Angesichts der Zerissenheit, die mich bezüglich des Lebens auf dem Land, bzw. in der Stadt umtreibt, schrieb mir kürzlich eine Leserin, die innere Stimme brauche eben Zeit. Gerade aus Berlin zurück, kann ich das nur bestätigen. Anders als das letzte Mal bin ich weniger euphorisiert, aber auch weniger geschafft. Diesmal hatte ich eine „richtige“ Bleibe, in die ich mich zurückziehen konnte, hab‘ mich nicht mit Terminen überlastet und keine anstrengenden feucht-fröhlichen Feste gefeiert. Dafür drei schöne Treffen mit alten Freunde, die sehr inspirierend verliefen: Pläne schmieden, Möglichkeiten ausspinnen, motivieren und motiviert werden, wunderbar! Jetzt hab‘ ich Blasen an den Füßen, weil ich so viel gewandert bin, dabei mehr Schönes, Schräges und Schreckliches gesehen als ich hier in Jahren zu Gesicht bekomme. Wie konnte ich nur denken, die Stadt sei für mich erledigt?
Als ich durch das Szene-Kiez in Friedrichshain lief, fühlte ich mich so zuhause, wie seit 10 Jahren nirgends mehr, nicht einmal mehr „daheim“ im Chamissokiez, wo sich doch diese Anmutung von „zuhause sein“ gebildet hatte. Das Chamissokiez ist nämlich mittlerweile schick fertig saniert, zwar immer noch eine schöne Wohngegend, aber überaltert, fein herausgeputzt, irgendwie dröge. Wogegen in Friedrichshain noch überall die Gerüste stehen, unter denen ich so viele Jahre meine kurzen Wege gegangen bin. An den Wänden finden sich fantasievolle Grafitti und uralte Ladeninschriften, die Kneipen haben ein sehr persönliches Gesicht, Multi-Kulti entfaltet noch ungebrochenen Charme (Yogi-Snack neben Thai-Imbiß neben Falafel-Stand), und die Straßen sind belebt, auch Sonntags morgens, aber wiederum nicht so sehr wie in Gegenden, die von allzuvielen Berlin-Touristen überschwemmt werden.
Immer wieder faszinierend sind die Blicke auf Berlins ehemalige Grenzbrachen, abgewickelte Industriegebiete und Leerräume, die „im großen Wurf“ beplant werden, dann aber mangels Investoren jahre-, vielleicht jahrzehntelang wunderbar schräge Kulissen abgeben. Futuristische Büroneubauten (fast leer), alte Produktionshallen, dazwischen halblegale Besetzer, große und kleine Kulturprojekte und manch wirklich seltsame Wohnform, wie etwa das Hundeboot. Auch Architekten dürfen sich in Berlin ja lange schon austoben: Das Gebäude mit der „dekonstruierten“ Fassade sieht beeindruckend aus – mag aber keiner drin wohnen, was mich nicht wundert! Wär‘ das nur eine Website, die gegen die Regeln von Ergonomie und Usability vertößt, könnte man sie ändern – aber so ein Haus steht dann halt so rum, zum Ruhm der „innovativen“ Planer, doch nutzlos wie ein Kropf.
Als ich dann gar nicht mehr laufen, sondern nur noch humpeln konnte, fuhr ich mit der U-Bahn zum Potsdamer Platz, fotografierte ein bisschen Skyline mit Kränen und setzte mich für eine Stunde ins IMAX, einen 3-D-Film ansehen: T-Rex 3d – erwartungsgemäß ungeheuer platt in Handlung und Dialogen, aber ein High-Tech-Seh-Erlebnis erster Güte! Man hat den Eindruck, mit den Archäologen im Sand zu knien, man hängt mit den Kletterern in der Wand und erschrickt, wenn Steine herunter fallen – am schönsten sind die Flüge durch und über Canons und zerklüftete Berge, alles ist zum Greifen nah und doch sitzt man gemütlich und sicher im Sessel. So, wie es eben nur Medien ermöglichen und die IMAX-Erfahrung so staunenswert auf den Punkt bringt.
Damit bin ich dann wieder angekommen bei meinem „Problem“: Will ich in mehr oder weniger virtuellen Welten leben, von Eindrücken zugeschüttet, geistig ungeheuer angeregt und inspiriert, dabei aber das psychische und physische Dasein vernachlässigen? Oder will ich Tag für Tag Natur, Wind, Wetter, Erde um mich spüren, dafür aber geistig in tiefster Provinz veröden, womöglich doch noch lernen, mit Salat-pflanzen und Hühner-füttern zufrieden zu sein?
Dazu sind mir glücklicherweise ein paar neue Gedanken gekommen – doch für heut‘ ist erstmal genug geschrieben!
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