In den Wochen seit DEM Ereignis hat es mir doch weitgehend die Sprache verschlagen. Das „große Gespräch“, das aus allen Kanälen sämtlicher Medien dröhnte, hat mich regelrecht umgehauen und verstummen lassen. Und zwar nicht wegen etwas Bestimmtem, das da gesagt worden wäre und mich vielleicht verstört oder wütend gemacht hätte, nein, es war das Kommunikationsgeschehen insgesamt, bis hin zu den Mailinglisten, Webforen, Tagebüchern. Es erschien mir, als werde der Krieg zumindest mit Worten vorweg genommen, nicht nur in den traditionellen Medien mit ihren martialischen Akteuren, sondern auch in so „netzigen“ Communities wie den I-Workern (die Liste wurde sogar eine Woche geschlossen!) oder dem Forum der 13, wo es Austritte hagelte. Je emotionaler, desto feindseliger, könnte man zusammenfassen. Und von einem Ereignis wie diesem Terroranschlag bleibt wohl niemand unberührt, auch diejenigen nicht, die sich jetzt wieder ganz cool geben.
Was bringt Menschen im Miteinander-Sprechen derart gegeneinander auf? Wenn ich es mir im Kleinen ansehe, im Bereich persönlicher Gespräche und Auseinandersetzungen, komme ich der Sache eher auf die Spur, als wenn ich versuche, gesellschaftliche Großdiskussionen zu analysieren.
„Scheiß Wetter heute“, sagt jemand zur Begrüßung und zieht die Stirn in unwettergerechte Sorgenfalten. Recht hat er, der Himmel ist trüb und verhangen, es ist unangenehm kühl und feucht. Als Stadtbewohner, für die das Wetter nicht wirklich wichtig ist, können wir uns locker verstehen: Wetter ist allenfalls Stimmungsmacher, es beeinflußt ein wenig die Freizeitgestaltung, aber es haut uns nicht um in unseren geheizten oder klimatisierten Räumen. Anders, wenn ich den gleichen Spruch als Tourist in Mecklenburg loslasse, wenn der Regen am Ende einer Trockeneperiode einsetzt, die den Bauern bei dem ich meine Ferientage verbringe, fast die Ernte gekostet hätte. Vielleicht nickt er zustimmend, weil er die zahlenden Gäste nicht vergraulen will, aber innerlich gerät er vermutlich ins Schäumen angesichts der ahnungslosen Ignoranz, die aus dem schlichten Statement spricht.
Das ist nur ein einfaches, geradezu banales Beispiel, doch macht es die Fallstricke der Alltagskommunikation durchaus klar. Um einander zu verstehen, müßte sich der Bauer mit seinen Sorgen mitteilen (=Schwäche zeigen) und der Tourist müßte bereit sein, sich auf diese Sorgen einzulassen (=Mitgefühl riskieren). Das ist schon viel verlangt, umso brisanter und schwieriger wird es, wenn es sich nicht um einfache Tatsachen handelt, die man quantifizieren und in Mark und Pfennig (Verluste) umrechnen kann, sondern um Urteile, die durch subjektives inneres Erleben zustande kommen, das schlicht nicht objektivierbar ist. Hier erreicht man schnell einen weiteren Point of no Return, der alle konstruktive Kommunikation beendet und Beteiligte zu Gegnern werden läßt: Wenn ich nämlich das innere Erleben des Anderen nicht gelten lasse, ihm seine Wahrnehmungen, Empfindungen und Gefühle einfach abspreche, sie als „unmöglich“, „unwichtig“ oder gar „falsch“ oder „gelogen“ abtue. Damit zerstöre ich die Grundlage aller Kommunikation, es bleibt nur die Kampfhandlung oder das Auseinandergehen (Ignoranz).
Allgemeine Urteile über das Weltgeschehen, politische Statements, sogar wissenschaftliche Aussagen basieren ohne Ausnahme auf subjektivem inneren Erleben und Wahrnehmen (auch das, was ein Meßgerät anzeigt, wird zunächst subjektiv wahrgenommen und interpretiert). Ein politischer Streit, ein wissenschaftlicher Diskurs, ein journalistischer Artikel und auch ein Stammtischgespräch bleibt allermeist auf der von diesem persönlichen Erleben gänzlich abstrahierten Niveau objektivierter Aussagen. Wenn man aber mal in einem persönlichen Gespräch dahin kommt, sich über die Bedeutung von Begriffen auszutauschen, eröffnet sich die Möglichkeit, tiefer zu gehen. Was bedeutet zum Beispiel „Freiheit“, „Gerechtigkeit“, „Fairness“ für den Anderen, ganz konkret? Was ist „Ehrlichkeit“, „Offenheit“, „Liebe“? Alle Versuche, Begriffe jenseits der Subjekte zu definieren, bringen wenig für das menschliche Miteinander, für ein Sich-Näher-kommen. Um sich wirklich zu verstehen muß man sich letztlich die persönliche Lebensgeschichte erzählen: die vielen Geschichten und Erlebnisse, an denen entlang die je eigenen Begriffsdeutungen entstanden sind, die äußeren Ereignisse einerseits, aber viel wichtiger noch das innere Erleben. Und zwar ohne Urteilen und Verurteilen (!), anders geht es nicht.
Liebende versuchen es, auch gute Freunde. Aber wer sonst? Man bleibt lieber dabei, Behauptungen aufzustellen ohne deren Herkommen zu erläutern, Urteile zu verteidigen und Rechnungen aufzumachen. Schlagabtausch statt Gespräch.
Und deshalb hab‘ ich manchmal einfach keine Lust aufs „mitreden“.
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