Der Eintrag gestern scheint gefallen zu haben: ein paar Mails mehr als sonst, einige Info-Mail-Bestellungen. Vielleicht sollte ich da weiter schreiben, was spricht schon dagegen, auch meine Yoga-Geschichte zu erzählen? Das läßt sich sowieso nicht mehr trennen vom „Rest“: alles, was ich erlebe und schreibe, ist davon geprägt, wenn ich auch immer darauf verzichtet habe, explizit „über Yoga“ zu schreiben. Mit einer Ausnahme: der Artikel „Entspannung“ ist zum Jahreswechsel 1996/97 entstanden und bringt meine erste und wichtigste Erfahrung mit Yoga auf den Punkt: dass der Körper, das Denken und Fühlen nicht drei unterschiedliche „Dinge“ oder Welten sind, sondern Aspekte ein- und desselben Ganzen. Wie viele Yoga-Erkenntnisse hört sich das verdammt banal an, man kann damit kaum im Gespräch glänzen. Aber es ist ein gewaltiger Unterschied, ob ich glaube, ich sei ein unabhängiges Wesen (genannt „ich“), das eine ebenso unabhängige Welt wahrnimmt, und dann diesen Wahrnehmungen entprechende Gedanken, Gefühle und Körperempfindungen HAT – oder ob ich weiss, dass das nicht der Fall ist.
Feststellen, was ist
Ja, was denn statt dessen? Dies abstrakt und allgemein zu formulieren, will ich lieber auch weiterhin nicht versuchen. Für diejenigen, die das nicht selbst erleben, wären solche Zusammenfassungen nur weitere Gedankengebäude neben ganzen Metropolen aus ähnlichen mentalen Bauwerken, die im Grunde nur ablenken von dem, was ansteht, wenn man etwas wissen will: Hinsehen, beobachten, ganz neutral feststellen, was ist.
Das allein ist schon schwer, wenn man es die ersten Male versucht. Denn wir sind es nicht gewohnt, uns in Stille mühelos auf einen Punkt zu sammeln. Allenfalls schafft man es, sich angestrengt auf ein Ziel zu konzentrieren, die Aufmerksamkeit liegt dann immer knapp VOR dem, was ist, nämlich bei dem, was man erreichen will – und natürlich auf der Anstrengung selbst, sei sie nun schwerpunktmäßig körperlich oder eher mental.
Hatha-Yoga nutzt diesen leidigen und erkenntnisarmen Status Quo als Ausgangsbasis: Jede Übung geht langsam in eine körperliche Anspannung hinein. An der Grenze zum Schmerz (vorher!) wird angehalten: Diese Haltung ist das, was in den Yogabüchern üblicherweise abgebildet ist, meist in sehr fortgeschrittener Form, so dass der arme Betrachter denkt: „Oh je, das würd‘ ich nie schaffen!“ Man sollte mal ein Yoga-Buch herausbringen, wo ganz normale Leute die Übungen vorführen, weder besonders schöne Menschen, noch besonders WEIT gehende Verrenkungen und Verbiegungen. Denn darauf kommt es zu allerletzt an, ja, das „möglichst weit“ ist genau das, wovon man durch das Üben wegkommen soll: Kein Ehrgeiz! Kein zähneknirschendes Schmerz-aushalten! Sondern: an die Grenze gehen, dort anhalten und beobachten, was geschieht. Still halten, atmen, darauf achten, dass die Haltung „stimmt“ – und NICHT drücken oder ziehen und versuchen, „weiter“ zu kommen.
Schafft man es endlich, dieser doch recht einfachen Weisung zu folgen, stellt man fest, dass sich „an der Grenze“ auf einmal alle Muskeln entspannen, die für das Einnehmen der jeweiligen Haltung nicht erforderlich sind. Auch das klingt wenig spektakulär, doch die Wirkung ist frappierend. Über Wochen und Monate geübt, verlernt der Körper, die ganz gewöhnlichen Mit-Verspannungen zu vollziehen, die unser Lebensgefühl in hohem Maße ausmachen. Ein Baby und ein Kleinkind sind noch wirklich entspannt, doch schon mit dem Kindergarten beginnt der Prozess, der uns formt, um uns für die Sozialität und die Zwänge der Erwachsenenwelt fit zu machen. Allein schon das erzwungene Sitzen über nicht kindgerecht lange Zeiten ist Einübung in künftiges Unglück, doch zusätzlich wird uns der frei fliessende Atem genommen, der Brustraum zum starren Panzer umgemodelt und der Bauch ans „einziehen“ gewöhnt – Haltungen der Angst und Enge, aus denen wir nicht so ohne weiteres wieder herauskommen. Wir bemerken sie gar nicht mehr, sondern nehmen an, unser Grundgefühl der Welt gegenüber sei normal und angemessen. (Kein Wunder, was für eine Welt und was für ein Miteinander dann SO tatsächlich ensteht!)
Dass unsere Gesellschaft Sex in besonders kranker Weise betont, hat auch damit zu tun, dass der Orgasmus immerhin ein Moment ist, wo mensch sich mal entspannt – danach, wohlgemerkt, leider in der Regel erst danach. Ein kurzer Moment, der wirklich jeden fühlen läßt, wie das Leben auch sein könnte. Doch welche Hürden und Verstrickungen, welche sozialen, emotionalen und mentalen „Mit-Verspannungen“ sind damit verbunden! Vor dem wirklich einfachen und kostenlosen Vergnügen stehen so viele Hürden, Ängste und Pflichten, als gelte es, mit aller Kraft zu verbergen, WIE EINFACH es ist, sich wohl zu fühlen. Man könnte ja auf die Idee kommen, schon VOR dem Orgasmus locker und entspannt zu sein (bzw: nur das Nötigste anzuspannen.. :-). Oder beim Bumsen nicht stehen zu bleiben, sondern grundsätzlich jede Situation ganz entspannt anzugehen: Ohne Festhalten an Mauern und Zäunen, ohne innere und äußere Starre, ohne Druck und Angst, weil wir wissen, dass wir sowieso nichts besitzen, also auch nichts verlieren können.
Stopp! Hier mach‘ ich Schluß für heute, bevor ich ins spirituelle Schwärmen oder Schimpfen gerate. Die freien Assoziationen haben mich eh in Gebiete geführt, die ich eigentlich gar nicht aufsuchen wollte, doch zum Glück fühl‘ ich mich entspannt genug, ihnen einfach zu folgen.
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