Wie eine Lottokugel-Mischmaschine schüttelt das wachsende Netz uns durch, wirft alles durcheinander, kehrt das unterste zuoberst und spukt die Menschen in zwei Richtungen wieder aus: Ab an die Front der New Economy, wo mensch niemals mehr fragen muß „Was tun?“ – oder auf die Halde der Nicht- oder Noch-nicht-Kompatiblen: Allenfalls als Konsument zu gebrauchen, Versorgung staatlich zu regeln.
Als Netzarbeiterin komme ich zwangsläufig viel mit Kategorie 1 in Kontakt. Das sind keinesfalls nur Menschen, die sich in blinder Aufopferung für einen StartUp abrackern, in der Hoffnung, in fünf Jahren für dieses Leben genug angeschafft zu haben. Nein, da gibt es jede Menge fantasievolle Individuen, die ihre unendlichen Möglichkeiten nutzen und das Netz um interessante Knoten bereichern. Wie schnell wurzelnde Pflanzen wachsen sie nach allen Seiten gleichzeitig, docken hier und da an Communities, Working-Groups und gelegentlich an bunte Kunst- und Kulturwelten an, sind voller Ideen und Initiativen, aus denen neue Sub-Netze erwachsen, sie kommunizieren von morgens bis nach Mitternacht wie die Weltmeister, doch in jeder zweiten Mail steht: Keine Zeit!
„Die parallele Dauerüberflutung mit Aufgaben und Reizen ist eigentlich recht typisch für diese Zeit. Faszinierend finde ich Menschen, die da völlig streßfrei durchstapfen…“
…schrieb Wodile kürzlich. Es erinnert mich daran, daß ich vor ein paar Jahren noch glaubte, nur Computer beherrschten das „Multi-Tasking“, das parallele Abwickeln unterschiedlichster Prozesse. Wenn ich mich jetzt aber beobachte, wie ich zwischen acht offenen Programmen hin- und herklicke und dabei binnen einer halben Stunde schon mal ebensoviele Angelegenheiten ein Stück weiter bringe, weiß ich, daß wir uns angepaßt haben. Eine Website läßt auf sich warten? Ein Klick und ein zweites Browserfenster sucht zeitgleich nach etwas ganz anderem – oder ich maile zwischendurch an drei Arbeitszusammenhänge, entpacke Archive mit Materialien, lade Software aus dem Netz herunter oder „entspanne“ bei einem „Besuch“ in der Liste Netzliteratur.
Der Druck wird ständig größer. Weiterbildung bedeutet, sich auf einem Stand zu halten, der es erlaubt, immer mehr Dinge in immer kürzerer Zeit abarbeiten zu können – und selbst dafür findet mensch kaum noch Zeit. Dass zudem unverlangte Informationen von allen Seiten hereindrücken, gerät zur Körperverletzung, gegen die man sich ein dickes Fell der Ignoranz oder gut konfigurierte technische Filtersysteme zulegen muß.
Dies alles kann lange Zeit trotzdem Spaß machen – doch ich ahne, daß wir immer noch endlich sind und einem großen Irrtum aufsitzen: Software ist zwar definitiv anders als Hardware, nervt weder durch Gewicht noch durch räumliche Ausdehnung, läßt sich mit einem Klick ins Nirwana entsorgen, wird nicht schlecht und macht körperlich auch nicht müde. Aber sie ist deshalb nicht NICHTS, ist kopierbar und braucht fast keine Zeit, um weitergegeben zu werden. Die Leichtigkeit, mit der Ideen und Intiativen im digital gestartet werden können, ohne auch nur aus dem Stuhl aufzustehen, verleitet dazu, nach vielen Dingen zu greifen, die man hübsch links liegen ließe, würde man schon in den ersten Stunden ins Schwitzen geraten – wie etwa bei der Gartenarbeit.
Wer also den Bogen des Networking erstmal raus hat, neigt zum unkontrollierten Wachstum, häuft unzählige Aufgaben und Aktivitäten an: jede für sich ein vielversprechendes Profit- oder Fun-Center, aber insgesamt nur noch schlecht zu überblicken und noch schlechter zu PFLEGEN. Ich weiß, wovon ich rede….
Wo die Grenzen liegen, muß jeder selber herausfinden. Für mich deuten sie sich jedenfalls an, wenn ich KEINE ZEIT mehr habe, um mit wirklich netten und interessanten Menschen in die Art Kontakt zu geraten, die ich mir wünsche: Zusammen auf dem Zaun zwischen „drin“ und „draussen“ zu sitzen und jenseits allen Stresses über die Welt zu plaudern…
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