Die ‚Referenzliste‘ des Webhits-Zählers listet einige Links auf, die aus den Weiten des Web auf dieses Diary zeigen. Als ich gestern mal wieder reinsah, fand ich eine Seite, auf der Jörg (ohne Nachname) meinen Text „Wir können nicht dienen?“ liebevoll gestaltet und ausgestellt hat. Sowas freut mich! Und gelesen hab‘ ich ihn auch nochmal: es ist eine heftige Anklage gegen die Dominanz der Geräte, die sich zwischen Mensch und Mensch schieben und zunehmend unsere Zeit und Energie auffressen.
Jedem sein Gerät
Ein Aspekt, der in dieser Rede vergessen wurde, ist die Tatsache, daß auch jeder sein EIGENES Gerät braucht – nicht nur der PERSÖNLICHE Computer, auch das eigene TV, das eigene Auto, der eigene Rasenmäher, die eigene Waschmaschine, zum Heimwerken die eigene Bohrmaschine, Stichsäge, Kreissäge…. und natürlich liegt alles die meiste Zeit ungenutzt herum. Kurzum, die Wirtschaft basiert zum großen Teil auf der Unfähigkeit zu teilen, uns abzusprechen, unsere Bedürfnisse miteinander in Einklang zu bringen, zu verhandeln und Kompromisse zu schließen.
Als ich ungefähr sieben Jahre alt war, schaffte unsere Family einen Fernseher an. Ab da saßen wir abends im Halbkreis vor dem Gerät und guckten manchmal bis zum „Sendeschluß“ (sowas gabs damals noch!). Das war nicht etwa schlecht, keineswegs ein Verlust an familiärem Miteinander – im Gegenteil, ich war wirklich froh, daß meine Eltern dadurch weniger auf uns Kinder konzentriert waren. Im Nachhinein erscheint es mir als der Gipfel familiärer Geborgenheit: alle vergessen sich selbst und schauen gemeinsam auf etwas Drittes, erleben dasselbe und können sogar darüber reden.
Natürlich war damit auch Ärger verbunden: Wir konnten uns nicht immer auf ein Programm einigen und ich fand vieles unglaublich öde, was ich mir da so ansah, ohne es zu verstehen. Mein Vater hatte nicht vor, Demokratie zu wagen: er war (fast) unumschränkter Herrscher über die Programmwahl und als die Fernbedienung aufkam, war das natürlich SEIN Ding.
In heutigen Familys hat oft jedes Kind einen eigenen Fernseher („Geh doch rüber!“). Ich bin angenehm überrascht, wenn ich Freunde besuche und treffe sie mit den Kids vor der Glotze an – und es läuft sogar das Programm, das die Kinder sehen wollen! Aber das ist die Ausnahme, der Trend geht zum Eigengerät und ich vermute, bald sitzen wir alle lebenslang jeder für sich in völlig abgeschirmten Räumen, umgeben von Kommunikationsapparaten, vermeintlich unabhängig von Zeit und Raum und vor allem vom nervigen Mitmenschen, der allermeist gerade etwas anderes will. Soll er doch, kann er haben, hat ja sein eigenes Equipment!
