Gestern waren hier 213 Besucher, weit mehr als doppelt so viel wie sonst. Seltsam ist, dass an der Referenzliste bei WebHits nicht zu erkennen ist, woher sie kamen. Keiner der dort erfassten Links auf dieses Diary war die Quelle, schon komisch. Na, das Web hat halt so seine Geheimnisse…
Heute will ich Euch mal ein außergewöhnliches Surf-Ziel vorschlagen:
Mji wa Huruma, the First Slum on the Internet (im Webarchiv)
Diese Website wird von Matumaini Youth Group betrieben, einer Jugendgruppe, die in einem Slum am Rand von Nairobi lebt und arbeitet. Hier kann man den Altlag der Slumbewohner erleben, durch die Dorfstrasse gehen, in Häuser eintreten, die neuesten Nachrichten lesen und im Diskussionsforum mit den Slumbewohnern in Kontakt treten.
Der Autor Martin Auer schreibt dazu:
Bei meinem Aufenthalt in Kenia in diesem Frühjahr habe ich mitgeholfen, diese Website aufzubauen. Mit dieser Mail möchte ich sie euch/Ihnen ans Herz legen. Es ist auch möglich, mittels Kreditkarte übers Web Geldspenden zu überweisen…:-)
Ich bin gespannt, wie sich diese Initiative entwickelt – eine netzgestützte Entwicklungshilfe von unten?
Fette Soße
Wenn ich so mitbekomme, wieviel Energie, Kreativität und Herzblut in die Gestaltung von Webseiten der New Economy fliesst, um sie für den Surfer (meist: Kunden) schneller, ergonomischer, nützlicher zu machen, frag‘ ich mich manchmal schon, ob es auf diesem Planeten eigentlich sonst nix mehr zu tun gibt. Ich weiß, das ist in der Spaßgesellschaft einfach nur ein langweiliger Gedanke, doch ich kann ja nichts dafür, dass er mir kommt. Nicht, weil ich etwa noch von einem unzeitgemäßen Samaritertum oder Weltrettungsbedürfnis geplagt würde, nein! Was mich stört, ist die Tatsache, dass es uns materiell immer besser geht, ohne dass dadurch jemand glücklicher, wacher, intelligenter, großzügiger oder gar weiser würde. Es ist, wie wenn man in eine gute Soße immer mehr Creme Fraiche giesst: Anfänglich macht es die Soße NOCH wohlschmeckender, doch bald schlägt es ins Gegenteil um, sie verliert an Geschmack und wird zu einer überfetten Brühe ohne besonderen Charakter, außer dem, dass sie das eh schon zu fette Volk noch kränker macht. Und anstatt sich was zu überlegen, stürzen sich alle in die Produktion von immer mehr Creme Fraiche!
Sparen ist blöd
Vor diesem Hintergrund wirken übrigens die ständigen Apelle unglaublich absurd, die mir von allen Seiten zuschreien, ich solle doch hier und dort und da noch ‚was SPAREN: der NOCH GÜNSTIGERE Netzzugang, die Homepage für nur 99 Pfennig, das Kilo Schweinefleisch zu 5.99, auf dass die Gülle zum Himmel stinke, das Konto bei der anderen Bank, die NOCH WENIGER Gebühren nimmt, die preisgesenkte Fernreise auf die Seychellen und die rabattierten Klamotten: Igitt! Ich will nicht sparen! Alle, die mich auf diese Weise ansprechen, appellieren an den Geist des Geizes, der Kleinkrämerei, der „Wer den Pfennig nicht ehrt-Mentalität“, die vielleicht in der Nachkriegszeit ihre Berechtigung hatte – heute ist das alles eine bösartige Gehirnwäsche, die den Einzelnen im Gefühl des Zu-Wenig-habens einschweißen soll, auf dass er nichts anderes in Herz & Hirn bewege, als die Jagd nach dem nächsten Schnäppchen.
Aber denk doch an die Armen, an die wachsende Kluft zwischen den Information-Poor und der kompatiblen Klasse, mag jetzt jemand einwenden. Tu ich, ich denke dran – und sehe, dass die einfachsten Lösungen nicht angegangen werden, weil hierzulande noch immer ein lächerlicher Arbeits-Ethos hochgehalten wird („Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“ – Paulus), der es schlicht verhindert, dass man „die Armen“ mit einem Grundeinkommen versorgt und ihnen nicht weiter über die Ämter das Leben schwer macht.
Das ist nicht so dahingesponnen, sondern wäre leicht machbar, wenn man den Bedarf an einfachen Arbeitskräften dadurch decken würde, dass man Asylbewerbern das Arbeiten erlaubt. UNSERE Sozialhilfeempfänger bräuchte man dann nicht mehr mittels des „Lohnabstandsgebots“ zu nerven, das es erfordert, dass sogenannte „niedere Arbeit“ MEHR Geld bringen muss als die Sozialhilfe. Ja, diese Löhne könnten sogar sinken, da solche Einkommen für (Wirtschafts-)Flüchtlinge aus der Dritten Welt noch immer wesentlich besser sind, als das, was sich ihnen in der Heimat bot. Allen Beteiligten wäre geholfen, auch würden die Asylbewerber aus der Schußlinie kommen, die sich ja immer aus dem Neid der Marginalisierten speisst: „Die hängen ‚rum und lassen sich versorgen…“, so redet nur jemand, der das als anstrebenswerten Zustand betrachtet, der ihm selber verschlossen ist.
Statt dessen wird aktuell versucht, die Zahl der Asylbewerber zu senken und noch mehr Druck auf inländische „Arme“ auszuüben, damit sie die MacJobs annehmen, die sie nicht wollen, über die andere aber glücklich wären. Es wird nicht funktionieren, genauso wenig, wie etwa die Erdbeer- oder Spargelernte hierzulande noch ohne Gastpflücker aus dem Osten zu leisten ist.
Genug Politics. Ich verstehe die politische Abstinenz der „kompatiblen Klasse“ gut, die von der Rationalität der Maschinen und Programme verwöhnt ist. Da kann man eine Fehlfunktion erkennen und sobald die Lösung gefunden ist, wird sie angewendet. Wogegen man in der Politik mit Gefühlen konfrontiert ist, Gefühlen des Neids, des Hasses, der Aus- und Abgrenzung – und dies alles noch bemäntelt durch Pseudo-Argumente, was es praktisch unmöglich macht, einen rationalen und ernst gemeinten Diskurs zu führen. Diejenigen, die ihn führen könnten, kleben ihrerseits an Idealen, die sie nicht bereit sind, zugunsten der Realität loszulassen – zum Beispiel das Ideal der Gleichheit, dass es verunmöglicht, für unterschiedliche Gruppen auch unterschiedliche Sektoren auf dem Arbeitsmarkt einzurichten.
Zum gestrigen Beitrag „Der Wallert-Virus“ sagte ein Freund: „Ja, das Denken wird uns von allen Seiten abgewöhnt!“ Vielleicht geschieht das deshalb, weil zu Beginn des 21. Jahrhunderts nicht mehr zu verbergen ist, dass das Denken nicht geholfen hat?
Mehr Spaß?
Wem das jetzt zu ernst war, dem sei zur verdienten Erholung der Artikel
Gemeinsam das Meer erreichen
Die nächste dotcom krepiert bestimmt
empfohlen. Direkt aus dem wilden & abenteuerlichen Wirtschaftsleben der New Economy, unbedingt lesen!
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