…sagte der Architekt, einer der vielen, mit denen ich mitten im wilden, konfliktreichen Sanierungsgeschehen der frühen 80ger Jahre in Berlin-Kreuzberg Streitgespräche führte. Wir hatten uns in den heruntergekommenen und entsprechend romantischen Gründerzeitbauten verschanzt und der „Zugriff des Kapitals“ (Entmietung, offensives Verfallen-lassen vor Luxusmodernisierung) auf diese brach liegenden Ressourcen hatte einen Sturm der Entrüstung entfacht. Ein Sturm, mit dem keiner gerechnet hatte, auch wir selber nicht.
Heute weiß ich: Der Architekt hatte Recht! Planzenarten breiten sich aus, Tiere vermehren sich und erweitern dadurch ihre Territorien (wenn sie können…), und der Mensch macht es erst recht so. Und es läßt sich nicht so einfach stoppen oder wegplanen. Eine Gemeinschaft braucht die Expansion, das gemeinsame Bauen. Selbst das Idyll des alternativen Kreuzbergs hat sich aufgelöst, als der Baukonflikt kein Thema mehr, alle „Projekte“ abgearbeitet, die Häuser (teils in Selbsthilfe) saniert waren. Jedes Dorf und jede Kleinstadt auf dem Land ringt um Siedlungen und Baugebiete, das erlebe ich auch hier, in Gottesgabe.
Und nach vier Jahren Netzkommunikation seh‘ ich: es gilt auch für Netz-Communities. Mailinglisten dümpeln aufs Langweiligste dahin, Mitglieder steigen angeödet aus – kein THEMA, das bloß intellektuell abgearbeitet wird, hat gemeinschaftsbildenenden Effekt. Den haben jedoch gemeinsame Vorhaben, Baumaßnahmen im Cyberspace: Homepages, Archive, Webzines, Ereignisse, die sichtbare Spuren hinterlassen. Ja, manche „Bauten“ werden im Lauf der Zeit zu verfallenden Ruinen, um die sich keiner mehr kümmert, ganz wie im physischen Raum.
Derzeit boomt das Netz. Nahezu alle „relevanten Kreise“ haben erkannt, daß sie den neuen Kommunikationskanal, die neue Darstellungsebene, die Welt der Webseiten und Communities für ihre Zwecke nutzen können, zunehmend auch MÜSSEN. Das ist nicht mehr der utopistische Net-Hype, das ist der echte Run auf die besten Plätze.
Beste Plätze??? Platz, Raum, Ort – im Netz existiert diese Dimension nicht. Nicht so, wie wir sie aus dem physischen Raum kennen: als echte Beschränkung, als Mangel, als kostenintensive Hürde vor aller raumgreifenden Aktivität. Die Zeit hat den Raum in dieser Hinsicht abgelöst: Wer hat Zeit, all die Ideen zu verwirklichen, all die Webseiten und Projekte zu errichten und zu pflegen?
Mir gefallen die neuen Verhältnisse. Sie sind gerechter, denn jeder hat Zeit: seine je eigene Lebenszeit. Natürlich können Geld-Eigentümer sich Zeit kaufen, Arbeitszeit anderer, genau, wie sie sich Grundstücke und Ländereien erwerben konnten. Doch das stört im Grunde nicht, wenn alle über ein gewisses Grundkapital verfügen, mit dem sie kreativ umgehen können. Nicht alle werden mit Geld oder Grund und Boden geboren – aber alle haben Zeit.
P.S. Montag bis Mittwoch bin ich auf Kurzreise in Berlin.
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