Nur der Kopf wird noch gebraucht
Und weil ich gerade so schön dabei bin: noch eine andere Entwicklung verändert uns. So ein Leben, das hauptsächlich daraus besteht, Informationen aus Medien aufzunehmen und selber daraus neue Informationen zu schaffen, um sie wieder in Medien einzugeben – so ein Leben nutzt nur einen kleinen Teil unserer Fähigkeiten, unseres Potentials. Hauptsächlich der Kopf wird gebraucht, wenn ich z.B. ein Bild von einem Baum bearbeite oder einen Text über Kastanien schreibe. Aus der Erinnerung mögen dabei noch ein paar Gefühle aufkommen (schließlich bin ich in einer medienarmen Zeit aufgewachsen) doch bei vielen Themen und den meisten Arbeiten sind Gefühle eher kontraproduktiv. Wichtiger noch: Die BASIS, auf der Gefühle sich entwickeln, der KÖRPER, ist kaum mehr beteiligt an dem, was für mein Leben in der Info-Gesellschaft wichtig ist. Und das hat Folgen:
Schon in der Gutenberg-Galaxis hat es den Typus des „zerstreuten Professors“ gegeben. Einer, der nur in Texten lebt und deshalb mit der Gegenstandswelt immer weniger zurecht kommt, ja, völlig hilflos ist. Genau dieser Typus wird zum Mainstream werden, da wette ich drauf! Denn unser Gedächtnis, unsere Konzentrations- und Wahrnehmungsweise verändert sich entsprechend den Anforderungen des Daily Life. Der Umgang mit den Medien lehrt uns auf einer wenig bewußten Ebene Stunde um Stunde eines: Das, was ich hier tue, hat nur Folgen innerhalb von Medien….. (auch der Blick auf das Bankkonto ist im hier gemeinten Sinne nur eine Mediennutzung!). Zwar WISSEN wir, daß das nicht auf allen Gebieten gilt, aber wir nehmen die Gewohnheit an, weil es die MEISTE ZEIT stimmt, in Stunden über den Tag betrachtet.
Und so kommt es, daß ich in die Küche gehe, einen Kaffee aufsetze, dann wieder an den PC zurückkehre und erst ein brenzliger Geruch erinnert mich daran, daß die Espressokanne überläuft und der Milchtopf seinen Inhalt über die fast glühenden Platten ergießt…. Oder ich werfe die Wäsche in die Maschine und erinnere erst abends: Ach, die liegt ja noch immer drin! Auf das, was ich gerade arbeite, kann ich mich verdammt gut konzentrieren, doch ansonsten zappt die Aufmerksamkeit ins Beliebige. Die Erfahrungen bei der Arbeit werden ja nicht im Körper verankert, nicht im Unbewußten zu automatisierten Verhaltensweisen „verdatet“, bzw. nur auf einer sehr beschränkten mentalen Ebene. Das hat durchaus Vorteile: Weil die Arbeit nur diesen Schmalspurbereich belegt, kann ich sie auch leicht wechseln. Es ist ja kaum noch ein (nicht-mediales) Erleben anderer Menschen, anderer Räume und Dinge damit verbunden, switchen ist also einfach: ich bin die flexible Info-Arbeiterin, die die Welt braucht: Heute hier, morgen schon im nächsten Projekt….
Und was das Kaffee-Kochen angeht: Wo die Gefahr ist, wächst das Rettende auch, sagte Hölderlin. Schließlich wird auf Hochtouren am „Digital Home“ gearbeitet: vernetzte Geräte werden uns alles abnehmen, bzw. daran erinnern, wenn ein Prozeß unser Eingreifen erfordert. Wir müssen uns ja auch nicht mehr „auskennen“ und keine Landkarten mehr lesen können, weil uns das GPS-System verläßlich sagt, wo es lang geht.
Wenn ich solche Entwicklungen beschreibe, frage ich mich manchmal: Was geht da vor? WER bestimmt, wohin sich das alles entwickelt? Hat das irgend jemand gewollt, gewünscht, gewußt? Doch da ist niemand, es organisiert sich selbst. Individuell ist es natürlich möglich, Nischen zu finden, kleine Fluchten zu veranstalten – unbemommen, vielleicht Glück bringend für Einzelne, doch fürs Ganze irrelevant.
Vielleicht geht es uns einfach wie GOTT. Als ER den Menschen nach seinem Bilde schuf, wußte er nicht, daß er damit das eigene Verschwinden anzettelte. Und wir haben die universale Maschine geschaffen, nach unserem Bild, wie wir gerne wären, den Idealen der Aufklärung entsprechend: gerechter, rationaler, verläßlicher, optimal funktionierend, niemals korrumpiert durch Gefühle und Hormone. Unser Verschwinden hat begonnen….
Michael rief mich gestern an, völlig entnervt. Sein System ist zusammengebrochen, die Festplatte im Chaos versackt, Windows startet nicht mehr, Norton Utilities gaben der Sache den Rest.
Haaaaa! Gestern noch hatte er mein ganzes Mitgefühl – jetzt aber, nach diesem Artikel, erfüllt mich das Ereignis mit diebischer Freude!!!
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