Ottmar aus Berlin kommentiert meinen lästernden Eintrag vom 20. so:
„Du lebst in einer wunderschönen Umgebung, hast eine wunderschöne Schreibe, machst tolle WEB-Seiten und hast im Augenblick keinen Auftragsstreß. Warum also solche KLICK-Hektik und Aggressivität? Früher Hektik in Berlin, jetzt im Internet? Wo ist Deine innere Ruhe?“
Das hat mich nachdenklich gestimmt und einige Tage hab‘ ich die Frage mit mir herumgetragen. Wo ist sie, die innere Ruhe?
Sie ist auf Dauer nicht erträglich! Seltsam, aber wahr: wer hält es schon aus, dauernd positiv, gelassen und womöglich gut gelaunt zu sein? Wunderbar, wenn dieser Zustand eintritt, aber er kann nicht bleiben, ist nicht von Dauer, wie alle Zustände, in die ich gerate.
Ich erinnere mich an eine Zeit Anfang der 90ger, als ich mal für ein paar Monate eine Psycho-Gruppe für Unzufriedene besuchte. Es wurden Techniken gelehrt, ein auf allen Ebenen erfolgreicheres Leben zu führen. Die Techniken waren durchaus wirksam, geradezu erstaunlich erfolgreich, doch als wir wieder mal zusammensaßen und unsere Erfolge befeierten und der Leiter seinen Standardspruch wiederholte: Jeden Tag einen Schritt in die richtige Richtung! – da kam mir auf einmal die Galle hoch und ich sagte einigermaßen agressiv: Ich will aber nicht jeden Tag einen Schritt in die richtige Richtung!
Mittlerweile zähle ich mich nicht mehr zu den Unzufriedenen. Lange Jahre schon fühle ich mich nicht von außen gesteuert, leide nur sehr oberflächlich (im Kopf!) am ‚Zustand der Welt‘ und bin es gewohnt, erstmal mich selber zu betrachten, wenn mir ‚was nicht paßt. Den letzten Wunsch, der über Jahre gewachsen ist und den ich deshalb für WAHR gehalten habe, war der Wunsch, die Stadt zu verlassen. Den hab‘ ich mir erfüllt – und jetzt?
Alles ist jetzt, wie es sein soll: eine schöne Umgebung, Friede mit den Mitmenschen, kein Arbeitsstress, sondern viel Zeit, eigenen Ideen zu folgen – was will der Mensch MEHR?
Ich weiß es nicht! Ich weiß nur, daß wir nicht geboren sind, um ausschließlich glücklich zu sein. Jeder positive Zustand schlägt – ob mit oder ohne „erklärbaren“ Grund – in sein Gegenteil um. Wenn die Umstände uns mal nicht fordern, anstrengende Überlebensleistungen zu bringen, dann suchen wir „das Negative“ selber auf: durch Lesen in der Tagespresse, durch Bücher und Filme, die psychische Verstrickungen vorführen, durch agressives Verhalten gegen andere oder durch dumme, selbstdestruktive Lebensweisen, die uns krank machen. Anders wäre es auch garnicht verständlich, warum Leute in armen Ländern so fröhlich wirken, wogegen die Einwohner der „entwickelten“ Weltgegenden allemal sehr viel miesepetriger durch ihr vermeintliches Paradies laufen!
Spirituelle Lehren legen oft die Idee nahe, die Unruhe komme vom wandernden Geist: der ständige innere Dialog müsse abgestellt werden, dann käme alles in Ordnung. Ich weiß, wie wunderbar es ist, dem inneren Grübeln nicht durchgängig ausgesetzt zu sein, über Methoden zu verfügen, in eine gelassene Ruhe zu gelangen (z.B. durch Yoga). Der Punkt aber ist, daß ich es des öfteren garnicht will: Ich will mich aufregen, MÖCHTE einen Spannungszustand erleben, brauche den Widerstand, gegen den ich angehen kann. Und ich halte das nicht für einen Fehler, sondern für eine grundmenschliche Befindlichkeit, aus der wir nicht herauskommen, solange wir leben. Leben IST Spannung UND Entspannung – allerdings kann ich mehr oder weniger konstruktiv damit umgehen, das ist wahr!
Die naheliegenden Lösungen, die WELT zu verbessern oder mich SELBST zu verbessern hab‘ ich in dieser Reihenfolge lange Zeit versucht (im Rahmen meiner Möglichkeiten). Nicht ganz erfolglos, aber es brachte mir gegenüber dem zugrunde liegenden Impuls keine Veränderung: was immer ich tue, hinterher tritt keineswegs das Paradies ein, sondern ein neuer Wunsch entsteht, ein neues Problem tritt in den Blick. Und wenn das NICHT geschieht (weil der Verstand auch mal sagt: alles im grünen Bereich!), tritt die Unzufriedenheit dennoch auf – ein stetes Auf und Ab, mit dem ich einfach leben muß. Und das Beste, was mir dazu einfällt, ist, mich einer Arbeit zuzuwenden, die mich fordert.
Das werde‘ ich jetzt tun – über andere Ideen, die mir manchmal kommen, schreib‘ ich dann morgen!
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