…Leere ist Form. Über diese Weisheit aus dem Herz-Sutra denke ich manchmal nach. Gewöhnlich verstehe ich es als Beispiel bedingten Entstehens: ohne Leere keine Form! Was wäre der Topf ohne die Leere, die er umschließt?
Mir ist das gerade eingefallen, denn ich wollte ins Tagebuch schreiben, ohne noch zu wissen, was. Warum mach‘ ich das dann? Weil diese Form eine Disziplin ist, die u.a. den Sinn hat, mich geistig wach zu halten, zumindest gelegentlich den Kopf über alle Tellerrände zu erheben – auch, wenn da garnicht viel zu sehen ist, gerade dann. Schon öfter ist mir aufgefallen, daß Motive und Wünsche nur noch „stotternd“ mein Leben begleiten. Kaum irgend ein Begehren hält so lange vor, daß damit die ganze Strecke zwischen Idee und Verwirklichung zu überbrücken wäre. Bei Konsumwünschen ist das besonders nützlich: noch bevor ich wirklich etwas kaufe, geht der Wunsch in ganz anderen Impulsen unter, er verschwindet einfach wieder und wenn ich es bemerke, bemerke ich die Leere. Und habe Geld gespart!
Schwieriger ist es bei Vorhaben und Projekten aller Art. Immer schon war mir der Anfang, der Aufbau, Konzept & Planung die interessanteste Phase. Geht etwas dann in Routine über, verabschiede ich mich und breche zu neuen Ufern auf. (Web-Arbeit ist dafür wie geschaffen, da ist alles ständig im Aufbau…). Doch auch hier begegne ich mehrfach am Tag der Leere. Ich kann mir nicht mehr vormachen, irgend etwas, was ich tue, sei von ganz besonderer Bedeutung für die Welt oder auch nur für mich. Dieses dringlich-bedeutungsvolle „Weltrettungsgefühl“, eine verschleierte Form eigener Geltungssucht, hatte mich in der ersten Lebenshälfte im Griff und es gehört zu den schönsten Erfahrungen, daß es verschwunden ist. Ersatzlos gestrichen – doch diese Abwesenheit erzeugt das Gefühl der Leere, wann immer ich einen Moment inne halte. Da müßte doch etwas sein, denke ich dann irritiert – und wenn es mir gerade psychophysisch nicht gut geht, kann ich daran depressiv werden. Glücklicherweise hält auch das nie lange vor.
Erstaunlicherweise ist meine Arbeit viel besser geworden, seit ich nicht mehr glauben kann, es läge darin eine „Rettung“. Auf einmal ist eine gewisse Beharrlichkeit kein Problem mehr, ich kann relativ diszipliniert die Dinge von Anfang bis Ende durchziehen und bin – anders als die frühere, vom Ehrgeiz Getriebene – durchaus ein stabiler Faktor im Geschehen. Ist das nicht paradox? Leere ist Form, heißt es, und vielleicht meint das auch: ERST IN DER LEERE kann eine FORM sein. Vorher ist alles nur herumwirbelnder Matsch.
Leider klebe ich nun manchmal zu sehr an der Form: da jenseits davon ’nur‘ die Leere ist, hafte ich im Alltag an meinen Vorstellungen vom Tagesablauf. Ein unangemeldeter Besuch kann mich „aus dem Gleis“ werfen, es fällt mir schwer, von jetzt auf gleich ‚umzuschalten‘ und mich völlig unbeschwert dem Augenblick zu öffnen. Das wird noch durch die Arbeit übers Netz verstärkt, die daran gewöhnt, alles immer nur „auf Mausklick“ zu erleben: Erst, wenn ich beschließe, jetzt Mail abzurufen, öffne ich mich den aktuellen Anliegen anderer. Erst, wenn ich in den Ordner „Mailingliste Netzliteratur“ schaue, trete ich in eine soziale Arena. Das „Mitmensch on Demand-Leben“ ermöglicht eine ungeheure Bandbreite sozialer Kontakte, die im „Real Life“ kaum zu verkraften wäre. Das ist ein großer Gewinn, sicher, doch ist er BEDINGT durch das „on demand“. Derzeit kann ich das nur feststellen, nicht etwa ändern.
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