Die Gen-Debatte ärgert mich. Nicht weil da „Grenzen überschritten“ werden, die uns Gott, die Natur oder sonstwer auferlegt hätte, sondern wegen der verwirrten und verwirrenden Diskussionsweise. Man redet ohne Geschichte, bzw. benutzt die Geschichte allenfalls als Selbstbedienungsladen zur Untermauerung eigenen Wollens & Meinens. Ein gutes Beispiel ist die gerade wieder laufende Auseinandersetzung um die PID (=Selektieren der Embrionen vor dem Einpflanzen in die Gebärmutter). England hat es jetzt in einem Fall erlaubt und alle schreien AUWEIA!
Eilfertig werden Mehrheiten vorgeführt und ein Konsens hierzulande beschworen, den ich für herbeigelogen halte: wer sich auf diesen Weg überhaupt erst begibt, um Kinder zu haben, wird – so vermute ich mal – in der Regel eher dafür sein, das „Beste“ der in Frage kommenden Embrionen einzupflanzen, und nicht irgend eines. Wenn gegen dieses Wollen nun argumentiert wird, als gäbe es keine pränatale Diagnostik, die – vollkommen legal, ja, sogar routinemäßig „nahelegend“ – zur Abtreibung der meisten behinderten Föten führt, dann empfinde ich dieses Argumentieren als haltlos, irgendwie aufgesetzt, ein Moralisieren, dass aller Erfahrung nach binnen weniger Jahre „überwunden“ werden wird. Was sollte Eltern auch davon abhalten, die PID in einem anderen Land in Anspruch zu nehmen?
Beim Bedenken solcher gesellschaftlicher Diskussionen bringt es mir erfahrungsgemäß nicht viel, die Artikel einschlägiger „Zuständiger“ z.B. in der ZEIT zu lesen. Dabei geht es mir unter Umständen so, dass meine Haltung zur anstehenden Frage von Woche zu Woche wechselt – weil die Debattierer auf ihre je eigene Weise derart brilliant und fundiert sind, dass man ihrem Denken erstmal nur zustimmen kann – bis zum nächsten Donnerstag!
Was letztlich zur Praxis und dann auch zum Konsens wird, finde ich eher, indem ich in mich hinein lausche. Wie würde es mir im Fall der Fälle ergehen? Was würde ich für gut und richtig halten und was käme auf keinen Fall in Frage? Und nicht nur aus Sicht der Eltern, sondern auch aus Sicht eines schließlich per PID (oder noch weit „kreativerer“ Techniken) in die Welt gekommenen Individuums: Wann würde ich mich beschweren, mich mißbraucht fühlen???
Gut und richtig erscheinen mir in einer solchen Überlegung dann alle Wünsche, die aus reiner elterlicher Sorge um ein gutes Leben für ihr Kind erwachsen. Es soll gesund sein, intelligent und – hier stockt der Tippfinger, aber das ist nur die Angst vor Ablehnung – warum nicht auch hübsch? Warum sollten vor einer Schwangerschft diese Werte weniger moralisch sein als im späteren Leben, wo doch mehr als die halbe Welt nach Gesundheit, Fitness und Beauty strebt?
In jeder klitzekleinen Angelegenheit des Alltags sind wir nicht erst seit gestern bestrebt, die Natur nicht einfach so hinzunehmen, sondern uns eine zweite Natur (Kultur und Technik) zu schaffen, in der wir meinen, besser leben zu können. Dabei entsteht – das ist lange schon offenkundig – nicht unbedingt etwas Besseres, sondern durchaus neue Formen von Leiden und Chaos. Und dennoch: Wer vermöchte schon, aus dieser Einsicht heraus das „Verbessern“ einfach zu unterlassen? Warum also dort stoppen, wo es um „uns selbst“ geht?
Sind „wir selbst“ denn ausschließlich der Körper, dessen technische Vorauswahl und Verbesserung hier in Frage steht? Glaubt jemand ernsthaft, man könne Geist und Psyche technisch vorherbestimmen, indem man körperliche Mekrmale, Krankheitsneigungen etc. zuläßt oder vermeidet? Fürchtet man gar, der Brunnen des Leidens könnte leer laufen, indem man physisch verbesserte Menschen auf die Welt bringt? (Und wäre dem so – was ich für unmöglich und absurd halte – was wäre dagegen zu sagen?)
Übrigens: Gerade ist ein Katzenklon durch die Presse gegeistert. Hübsche Mieze – aber sie hatte nicht mal diesselbe Fellzeichnung wie ihre „Mutter“. Und das, so dachten wird doch eigentlich, ist gentechnisch gesehen Hardware! Die Umwelt sei schuld, sagen die „Hersteller“, aha. Auf einmal wieder…
Gibt es denn nun eine Grenze, ganz unabhängig von Fragen des Erfolgs und der Machbarkeit? Für mich ja. Ich hätte den englischen Fall NICHT genehmigt, denn – soweit ich es mitbekommen habe – wird hier ein „genetisch passender“ Bruder FÜR ein schwer krankes Kind gewollt. Das ist elterliche Sorge, klar – aber nicht FÜR das zu erzeugende Kind, sondern für das bereits lebende. Das zweite Kind wird also – wenn alles klappt – vor allem deshalb geboren, weil sein Körper therapeutisch erforderliche Stoffe für den kranken Bruder zu bieten hat. Das ist für mich die Grenze, vor der man einhalten sollte. Geboren „um zu“, das ist einem freien Individuum nicht zuzumuten. Man stelle sich vor, was für „Rechnungen“ zwischen diesen Brüdern aufgemacht werden! Und nicht von ihnen selbst, sondern von anderen, die über ihr Sein und Nichtsein bestimmen wollen.
„Bin ich denn der Hüter meines Bruders?“ – konnte Kain noch zu Recht fragen, als Gott sich nach dem Verbleib von Abel (den Kain gerade aus Eifersucht erschlagen hatte) erkundigte. Ich finde, so soll es bleiben. Wir haben die MÖGLICHKEIT, aus freier Entscheidung das Wohl des Anderen über das eigene zu stellen ODER angesichts dieser Forderung zu versagen. Bereits als Ersatzteillager geboren zu werden, widerspricht dieser Freiheit aufs Schärfste!
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