende, die sich von Monat zu Monat durchschlägt und abends auf der Couch erschöpft und traumlos einschläft? Die Pflegerin, die insgeheim hofft niemals bei ihrem Arbeitgeber in Pflege gegeben zu werden, weil längst nach Minuten und nicht nach Bedürfnissen abgerechnet wird? Die Wahrheit ist doch die: Deutschland sagt nicht Sorry für die Agenda 2010. Für Rentenkürzungen. Für Riester-Disaster. Denn Deutschland geht es doch so gut. Nur wird für viele immer klarer: Wir sind nicht dieses Deutschland. Und werden es auch nie sein.

Ein Gespenst geht um in Europa. Es ist die nackte Angst. Die Angst vor sozialem Abstieg. Die Angst vor Konzernen, die sich wie Staatschefs aufspielen. Die Angst vor Globalisierung. Diese vermeintlich höhere Naturgewalt muss als universelle Rechtfertigungs-Strategie herhalten. Und es wird kalt in Europa. Denn aus Angst treten wir nach unten. Gegen „Wirtschaftsflüchtlinge“. Gegen „spätrömische Dekadenz von Sozialempfängern“. Gegen „gierige Rentner“. Und „faule Studenten“. Und lassen mal so richtig Dampf ab. Ohne zu merken, dass wir dadurch nach oben buckeln. Und das Hamsterrad sich immer schneller dreht. Am Ende kann man sich nicht einmal mehr beklagen. Denn den Sozialstaat tragen wir mit diesen Scheuklappen selbst zu Grabe. Dabei sind wir sehr produktiv. Sehr gründlich. Sehr deutsch.

Wie wahr! Nur dem „wir“ am Ende widerspreche ich.

***

Update: bei CARTA grade gute Tipps gegen Rechtspopulisten gelesen.

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Diskussion

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5 Kommentare zu „Düstere Perspektiven“.

  1. Die Welt hat einfach nur eine extreme Erkältung mit hohem Fieber und extrem ansteckender Kriegeritis – auch das wird vorüber gehen – Die Welt schüttelt sich um diese lästigen Menschen runter werfen.
    Wie das ausgehen wird ? Für die Erde sehr gut – für uns Menschen vermutlich mehrheitlich schlecht – diejenigen welche diese Krankheit überleben, werden wissen wie man Mutter Erde behandelt.
    Liebe Grüsse zentao

  2. weshalb verkaufte sich „der anhalter durch die galaxis“ noch mal so gut auf allen planeten des sonnensystems? ach ja, weil vorne die worte „DON’T PANIC“ stehen ;)

    hihi, das gibt mir jetzt die gelegenheit, dich an eine wahrheit zu erinnern, an die du sonst mich erinnerst: es gibt so’ne und es gibt so’ne. die welt ist nicht voller arschlöcher, „wir“ sind – mit verlaub – die „mehrheit“, die, die die dinge praktisch verstehen und die wirklichkeit nicht als ergebnis einer durch die lektüre bizarrer onlineauftritte zu interpetieren gelelernt haben … sondern als hoffnungsort. die welt gehört so lange uns, bis wir sie freiwillig an die anderen, sozusagen als selbstmord aus angst vor dem tode, aushändigen.

    lass mich dir das mal ganz drastisch vor augen führen: die „blaumiesen“ können ihre verquere sicht auf die dinge nur durchsetzen, wenn sie zu mitteln offener gewalt greifen. dann, claudia, wäre ja die linie der feigheit, die sie von realer macht trennt, überschritten. und eh alles zu spät.

    bis die heranwachsenden generationen die suppe auslöffeln wird, den sie sich gerade durch ignoranz der eigentlich für ihre zukunft wichtigen themen (in der breite, ich weiss auch, daß es kluge köpfe gibt, die sehr wohl verstehen, was alles auf dem spiel steht), ist noch ein bißchen hin und ich spekuliere ja offen darauf, daß ich bis dahin die würmer füttere.

    „problemandererleutefeld“, um noch mal den „anhalter“ zu bemühen.

    es gab gestern einen beitrag beim swr über Europas Rechtspopulisten.

    das geschäftsmodell dieser herrschaften ist nicht die macht, es ist das generieren von aufmerksamkeit – unserer aufmerksamkeit. wir reden zwanghaft über den scheiss, mit dem sie uns füttern … und vergessen, daß wir ja auch themen haben.

    bis jetzt ist es ja „nur“ selbstbesoffenes pack, das sich überschätzt, ich wüsste nicht, warum ich mir von den idioten den tag vermiesen lassen sollte. oder den ganzen tag posten, was für vollidioten die sind.

    lieber eine anständige tasse tee. und mein lieblingsspruch: „wenn du einen feind hast, setz dch ans ufer eines flusses und warte, bis seine leiche vorrübertreibt“ ;)

    bis dahin: you’ll never regret, being kind …

  3. Ja, dein Text spricht mir aus der Seele.

    Ganz besonders habe ich die Leute gefressen, die auf der einen Seite immer alles besser wissen und können (siehe einfache Lösungen wie „Macht doch eben die Grenze zu!“) und die auf der anderen Seite all den Verschwörungstheorien auf den Leim gehen, nach denen „die da oben“ irgendwie von dunklen Mächten gelenkt werden. Das ist lustigerweise oft unter- und über-komplex zur selben Zeit.

    Was mich auch gerade bewegt, ist die Tatsache, dass viele derer, die eben noch DIE LINKE gewählt haben, plötzlich die AfD wählen. Wie passt das zusammen? Ist es die Suche nach einfachen Lösungen?

  4. Die Suche nach einfachen Lösung an sich ist nichts Schlechtes. Die Weigerung, sich dafür auf die Komplexität der Phänomene einzulassen, aber schon!

  5. …ist es nicht auch wie dem halb gefülltem Glas, also (m)eine Sicht der Dinge?