Das schwergewichtige Thema von gestern muß ich wohl an einem anderen Tag weiterschreiben. Michaels ausschweifender Kommentar im Forum freut mich, doch im Moment packe ich es einfach nicht, „niveauvoll“ zu sein. Ganz allgemein hab‘ ich derzeit Schwierigkeiten mit der Motivation, keine rechte Lust zu gar nichts. Aber: was heisst hier überhaupt „Schwierigkeiten“? Eine überflüssige Bewertung! Warum zum Teufel soll mensch dauernd motiviert sein? Wohin soll’s denn gehen? Was sollte ich denn erreichen? Fehlt mir was? Nein, leider nicht! :-)
In früheren Zeiten bin ich in solchen Phasen unverdrossen ein Stück in Richtung Selbstzerstörung gegangen: mich betrunken bis zum Anschlag, krank geworden, Depressionen geschoben, Schuldige gesucht, die unkaputtbaren Übel der Welt verantwortlich gemacht, theatralisch an der großen Sinnlosigkeit gelitten – na, jedenfalls mich in ein tiefes Loch gestürzt, bis es nicht mehr auszuhalten war. Und: da war sie dann wieder, die vermisste Motivation! Sich mühevoll aufzurappeln und wieder halbwegs Welt-kompatibel zu machen, ist ja auch eine Aufgabe, wenn schon sonst nix anliegt.
Vorbei! Nicht mal schlechte Laune kommt auf, während ich eine begonnene Mail an eine Diskussionsliste mitten im Schreiben lösche, weil mich die Frage überfällt: Wozu? Trägst du hier was nützliches zur Welt bei? Hat es vielleicht dein Ego nötig, wieder mal Rad zu schlagen? Und weil das NEIN so unvermittelt, ohne Überlegung und in aller Schärfe vor mir steht, drücke ich die Delete-Taste – ohne Wehmut, sogar ohne mir innerlich auf die Schulter zu klopfen, aber mit einer gewissen Verwunderung.
Nicht, dass da keine Ideen, Vorhaben und Pläne wären! Im Gegenteil, ein regelrechter Rückstau von schönen Projekten könnte mich von morgens bis Abends vielfältig beschäftigen. Könnte! Doch im Moment geht es mir damit wie mit den allgemeinen Weltrettungsgedanken: Warum hier helfen und nicht dort? Warum dieses tun und nicht lieber jenes, das ist doch ebenso verlockend? Früher bewegte ich mich wie ein Automat zwischen den wechselnden Aufgaben und Anforderungen hin und her, es kam gar keine Frage auf, ob es das jetzt wirklich ist, allenfalls wälzte ich recht intellektuelle Überlegungen als Rationalisierung für das, was ich sowieso tat.
Auch vorbei! Irgendwann hab‘ ich es aufgegeben, meine Handlungen – vermeintlich – aus dem Denken zu entwickeln, aus meinen aktuellen Meinungen, was jetzt gerade nützlich und sinnvoll wäre. Das bedeutet, nicht mehr der eigene Sklaventreiber zu sein, sondern eher ein Experiment: Ich schau‘ zu, was mich SO SEHR mitreisst, dass ich aktiv werde – und auch während des Tuns sehe ich, was mich bei der Stange hält und wann der Faden abreisst. Das ist sehr lehrreich, weil dabei schnell klar wird, dass die Motivationen und Energien sich keineswegs „an der Sache“ oder an den jeweiligen Zielen ausrichten, sondern eher an zufälligen Ereignissen, am Wetter, an kleinen unwichtig scheinenden Veränderungen, am Maß der körperlichen Bewegung, am essen und verdauen – so vieles hat einen Einfluss, dass es wirklich lächerlich wäre, zum jeweiligen Ergebnis „Ich“ zu sagen und sich voll damit zu identifizieren.
Ich sehe schon manchen Leser bedenklich die Stirne runzeln: Ist das eine Lizenz zur Unverantwortlichkeit? Soll man vielleicht „aus dem Bauch“ leben, nicht lange fackeln (=überlegen) und einfach zuschlagen, wenn mal ein Haß aufkommt?
Ich weiß nicht, was man soll. Auch den Gedanken, selber etwas zu sollen, hab‘ ich lange verabschiedet (Worte reichen nicht aus, zu vermitteln, was das für eine Befreiung war. Als würde man von jetzt auf gleich 20 Kilo Gewicht verlieren!). Ich kann nur berichten, dass durch die beobachtende Haltung ein absoluter Pragmatismus entsteht, dessen oberster Wert so etwas wie „Seelenfrieden“ ist. Nichts ist da kontraproduktiver als üblen Gefühlen automatenhaft entsprechende Handlungen folgen zu lassen, die neue üble Gefühle erzeugen, bzw. diese ewig lang in der Psyche festhalten. Auch sie zu leugnen oder zu rechtfertigen heisst nur, sie festzuhalten. Verantwortung – sofern das Wort hier noch einen Sinn hat – bedeutet, das Wissen anzuwenden, das sich aus dem Anblick des unberechenbaren Chaos „Ich & Welt“ ergibt: mal ein bißchen die Bedingungen durcheinander schütteln, vielleicht mal wieder ‚raus gehen, Unkraut jäten, Nacktschnecken vergiften oder etwas anpflanzen. Oder sich geistig ganz anderen Ebenen zuwenden – es gibt ja soviele Anreize und Gelegenheiten und wenn sich der „Umraum“ ändert, ändern sich auch meine Gefühle.
Wer allerdings das „Sollen“ untergräbt, holt auch das „Wollen“ vom Sockel. Wünsche und Vorstellungen sind einfach nur noch Wünsche und Vorstellungen – sie kommen und gehen und verursachen nicht mehr automatisch entsprechende Aktivitäten. Im Gegenteil, ich schaue eher kritisch auf die Wünsche und wiege sie gleich ab gegen die Mühsahl, die es mit sich bringen mag, sie zu verwirklichen. Abwarten ist das mindeste – und meist zeigt sich dann: die Vorstellung verschwindet und wird durch eine andere abgelöst (man spart so übrigens viel Geld!).
Gelegentlich befinde ich mich auf diese Weise in einer seltsamen Motivations-Wüste: Nichts ist derart verlockend, dass ich loslegen könnte – doch weil ich nun mal mit einem eher aktiven als kontemplativen Temperament geschlagen bin, gerate ich in eine Anmutung von Unzufriedenheit. Einfach so ‚rumsitzen füllt mich nicht aus. Lieber schreibe ich die nächste Mail an eine Diskussionsliste, oder rufe den Webeditor auf, bastle an Projekt X – bis mir wieder die Delete-Taste ins Auge fällt…
Naja, auch dieser Zustand wird vorübergehen. Und nichts ist so sicher wie das Ende.
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