Für die einen liegt die Würde des Menschen in einem selbstbestimmten Tod, für die anderen darin, dass über menschliches Leben und Weiterleben unter keinen Umständen verfügt werden darf – nicht vom Sterbenden und erst recht nicht von anderen.
Ich empfinde diese Diskussion in ihrer spezifischen Aufgeheiztheit als in weiten Teilen heuchlerisch, wenn auch nicht unbedingt mit Absicht. Hier projiziert die Gesellschaft nämlich etwas in den Sterbevorgang, was sie im Leben davor täglich mehr und mehr verrät und verunmöglicht: ein würdevolles Dasein.
Alte, Kranke, schwer Behinderte werden in Reservaten, Anstalten und Heimen untergebracht, dabei besser oder schlechter versorgt, auf jeden Fall aber den Blicken entzogen, damit sie nicht Sand im Getriebe des Funktionierens sind und niemandem auf die Laune drücken.
Leute im besten Alter werden aus der Arbeitswelt verdrängt, Menschen mit Falten kommen im TV kaum mehr vor, Jugendlichkeit, Fittness, Mobilität und Flexibilität, eben die Anpassungsfähigkeit an wirtschaftliche Prozesse gelten als oberste Werte. Diejenigen, die nicht mithalten können, stehen mehr und mehr unter Kuratel eines sozial-medizinisch-industriellen Komplexes, der selber ein wichtiger Wirtschaftsfaktor ist und als solcher kein Interesse daran vermitteln kann, die warum auch immer Ausgegrenzten wirklich zu integrieren.
Sehr viele Menschen sind lange Jahre vor ihrem realen Hinscheiden „sozial tot“. Wenn daraus der eine oder andere den Schluß zieht, auch physisch sterben zu wollen (viele einsame Alte begehen Selbstmord), dann ist die Aufregung groß – sofern es nicht unbemerkt über die Bühne geht.
Als schlimmstmöglicher Mißbrauch einer Sterbehilferegelung wird immer angeführt, da sei ein sozialer Druck zu erwarten, wenn etwa die Verwandten oder betreuenden Institutionen Nachteile von einem Weiterleben haben. Exakt diese Art sozialer Druck ist doch schon lange unser aller tägliches Leben: Funktioniere oder verschwinde!
Das ist natürlich nicht WÜRDE, aber Würde gilt heute nicht viel und gerade deshalb wird sie für den „letzten Moment“ mit Klauen und Zähnen verteidigt, selbst um den Preis, dass Einzelne sie dabei ganz verlieren.
Wenn ich unheilbar krank bin und meine Behandlung sehr viel kostet, wenn ich nur ein paar Monate mehr oder weniger mit mehr oder weniger Leiden vor mir habe, wenn gar Menschen, die ich liebe, sichtlich unter der Situation leiden, ich also vor allem eine Last bin: wenn ich dann fähig wäre, meinen kreatürlichen Überlebenswillen zugunsten Anderer zu transzendieren und meinen Tod herbeizuführen, dann wäre genau das für mich ein Akt der Würde! Und wenn ich so verfahren will und selbst nicht in der Lage bin, will ich dazu natürlich Hilfe.
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