Den gestrigen Beitrag Wahrheit oder Gehirnwäsche? hatte ich auch im STERN-Raucherforum gepostet und damit heftigen Wiederspruch geerntet. Dazu muss man wissen, dass dieses Forum ungemein überlaufen ist und extrem schnell durchscrollt – ein Grund, dort allenfalls mal eine URL zu hinterlassen, zum richtigen Gedanken-Austausch ist es viel zu ungemütlich. Umso mehr wundert es mich, wenn dann doch lange „Widerlegungen“ kommen: Warum, um Himmels Willen macht sich da jemand die Mühe, in einem anonymen Rahmen „an Unbekannt“ so ausführlich und voll agressiver Energie zu antworten? Naja, der Schreiber nennt sich immerhin Fumo, das heisst „Rauch“, und das ganze Forum ist ein Raucher- und kein Nichtraucherforum. :-)
Genug davon – für jetzt. Ich kann mir gut vorstellen, wie sehr dieses Thema manchen langweilt, der damit nun mal nichts am Hut hat. Sorry, aber hauptsächlich schreib‘ ich dieses Diary für mich: als Selbstverständigung, zur Ordnung der Gedanken und Gefühle, und als ein Experiment in der Frage „Wer bin ich?“. Wenn ein Text nämlich mal „draussen“ ist, dann verändert er sich auf geheimnisvolle Weise in einen Beitrag zum Thema „Wer will ich sein?“, auch wenn ich darauf wert lege, halbwegs authentisch zu schreiben und nichts definitiv Falsches einfliessen zu lassen. Diese Tatsache immer wieder zu beobachten, ist schon an und für sich lehrreich. Man kann dabei feststellen, wie Texte es doch niemals vermögen, ein Ganzes abzubilden, bzw. wie dieses Ganze sich eiligst ändert und seinem Begräbnis in den Festschreibungen immer wieder davonläuft. (Glücklicherweise behindert mich keinerlei VERPFLICHTUNG gegenüber unbekannten Lesern, explizit „ehrlich“ zu sein. Ihm oder ihr könnte ich ohne den Schimmer eines Schuldgefühls das Blaue vom Himmel herunterschreiben, schliesslich werde ich hier mehr oder weniger in der Sparte „Unterhaltung“ konsumiert. Andrerseits ist das absichtsvoll Simulierte für mich sehr viel langweiliger und anstrengender als das, was „von selber“ kommt – das mach‘ ich also verständlicherweise nur noch gegen Bezahlung.)
Werkstattbericht: Mehltau über dem Web
Tja, so langsam gerate ich doch wieder ins arbeiten, ein Glück! Zwar ist es nicht der große Motivationsschub, die durchgreifende Veränderung, der ganz neue Elan, – sowas kann man wohl nur im Frühling und nicht im November spüren – doch das Gefühl der Lähmung, der absoluten Ablehnung aller Aktivitäten ist vorbei. Und so langsam beginne ich mich wieder für das zu interessieren, was ich vorhabe. Da ist zuvorderst das Webwriting-Magazin, für das jetzt die ersten Artikel in Arbeit sind. Sowohl die Inhalte als auch das Design des Cyberzines entstehen ganz neu, alles, was vor Monaten schon einmal vorlag, wird links liegen gelassen, allerhöchstens ausgeschlachtet. Anders als bei fast allen vorherigen Projekten steht im Moment auch DESIGNERISCH der Inhalt im Vordergrund, der Text, der Sinn. Der erste Artikel wird über den Webguru Nielsen („Designing Web Usability“) gehen und befindet sich damit inmitten der Kontroverse und der Entwicklungen, die auch zu meiner monatelangen Depression bezüglich der Web-Arbeit beigetragen haben.
