Da hat Deutschland also die WM 2006 ergattert, die Wirtschaft jubelt, der Standort wird boomen, über Jahre wird das runde Leder die Medien dominieren – ach, Fußball ödet mich seit jeher an, ob ich nicht besser auswandern soll? Nach Südafrika, zum Beispiel? Da es auch einer engagierten Sport-Ignorantin nicht möglich ist, den Nachrichten ganz zu entkommen, ist mir nicht verborgen geblieben, dass DER DEUTSCHE FUSSBALL derzeit eine eher peinliche Veranstaltung ist. Darüber hinaus hat das ruckende Deutschland, in dem neuerdings hier und dort schon Schüler mit dem Börsengeschehen vertraut gemacht werden, einen Impuls wie die WM gar nicht nötig. Jedenfalls nicht SO nötig, wie etwa Südafrika.
Kaum freut man sich ein wenig darüber, dass hierzulande die „verkrusteten Strukturen“ aufbrechen, der „Reformstau“ abklingt und junge Menschen endlich mal eine Arbeitswelt vor sich sehen, die den Geschmack von Freiheit & Abenteuer vermittelt, zeigt der Kapitalismus schon gleich wieder seine langweiligste Fratze: Mehr, mehr und nochmal mehr!
In dem sehr lesenswerten ZEIT-Artikel Superglückliche Malocher heisst es:
„Macht was ihr wollt, aber macht es profitabel“, der Slogan hat bei vielen Internet-Firmen längst das Kommando- und Kontrollsystem der alten Arbeitsorganisation ersetzt. Aus abhängig Beschäftigten sind Teilhaber geworden. Rendite zu erwirtschaften wird zu ihrem ureigensten Interesse.
Wie lange sie wohl brauchen werden, um zu bemerken, dass „Rendite erwirtschaften“ müssen eine der engsten Fesseln ist, die man sich denken kann? Nein, ich habe nichts gegen die StartUps: die Firma als Wohngemeinschaft & Community ist genau das Umfeld, das ich mir mit 20 gewünscht hätte, anstatt der öden Firmenhierarchien und der Behördenmentalität, die mir aus den damaligen Bürowelten entgegenschlug, wo die Angestellten ihr verbliebenes Engagement in die Urlaubsplanung steckten und ansonsten resigniert dem Feierabend entgegendämmerten.
Lesen wir weiter:
„Freiwillig geben sie ihre Kreativität, ihre Ideen, ihre emotionale Intelligenz und immer wieder ihre Zeit der Firma. All das haben sie ihren früheren Arbeitgebern vorenthalten, obwohl die höhere Gehälter zahlen. Ingo Bertzen macht darauf aufmerksam, dass bei DooYoo alle Leute mit leuchtenden Augen herumlaufen. Selbst die Ringe darunter können den Glanz nicht verdunkeln.“
Arbeiten mit Engagement, Wirtschaft als zivilisierte Form von „In den Krieg ziehen“, Stämme und Banden bilden und sich gemeinsam gegen andere behaupten – ja, das macht grossen Spass, ohne Zweifel! In jungen Jahren weiss man nicht so recht, was man ist und was man will, möchte sich also vor allem ausprobieren, Erfolge erleben und von anderen anerkannt werden. Dieses Kraft-Potenzial für die Wirtschaft wieder nutzbar zu machen ist eine positive Veränderung – das „dagegen sein“, wie es für meine Generation der Post-68er typisch war, ist ja auf Dauer keine abendfüllende Beschäftigung.
Und ich bin gespannt, was die „Superglücklichen Malocher“ so anstellen, wenn sie da durch sind, wenn sie jede Menge Erfolg und Geld angehäuft haben. Ob sie dann so fest in den Mechanismen der Profit-Maschine stecken, dass sie sich niemals fragen „Wozu?“ und immer so weitermachen? Dass die New Economy-Erfahrung noch nicht Selbstverwirklichung ist, wissen ja schon die Einsteiger, die gern erzählen, dass sie jetzt mal ein paar Jahre ‚ranklotzen wollen, um die Kohle für den Rest des Lebens zu erbeuten, sprich: um DANN vielleicht frei sein zu können.
Quantität ist nicht Qualität und Geld ist nunmal nur ein Joker. Einen Joker setze ich ein, wenn mir eine ganz bestimmte Karte fehlt – doch ein Spiel nur mit Jokern ist undenkbar. Wer sein ganzes Streben auf das Sammeln von Jokern ausrichtet, lernt nie, zu erkennen, welche Karte ihm fehlt, welches Spiel er überhaupt machen will.
Der Zwang zum MEHR ohne jeden Blick auf das WAS und WARUM ist die grosse Ödnis im Kapitalismus. Das sag‘ ich ohne Vorwurf und Alternative. Immerhin hat der Einzelne die Chance, zu lernen und sich anders zu orientieren, wenn auch der unausweichlich erforderliche Austausch mit der Umwelt es erfordert, Kompromisse zu machen, den Moloch ein bißchen zu füttern.
Ich stelle mir gerade vor, wie dieses Diary wohl sein müßte, um PROFITABEL zu sein! Andere Themen, intime Geschichten, anderes Outfit, viele Bilder, allerlei Shops, Banner bis zum Abwinken und 1000 Besucher am Tag – schon würde es flutschen, doch auf EUCH ca. 80 Besucher/Tag müßte ich verzichten, eure komischen unprofitablen Nischeninteressen würden im Relaunche untergehen. Dafür würde ich MEHR GELD verdienen, das ich dazu verwenden könnte, mich persönlich bestens zu inszenieren – in der Hoffnung, damit vielleicht Menschen, wie ich sie mag, von mir einzunehmen. Ein paar von euch 80 wären sicher darunter, wenn ich Glück habe.
Absurdes Theater, nicht? Aber der UMSATZ würde stimmen.
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