Seit ein paar Tagen ist das Thema „rechte Gewalt“ in den Medien nun also mal ganz vorn. Offensichtlich wollen die Redaktionen guten Willen zeigen, deutlich machen: an uns soll es nicht scheitern! Das ist ja schon mal was und ich bin gespannt, ob die Bemühung über das Sommerloch hinaus Bestand hat.
Die kommunikative Aufgabe ist ja auch wirklich verdammt schwer: Einer zu Kunden, Konsumenten und schrankenlos flexiblen Arbeitskräften umerzogenen Bevölkerung muss ein „gemeinsames Projekt“ nahe gebracht werden, für das sich jeder EINSETZEN soll, nicht nur etwas „meinen“. Und das Projekt verspricht noch nicht einmal etwas Neues, etwa Zukunft und Innovation, Aufbruch zu einem Mehr oder Besser. Nein, es müssen Grundlagen des zivilisierten Zusammenlebens verteidigt werden, die man lange für selbstverständlich hielt. Das ist, als wollte man die Besucher der Berliner Reichstagskuppel dazu motivieren, doch in die Keller herunterzusteigen und beim Trocken-legen der Fundamente zu helfen.
Wenn ich mit Freunden aus den alten Bundesländern telefoniere, fällt mir auf, dass mancher angesichts des Themas „rechte Gewalt“ noch im Vor-Wende-Denken steckt. Neonazis waren damals ein marginales Problem, es ging um die Ausländerfrage. Vor dem Fall der Mauer (und noch ein paar Jahre danach) verbreiteten die Regierenden ihre „Das Boot ist voll“-Ideologie und die Linken & Grünen verlangten, alle ‚reinzulassen, schliesslich seien wir ein reiches Land. Beide Positionen zusammen verhinderten die Wahrnehmung der Realität, zum Beispiel der, dass in manchen Städten mit hohem Ausländer- und Immigrantenanteil Integrationsprobleme exisitieren, die wahrhaftig nicht nur den Deutschen anzulasten sind. In Berlin verlangte zum Beispiel eine Abgeordnete vom grün-alternativen Milieu in Kreuzberg, doch einfach ein bisschen zusammen zu rücken, um noch ein paar Asylbewerber aufzunehmen. Die „Basis“ war aber bereits dabei, sich in andere Stadtteile zu orientieren, weil den eigenen Kindern die desolate Schulsituation nicht mehr zuzumuten war und türkische Gangs, später auch die Mafia aus dem Osten, den Alltag nicht gerade friedlicher machten.
Die jetzige Lage hat ganz andere Koordinaten und es geht auch nicht allein um Ausländer. Ins Visier der Rechtsradikalen geraten Obdachlose, allein erziehende Mütter, Punks, Langhaarige – alles „undeutsch“ und vernichtenswert. In Mecklenburg, Brandenburg und den anderen neuen Ländern dominieren die Rechten vielerorts die Straßen, sind die einzig existierende „Jugendkultur“, in der der Einzelne Gemeinschaft und Sinn findet, so übel dieser „Sinn“ auch ist. Auf dem Land gibt es praktisch keine bezahlte Jugendarbeit mehr und in den Schulen haben die Lehrer seit der Wende „vorschriftsgemäß“ damit aufgehört, gesellschaftliche Werte zu vermitteln („ist doch jetzt Sache der Eltern…“) – wie hätten sie das auch tun können, angesichts ihrer Vergangenheit? Schließlich hatte die ganze Bevölkerung extreme Umorientierungsprobleme, da sich alles, aber wirklich ALLES geändert hat, vom Arbeitsleben bis zum Fahrkartenautomaten und zum hinterletzten behördlichen Vorgang.
In der aktuellen ZEIT ist ein wunderbarer Artikel von Peter Schneider: Der Zerfall des Zivilen, den ich allen heftig empfehle:
„Wer vor vier oder fünf Jahren auf die neue Qualität der Gewalt unter Jugendlichen hinwies, sah sich als Kulturpessimist oder als Lobbyist der Polizei angeschwärzt. Wichtiger als die Wahrnehmung der Tatsachen war die Frage, ob diese mit dem Weltbild der Experten und Debattengurus vereinbar waren. Hörte man ihnen zu, so gewann man den Eindruck, die Soziologen, Sozialtherapeuten, Psychologen und Sozialhelfer der Republik hätten sich verschworen, das Phänomen der zunehmenden Gewalt durch Erklärung zu beseitigen.“
Schneider nimmt einen Grundpfeiler ehemals linken Denkens aufs Korn: die Vorstellung, der Mensch sei an sich gut und werde durch äußere Faktoren böse gemacht. Was dazu führt, dass Intellektuelle im Kritisieren & Klagen über „die Zustände“ verharren und damit nichts, aber auch gar nichts gegen die Zustände „da draußen“ ausrichten.
Ich will das nicht vertiefen, sondern einen anderen Aspekt aufgreifen: Wer wesentlich mittels der Worte und Texte mit der Welt in Verbindung tritt, ist immer denen unterlegen, die fähig und bereit sind, körperliche Gewalt anzuwenden. Wer nur leise und überlegt sprechen kann, zuckt zurück, sobald ihn jemand ANSCHREIT. Ist die Situation dann vorüber, wird der Schreiber einen Text verfassen, der seine geistige Überlegenheit erneut deutlich macht. Damit ist der Seelenfrieden wieder ein bisschen gekittet, bis zum nächsten Mal.
Sobald die Gewalttätigkeit einer Gruppe oder Minderheit den Rahmen überschreitet, der von Polizei und Rechtsstaat in friedlicheren Zeiten garantiert werden konnte, sieht die Republik der Autoren und Mausklicker verdammt alt aus! Was soll man da bloss machen? „Joggen gegen rechts“ wird nicht viel ausrichten, schon gar nicht, wenn es die ersten Jogging-Runden sind, die sich einer um der guten Sache Willen zumutet.
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