Es ist mir aus guten Gründen in der letzten Zeit nicht mehr gelungen, ein neues Magazin-Design zu entwickeln, das meinen eigenen Ansprüchen genügt. Wie ich jetzt bei der Arbeit am Artikel bemerke, lag das daran, dass es grundfalsch war, wieder eine neue SCHUBLADE, bzw. ein REGAL für beliebige Texte schaffen zu wollen. Dieses eigentlich öde Bemühen hat bei mir eingesetzt, als ich 1996 mein erstes Frameset für Missing Link baute (weil es soviel Arbeit spart…) und stellt sich heute webweit so dar, dass Programme beliebige Inhalte aus verschiedensten Datenbanken auf Designvorlagen zusammensetzen, die von den Inhalten völlig unabhängig sind. Genau dieses Herangehen zerschlägt die Einheit von Form und Inhalt, die nun einmal das Ideal ist, das im Herzen eines jeden Autors liegt; noch dazu ein Ideal, das sich – wie gute Webdesigner wissen – im Web sogar verwirklichen lässt, wenn man sich die Arbeit macht.
Die „Magazinform“ als Container hat heute eine Standardisierung erfahren, die jeder kennt, weil sie bei jedem zweiten Mausklick erschient: Dreispalter, links und rechts allerlei Navigation und Werbung, in der Mitte kurz angerissen diverse Artikel, drüber Bannerplatz und Erscheinungsdatum, drunter Impressum, Zusatzangebote…. gähn. Ich verspreche nicht, dass das Webwriting-Magazin letztlich ganz anders sein wird, vielleicht ist das ja die „optimale Form“. Doch erlebe ich jetzt immerhin, dass ich auf jeden Fall ganz anders herangehen muss: nämlich beim LayOut des zentralen Contents beginnend, bei der bestmöglichen Präsentation eines einzelnen Artikels, die Erfordernisse des künftigen Magazins nach und nach darum herum wachsen lassend – und immer erst dann, wenn man sie braucht, nicht von vorne herein ein für alle mal.
Denn, das hab‘ ich schmerzhaft gemerkt: man kann sich monatelang damit befassen, einen Magazin-Mantel mit allem SchnickSchnack zu entwickeln, der heute üblich ist, und sich dabei immer weiter vom ursprünglichen Impuls entfernen, warum man dieses Magazin eigentlich wollte: Um bestimmte Inhalte zu kommunizieren, um Angelegenheiten zu verhandeln und Einfluß auszuüben in einem Sinne, den man für richtig und nützlich, für gut und schön hält.
Ich bin praktisch der Hynose erlegen, die der kommerzielle Sektor über das Web gelegt hat wie Mehltau. Es geht da ja nicht mehr um Kommunikation, nicht einmal um die viel beschworenen NÜTZLICHEN Anwendungen – nein, in aller breit angelegten Ödheit geht es nur noch darum, wie man im Web Geld verdienen kann, und zwar so viel, dass es den Kapitalmarkt dauerhaft interessiert. Ein Bekannter mailte mir gestern:
„…Die ganze momentane Stimmung im Web gefällt mir nicht mehr. Zu viel Cash, zu viel Geballer, zu viel Status Quo, zu viel Phrasendrescherei. Das ist nicht mehr das inspirierende Umfeld, in dem ich mal angefangen habe, sondern kommt mir manchmal eher vor wie die Plastikbank an der Bushaltestelle im Gewerbegebiet …“
Richtig, so ist es. Und ich sage trotzdem: Der kommerzielle Sektor irrt! Der Kaufklick mag alles sein, was ihn bewegt, dies gilt aber bei weitem nicht für den Menschen schlechthin. Ich brauch‘ gar nicht die Pose der Cybervisionärin einnehmen, um vorauszusagen, dass auch in zehn Jahren von hundert Mausklicks (bzw. entsprechenden Akten), noch immer 99 KEINE Kaufakte sein werden! Dem Nemax 50 wäre von daher zu wünschen, dass er demnächst die 2000 Punkte wieder sieht. Vielleicht würde dann allgemein soviel Ernüchterung einsetzen, dass im Web wieder Inhalte erscheinen, die auch von jemandem GEMEINT sind – und nicht nur als Pausenfüller da stehen, weil ja nicht jeder Klick ein Kaufklick sein kann….
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