Olivias Mail hat mir sehr gefallen, bringt sie doch das Problem auf den Punkt:
„Ganz übel wird es, wenn man sich bewußt entschließt, mal einen Abend freizunehmen, frei von der Arbeit und frei vom Computer und dann nicht weiß, was man eigentlich machen soll, weil alles, was einen reizen würde, nicht ohne den Computer geht.“
Vielleicht wird es ja wieder anders, wenn das Equipment mal voll mobil geworden ist, wenn wir die Computer als Kleider und am Handgelenk tragen und unsere Umwelt voll von Interfaces steckt, in die wir nur rufen oder flüstern müssen, wenn wir etwas tun wollen. Dennoch wird das Leben auf diese Weise sicher nicht mehr die Intensität haben, die wir schon jetzt vermissen, weil letztlich alle noch so spannenden Aktivitäten körperlich gesehen nur als Herumschieben von Zeichen stattfinden.
Gestern hab‘ ich einen Teil des Abends mit Kindern verbracht, Karten gespielt, Ratespiele veranstaltet – es war wunderbar, lustig und liebevoll. Doch werden diese Kinder gerade mit aller Macht auf die Welt der Rationalität vorbereitet: WENN du im Diktat nicht mehr als fünf Fehler hast, DANN kannst du noch spielen gehen…. Ist ja verständlich, anders kann es nicht laufen, schließlich müssen sie lernen, sich in dieser Welt durchzusetzen, umgeben von logischen Systemen, die keine Gnade kennen.
Was ist Aufklärung? Der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit, sagte Kant. Wobei das „selbstverschuldet“ bedeutet, den EIGENEN VERSTAND nicht zu gebrauchen, obwohl man es doch könnte. Das war zu einer Zeit, als man große Erwartungen an die Vernunft hegte, letzlich die Befreiung von der Tiernatur des Menschen. Zu einem Denken kommen, das unabhängig ist vom Triebleben des Körpers, von den schwankenden Emotionen und Gefühlen – so beschreibt mein Lebensgefährte das Ziel der Aufklärung.
Und es wurde erreicht – allerdings nicht durch eine Überwindung der Tiernatur, sondern durch deren Marginalisierung: Mehr und mehr schieben sich schützende Interfaces zwischen die Menschen und zwischen uns und die Welt. Ein Formular kennt nur „ausgefüllt“ und „nicht ausgefüllt“, jeweils mit fest vorgegebenen Folgen, ohne Blick auf die Person und die Umstände. Programme rationalisieren die mühseligen Prozesse der Verständigung, E-Mail bringt uns viele Kontakte, allerdings mit gebremstem Schaum: Ich lese nur einen Text, den du geschrieben hast – und wer es schafft, prägnante Texte zu schreiben, kommt gut durch: „Nobody knows, that you are a dog“, heißt es richtig und das Befreiungspotential dieser Verborgenheit ist gewaltig. Jedoch: ein Hund bleibt ein Hund, als Vorstandsvorsitzender wird er einfach nicht glücklich werden!
Einen Ausblick auf die nahe Zukunft gibt der Text Digital Home, der in der Liste Netzliteratur als spontaner Mitschreibtext entstanden ist. Die Rationalität der Geräte zu Ende gedacht – zum Bösen, versteht sich.
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