Wer mal Gitarre oder ein anderes Instrument gelernt hat, weiss, dass es schier endloser Wiederholungen bedarf, bis ein Stück „sitzt“, bis es einfach so flutscht und man während des Spielens nicht mehr daran denken muß, wie die Finger bewegt werden müssen. Auch alle handwerklichen Tätigkeiten brauchen diese Lernzeit: Die ersten Tapetenbahnen werden meistens schief oder fallen gleich wieder von der Wand, die erste eigene Lackierung bekommt Risse, das erste Augen-Make-Up verschmiert gnadenlos, anspruchsvollere Künste benötigen gar Jahre der Übung. Ebenso verhält es sich mit dem Tanzen (jenseits des sogenannten „Freistils“) und den unterschiedlichen psychophysischen Übungssystemen wie z.B. Yoga oder Tai Chi: zu Anfang kommt man sich vor wie ein Sack Holz.
All diesem Lernen ist gemeinsam: Man VERSTEHT die Aufgabe weit früher, als dass man die Sache beherrscht, ja, das Verstehen ist der geringste Teil der Übung. Man erkennt in solchem Üben den Unterschied: Verstehen (im Sinne von „Durchblick“) findet allein auf der mentalen Ebene statt, der Körper – einschließlich der Gefühlsebene – lernt anders. Besonders spektakulär ist der Unterschied zwischen rein mentalem und mehrdimensionalem Lernen in Bezug auf die Zeit: Praktisch „ohne Zeit“, in einem augenblicklichen Aha-Erlebnis gewinnen wir den Durchblick, doch eine neue körperliche Fähigkeit wird niemals ohne entsprechende Übungszeiten erworben. Allein „vom Kopf her“ betrachtet, erscheint der Körper zumindest als „schwer erziehbar“ – und das ist noch recht freundlich ausgedrückt!
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Alles Können, das den Körper einschließt, ist in der heutigen Welt offensichtlich bedeutungslos: In stetem „Weltverbessern“ haben wir eine Technik entwickelt, die uns von körperlichen Anstrengungen befreit. Statt Menschenkraft oder Pferdestärken aufzuwenden, verheizen wir die Ressourcen der Erde. Weißt du oder weißt du nicht? In der Wissensgesellschaft wird alles Wissenswerte abgespeichert, auf das Faktenwissen kommt es an und auf die Kenntnis der Methoden, es zu erwerben und anzuwenden (= „klug suchen“). Schon Kinder werden von klein auf zum Sitzen & Denken gezwungen, auf dass sie später in der Lage sind, die Megamaschine zu verwalten und weiter zu entwickeln: Sitzend vor einem Gerät, die MACHT allein in den Fingerspitzen, klicken Sie jetzt! –
Schrecklich, sich dann eines Tages in der Lage des sagenhaften König Midas vorzufinden: Ihm war der Wunsch erfüllt worden, alles möge zu Gold werden, was er berührt. Bald ist er aber jämmerlich verhungert, denn auch das Essen wurde zu Gold, sobald seine Lippen damit in Kontakt kamen. Aufstieg und Erfolg, Ruhm und Reichtum sind wie goldene Nahrungsmittel: praktisch gleichbedeutend mit psychisch-emotionalem Verhungern. Es kostet sehr viel vom Leben, ein erfolgreicher Homo Ökonomicus zu sein, stets auf den eigenen Vorteil und den Nutzen für das persönliche Weiterkommen bedacht. (Oder warum sind die Wohlsituierten und Reichen dieser Welt sonst so erschreckend fantasielos in der Verwendung ihrer angehäuften Güter? Sie KÖNNEN nicht mehr anders!)
Das andere Lernen: Zwischen 0 und 1
Der Grund, warum ich diese anderwo weit besser formulierten Themen anspreche, ist meine laufende Auseinandersetzung mit Süchten verschiedenster Art. Ich glaube es ja selber kaum: Vom Rauchen war ich noch nie so frei wie heute! Nach mehreren Aufhör-Versuchen in den letzten Jahren scheint jetzt ENDLICH der Punkt erreicht, an dem die Sucht sich – zumindest von dieser Front – zurückzieht. Ihr glaubt gar nicht was das für ein Feeling ist! Kein Gieren mehr auf die Zigarette nach dem Essen, keine stinkenden Aschenbecher, Haare und Klamotten, kein schneidendes Gefühl in den Bronchien, kein leises Röcheln im Atemgeräusch – und keine Unsummen mehr allein dafür, sich selber zu beschädigen und stetig näher an einige wirklich ekelhafte Todeskrankheiten zu bringen!
Wie viele wissen, die schonmal aufgehört haben: Aufhören ist relativ einfach, das Problem ist, nicht wieder anzufangen. Und an dieser Stelle ist mir nun klar geworden, dass es sich um einen mehrdimensionalen Lern- und Übungsvorgang handelt, bei dem mentale Einsicht allein so gut wie nichts bringt. Man weiss ja, wie schädlich das Rauchen ist, doch mit blosser Willenskraft schafft kaum jemand dauerhaft den Absprung. Willenskraft bedeutet hier: Der Sucht widerstehen, obwohl man in manchen Momenten immer wieder mal der Meinung ist, die Zigarette sei (subjektiv) etwas Gutes….
Nun ist es gerade die Sucht, die einen dazu bringt, zu denken, die Kippe sei etwas, auf das man keinesfalls ganz verzichten möchte. Diesem GEDANKEN kann ich immer mehr entkommen, und zwar einerseits durch Umdenken, andrerseits dadurch, dass ich den Punkt des Wieder-Anfangens sehr genau betrachte. Und da stelle ich fest: Nach einer Zeit völliger Abstinenz schmeckt die Zigarette nicht, natürlich nicht. Mich also relativ sicher fühlend, rauche ich dann evtl. am nächsten Tag noch eine – und in dem Moment, in dem sie wieder schmeckt, ist die Falle erneut zugeschnappt: Ich giere nach MEHR, das Leiden an diesem Verlangen ist schnell wieder weit intensiver als alle „Lust“, die eine Zigarette bringen kann. Ja, es wird unübersehbar, dass das eine ohne das andere NICHT EXISTIERT: Rauchen bedeutet eine Kette aus ganzen Wagenladungen an Zigaretten – die EINE geniessen ist ein Mythos, eine Illusion. Es nur zu WISSEN, hat mir nicht geholfen, ich muss es wiederholt erleben.
Im Unterschied zu früher hab‘ ich dann trotz des kurzfristig wieder erwachten Verlangens genug und muss nicht zurück in mein Raucherleben. Das bewusste Berühren der Grenze (nicht so ganz angenehm für die Selbstachtung!) hat endlich zur Folge, dass der ganze Komplex seine Lockungen verliert und ich bin guter Dinge, nie wieder Raucherin zu sein. Statistiken erzählen diesselbe Geschichte: Je ÖFTER jemand ernsthaft aufhört, desto wahrscheinlicher ist der Erfolg.
Mir scheint, die allgemeine Konditionierung auf „nur-denken“ erschwert es, von den Süchten wegzukommen. Es fehlt ein bewährtes Instrumentarium, um mit der Tatsache umzugehen, dass mensch nicht allein auf mentale Kommandos hin funktioniert. Fassungslos verfällt man der „Nikotinbestie“ und verurteilt sich selbst, wird mutlos und hört mit allen Versuchen auf. Wegschauen und weiterrauchen (trinken… fressen…etc.) ist dann das einzige verbleibende Programm.
Und es geht DOCH anders, welch‘ ein Glück!
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