Über 30 Stunden ohne Computer verbracht, gestern nicht EINMAL eingeschaltet! Kaum kann ich mich an eine so lange Zeit „ohne“ erinnern!
Noch Samstagnacht hatte ich mich mit meinem Gast vom Mieterfest auf der Schloßwiese zurückgezogen, vors Gerät gesetzt und zusammen einen Video-Stream angesehen, der Life-Ausschnitte von einem anderen Fest mit künstlerischen Sequenzen, abstrakten Formen, ungewohnten Anblicken und Bildern von Bildern kombinierte. Ich war beeindruckt, denn die Video-Präsentation nutzte das langsame und „holpernde“ Streaming als wunderbar passendes Stilmittel. Die Herrschaft der Regisseure über die Zeit, die in Film und TV so martialisch für immer schnellere Schnitte genutzt wird, war hier an das Netz abgegeben, Ladezeit eben. Das ergab eine ganz neue Seh-Erfahrung! Ich hoffe eigentlich, dass das Netz noch einige Zeit „zu langsam“ bleibt, dann entwickelt sich vielleicht eine Web-Video-Kunst – genau wie Gif-Animationen, die aus der Unmöglichkeit, eine fliessende Bewegung zu zeigen, ihre besondere Qualität schöpfen.
Etwas absurd fand ich es schon, das „reale“ Fest zu fliehen und mir im Monitor ein „virtuelles“ anzusehen, doch bin ich immer weniger fähig, an einer Party Freude zu finden. Warum also ausharren? Wenn viele fremde Leute am selben Ort aufeinander treffen, können natürlich die, die sich schon vorher kennen, etwas miteinander anfangen. Ansonsten herrscht der Smalltalk oder man betrinkt sich und „tanzt ab“. Vermutlich ist es eine Alterserscheinung, dass mir das nichts mehr bedeutet, aber eine, über die ich mich nicht beschwere, sondern nach der ich mich ganz gerne richte. Und so hatte ich mir EINEN persönlichen Gast eingeladen, mit dem ich auch ganz gut ohne Fest ausgekommen wäre. Wir sind dann so hin und hergelaufen, mal drinnen gelaudert und gesurft, dann wieder draußen mit anderen am Feuer gesessen.
Ein Aspekt, der auf Festen aller Art seltsam anmutet, ist die Unfähigkeit des „Abendländers“, zu feiern, bzw. die Versuche, dieses Unvermögen zu überwinden oder zu vergessen. Es klappt noch halbwegs bei Leuten unter 30, für die der Reiz eines Festes immer auch darin liegt, ein interessantes Exemplar des anderen Geschlechts zu treffen. Darüber – und jenseits dieser Motivation – tut sich ein kulturelles Loch auf: Wir sind nun mal auf Rationalität konditioniert, zudem feiert auf einem Fest üblicherweise keine existierende Gemeinschaft, sondern die Anwesenden, von hier und da Eingeladenen, sollen ohne jeden Vorlauf in die Festgemeinschaft eintauchen – ja wie denn?
In früheren Zeiten und bei anderen Kulturen war das Fest Höhepunkt und Folge einer gemeinsamen Erfahrung: das Ende der hungrigen Fastenzeit, das Einbringen der Ernte, eine erfolgreiche Jagd, ein geschlossener Friede – entsprechend kann heute ein junges Unternehmen den ersten großen Auftrag feiern, eine Polit-Gruppe ihren Erfolg. Doch schon bei Anlässen wie Hochzeit, Taufe, Geburtstag, eigentlich ganz traditionelle Anlässe, tut sich das Loch auf: Der Anlass hat für die aus allen Richtungen zusammengerufene Menschenversammlung üblicherweise keinerlei existenzielle Bedeutung. Wie also feiern?
Trinken und vergessen ist dann oft die Methode der Wahl – doch das Vergessen funktioniert schlecht, auch wenn afrikanische Trommeln und indische Gesänge an die ekstatischen Feste anderer Weltgegenden erinnern und uns auf die Sprünge helfen wollen.
Sonntags nie
Gestern morgen bin ich mit meinem liebsten Freund nach Güstrow gefahren. Eine spontane Idee: gar nicht erst das Gerät eingeschaltet, kein Diary geschrieben, sondern ab in die unendlichen Weiten der mecklenburger Landschaften, die durch ihre Leere faszinieren, durch den weiten Blick, die vielen kaum genutzten Seen, die wenigen verschlafenen Dörfer und halbsanierten Kleinstädte, in deren Straßen einfach nichts los ist, nicht mal Sonntags, wenn sich ein paar Touristen hinverirren. Ich liebe Mecklenburg!
Sonntags werde ich in Zukunft kein Diary mehr schreiben – da ich jetzt wirklich regelmäßig schreibe, brauche ich einfach einen Tag frei. Einen Tag, der NICHT damit anfängt, dass ich den Computer einschalte… Wow, ich hab‘ den Sonntag neu erfunden! Und mein Motivationsloch ist auch vorbei.
Zum Schluß ein Tipp für die Schreibenden unter euch: Zum 4.Geburtstag des KriT-Magazins von Ralph Segert findet der Wettbewerb Write5 statt. Fünf gut kommentierte Surftipps sind einzureichen. Es ist mir eine Freude, in der Jury mitzumachen. (Der erste Preis ist ein Palm Vx.) Mir gefällt vor allem die Idee, eines der verbreitetsten „Formate“ des Web, eben den kommentierten Link, zum Thema eines Wettbewerbs zu machen – als Jury-Mitglied gibt mir das Gelegenheit, mal wieder wirklich viel vom Web zu sehen. Bin gespannt auf eure Einsendungen!
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