Herzlichen Dank für die Leserbriefe von Ingo (E-Commerce: fetzig!) und Björn (innere Ruhe: philosophisch). Einen dritten Brief veröffentliche ich nicht, denn er war anonym – angesichts der vom Schreiber vertretenen Allgemeinplätze („der Weg ist das Ziel“) konnte ich keinen Grund dafür erkennen. Hier wird sowieso jeder nur mit Vornamen ‚verdatet‘, es braucht also keine weitergehende Anonymität. Die Begründung des Schreibers: „Namen sind Schall und Rauch“ akzeptiere ich NICHT.
Ein Name ist Aufgabe und Versprechen – der Nachname steht für das Ererbte, für das Herkommen, für Familie und Verwandtschaft, für die Gesellschaft, in die ich geboren bin – für alles, was uns bindet, beeinflußt und fremdbestimmt. Der Vorname meint die Chance, ein Individuum zu werden, sich von alledem ein Stück weit zu entfernen und darüber hinaus zu gehen – natürlich stellvertretend von den Eltern zugeteilt. Manche geben sich deshalb zusätzlich einen neuen Namen: als Künstlername oder spiritueller Name soll er das ganz Eigene symbolisieren (nicht zu verwechseln mit einem „Pseudo“!)
Für mich ist das Leben ein Prozeß, den eigenen Namen auszufüllen: auf meine Weise mit dem Herkommen Frieden zu schließen und darauf aufbauend etwas Neues zu machen. Eine Illusion, zu glauben, man könne sich wie ein weißes Blatt Papier ganz neu zur Welt in Bezug setzen. Selbst der heftigste Widerstand, das radikalste Nein (gerade sie!) sind Reaktionen auf das, was wir vorfinden und nicht akzeptieren wollen. Indem ich GANZ ANDERS sein will als z.B. meine Eltern, werde ich gerade so wie sie! Freiheit ist etwas anderes, als ‚Nein‘ sagen zu müssen (Ich rede aus Erfahrung, denn ich war selbst lange so).
Mit dem Namen bin ich jedoch nicht vollständig bezeichnet. Etwas in jedem Menschen ist namenlos: der, der erkennt, was es bedeutet, einen Namen zu tragen, ist nicht der, der ihn trägt. Zwischenmenschliche Kontakte finden allerdings nicht auf dieser Ebene statt, sondern mittels der sozialen Person, die nicht abzulegen ist.
Deshalb: jemand anderem mit dem eigenen Namen gegenübertreten, auch in der E-Mail, bedeutet die Bereitschaft, Verantwortung für die eigenen Worte und Taten zu übernehmen, z.B. die Kontinuität nicht zu leugnen zwischen dem, was ich vorgestern einer Freundin sagte und dem, was ich morgen einem Chef oder Kunden sagen werde. Trotz aller Unstimmigkeiten und Widersprüchlichkeiten, die es da geben mag, ja, gerade diese Irritationen sind die Herausforderung.
Wir sind viele, schrieb ich mal zum Thema „Netzpersönlichkeit“, und daß wir es in den Drähten leichter zeigen können. Doch Sinn hat dieses Spiel nur, wenn der rote Faden nicht verloren geht, wenn das Spannungsfeld zwischen den „Vielen“ und dem Bemühen um Integrität nicht verschwindet. Wer meine Seiten durchstöbert, kann ganz unterschiedliche Dinge von „Claudia Klinger“ lesen – im Lauf von Jahren verschwindet jede Chance, eine „stringente und durchgehende“ Personal Identity vorzuzeigen, wenn man viel schreibt und publiziert. Dennoch wird der Leser so mehr von mir mitbekommen, als wenn ich nur in EINER bestimmten Rolle auftrete, z.B. als Webdienstleisterin. Die Beziehungen, die sich so ergeben, sind nicht so eindimensional, man wird nicht auf eine Funktion reduziert und hat mehr Chancen, als multidimensionales Wesen gesehen zu werden. Das liebe ich am Netz – und mag es nicht, wenn mir Leute anonym kommen.
Eigentlich wollte ich heute etwas anderes schreiben. Macht nix, es gibt noch andere Tage – vermutlich.
Diesem Blog per E-Mail folgen…