Heute schau‘ ich mal kurz zurück, z.B. ins Jahr 1996: Meine ersten Artikel „über das Internet“ handelten von Philosophie-Seiten im Web, danach berichtete ich über die Ökoszene und als nächstes waren spirituelle Seiten dran. Überall lernte ich nette Leute kennen, vor allem im Reich der Philosophie. Mein Cyberzine Missing Link trug denn auch den Untertitel „Für Philosophie und Webkultur“ und bot Gelegenheit, über Wirklichkeit und Virtualität zu diskutieren. Ich sammelte Antworten auf die Frage „Was ist Philosophie? (heute alles im Museum), es war eine gute Zeit.
Im Grunde GLAUBTE ich damals schon nicht mehr, dass mir dieses Fragen und Diskutieren irgend etwas bringt, ich moderierte nur ein Thema, an dem entlang sich etwas nachdenklichere Menschen treffen und kennenlernen konnten. Die akademische Variante (z.B: Liste Philweb) interessierte mich erst recht nicht ernsthaft, weder wollte ich beweisen, dass ich in komplexer Denkakrobatik mithalten kann, noch erwartete ich Antworten auf ernste Fragen. Schon im Gymnasium hatte ich nämlich frustriert festgestellt, dass es nur darum ging, was dieser oder jener Denker gemeint hat – und meine Frage, ob er denn „recht hat“ war eine falsche Frage, so ähnlich, als fragte man einen Wissenschaftler, was denn vor dem Urknall war.
Auch die Spiri-Szene war ein Flop, online und offline. Nicht, dass ich die großen Lehren, die Weisen und Erleuchteten nicht schätzte! Noch immer lese ich gelegentlich gerne ZEN-Texte und „Schriften vom Erwachen“, allerdings nicht mehr im Glauben, dass mich das irgendwie weiter bringt. Schon das Wort „weiter“ ist in diesem Zusammenhang mehr als fraglich. Ich lese, weil es den Geist beruhigt und freier macht, und weil es besser ist, mit solchen Texten einzuschlafen als mitten in einer Krimi-Handlung, solange der Mörder noch nicht gefaßt ist.
Ich erhoffe nichts mehr von Texten – und schreibe doch täglich weiter. Wir wissen ja auch, dass wir mit Sicherheit sterben werden, und machen uns trotzdem vor allem Gedanken über die nächste Miete, den Urlaub oder den neuen PC. Das ist zumindest ebenso absurd. Wenn jetzt jemand einwenden wollte, es komme nicht auf Texte und Gedanken, sondern auf die Praxis an, gebe ich ihm sofort recht. Doch kann ich mir eine wie immer geartete Praxis einfach so überstülpen, von hier oder da übernommen, und ernsthaft glauben, das sei es? Natürlich ist fast alles erstmal besser, als in den Bahnen der Gewohnheit zu kreisen, aber aus dieser Irritation entsteht nicht automatisch DIE GROSSE ANTWORT, nach der man sich doch eigentlich sehnt, die Antwort auf die Frage: Woher, wohin, wozu, wer fragt?
Viele Jahre Yoga bei einem „nüchternen“ Lehrer, der alle Gruppendynamik zu verhindern wußte, haben mir immerhin gezeigt, wie ich funktioniere. Gerade die Abwesenheit des üblichen Brimboriums, das Fehlen einer „tröstlichen“ Lehre, das Einüben ins Beobachten und das Aussteigen aus dem Bewerten hat mich bereichert. Mich in die Lage versetzt, Bücher und Texte zu ignorieren, wisserische Diskussionen über Wahrheit und Erwachen zu vermeiden, zu erkennen, dass all das nur den Denkraum verstopft, den man ja durchaus sinnvoll nutzen kann.
Diese überbordende Welt der Lehren, Vorschriften und Meinungen bis hin zu Tipps und Tricks in Sachen Lebenskunst, all die Empfehlungen und Anleitungen und guten Ratschläge: alles gut gemeint und punktuell nützlich. Aber sterben muß ich selber und alleine, leben auch. Was nützt mir also da die Ansicht eines Anderen?
Ich lebe in einer durch und durch absurden und verrückten Welt, in der die Regale und Festplatten mit dem sogenannten Wissen immer größer werden. Wissenschaftler erzählen vom Urknall und wie alles anfing, vermögen es aber nicht, auch nur ein paar abgebrannte Brennstäbe aus der Welt zu schaffen. Ein riesiger medizinischer Apparat frisst uns finanziell die Haare vom Kopf und hat doch keine Ahnung von Heilung. In der New Economy entwickeln die einen mit Feuereifer das mobile Netz, während die anderen das Internet 2 vorantreiben, das es ermöglichen soll, sich nicht mehr vom Fleck zu bewegen, weil man dann virtuell überall „eintauchen“ kann. Die Vorschläge zum gesunden Leben füllen Bibliotheken, erklären aber nicht, warum meine Großtante 96 werden konnte ohne ein einziges Mal Sex zu haben, ohne Sport zu treiben und obwohl sie den ursprünglich vitaminreichen Salat immer erst abgekocht hat!
Also fühle ich mich frei. Niemand kann mir sagen, wo es lang geht. Jeder ist Alice im Wunderland, wandernd durch das Unbekannte. Ist das nicht spannend? Alles Streiten über den richtigen Weg ist überflüssig und hält nur auf. Denn letztlich muß ich doch selbst ein Bein vor’s andere setzen.
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