21 Fotos rieselten heute früh in meine Mailbox – eine Auswahl der Portraits, die vor drei Wochen in einer Fotosession entstanden waren. „Du kannst dich nicht selber fotografieren“, hatte der Fotograf gesagt, als ich von meinen Selbstbild-Versuchen mit der DigiCam berichtet hatte, „du mußt die Verantwortung für die Bilder abgeben“.
Gut, er war witzig, „arbeitsbereit“ und mir fremd genug, um es mich auszuprobieren zu lassen. Trotzdem ist es eine große Hürde, sich von jemandem derart intensiv ablichten zu lassen: schließlich entstehen dabei jede Menge grauenhafte Ansichten, die „außerhalb meiner Kontrolle“ in die Welt kommen, zumindest ins Gedächtnis des Fotografen. Deshalb ist es gut, sowas mit einem Fremden zu machen, gegenüber dem sich noch nicht das Gefallen-Wollen oder eine bestimmte Message in den Vordergrund drängt. Im übrigen sind Kontrollverluste faszinierend, gerade für Leute mit starker Kontrolltendenz wie mich – und ich bin immer froh, wenn das auf nicht-destruktive Weise zu Tage tritt.
Ich packte die Bilder also in ein Verzeichnis, startete ein Album-Programm und ließ sie mir als Diashow vorspielen – dabei zum einen auf die Fotos achtend, zum anderen auf meine eigenen Reaktionen und Gefühle. Wow, was für Eindrücke! Die Frauen auf den Bildern sind beeindruckend verschieden. Manche kenne ich gut, andere sind mir weitgehend fremd – unabhängig davon, wie symphatisch oder unsymphatisch, schön oder häßlich sie aussehen.
Mehrfach wiederhole ich die Show – und langsam erkenne ich Verwandte. Mein Oma zum Beispiel, auf einigen Bildern bin ich ihr verdammt ähnlich – Mutter und Vater natürlich , aber auch meine Schwestern. Alle sind in diesen Gesichtern enthalten, machen einen Teil der Fremdheit aus. Einen weiteren Fremdheitsschub gewinnen die Fotos dadurch, daß meist EIN Aspekt das ganze Bild dominiert – ein Aspekt meiner selbst, denn ich ja im „realen Leben“ niemals derart isoliert spüre: die Skeptische, die Ängstliche, die Nachdenkliche, die Verbitterte, die Mißtrauische, die Kampfbereite, die Größenwahnsinnige, die Liebenswürdige, die Zärtliche – die alte Frau, das Mädchen und nicht zuletzt der „Mann in mir“.
Eine seltsame Erfahrung. Spannend, doch spürbar belastet dadurch, daß die explizite Beschäftigung mit dem „Ich“ für mich etwas Sündiges hat. Das Gebot „Denk nicht an Dich, sondern an andere“, sitzt immer noch tief, was nicht unbedingt heißt, daß ich dem auch entspreche.
Die Fotosession hat mich schon als bloßes Ereignis mit meinem vielfach gespaltenen Verhältnis zum „eignen Bild“ konfrontiert – die Bilder erzählen einen Teil der Geschichte, warum das so ist. Ich habe nicht vor, da stehen zu bleiben. Es lockt mich, weiter in die Tiefe der Angelegenheit einzusteigen – zum einen möchte ich alle Aspekte, die mir die Bilder zeigen, kennen und im Bewußtsein tragen. Und andere Aspekte möchte ich schlicht verabschieden, sie sind das Ergebnis parzieller Verwahrlosungen, die durch Einseitigkeiten im Lebensstil entstehen. Deshalb nannte ich die Bilder kurz nach der Session auch „Abschiedsfotos“ – nicht alles, aber einiges verändert sich. Real Life ist Bewegung, ein Glück!
Die Fotos mit den „Teilaspekten“ werde ich nie ins Web stellen – allenfalls mal im Rahmen einer Kunst-Site, und dann noch viel weiter verändert, zeichenhaft umgeformt. Fotos im Web sind eben keine Infos, sondern Botschaften. Wenn ein Bild einfach nur die Message „Claudia Klinger“ als Content aufweisst, wäre ein Anblick der Lunge von innen nur eine Teilwahrheit und als solche verzerrend.
Am „ganzheitlichsten“ aus der ganzen Serie ist dieses Foto.
Komisch, daß das auch der Fotograf gewußt hat, der es mit ck01.jpg betitelte. Sicher nicht, weil es als erstes aus der Tüte gefallen ist. (Ein wenig fremd ist es mir trotzdem noch…)
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