Meine Vormieterin hat mir eine Mail mit der Frage geschickt, wie es mir denn nun am Rudolfplatz gefalle. Immerhin lebe ich jetzt schon eineinhalb Monate hier. So wenig? Es kommt mir länger vor, obwohl ich doch erst seit etwa einer Woche die Küche richtig nutzen kann. Ein Teil der Dielen wurde erneuert, das Ergebnis schreit mich täglich an: Nun mach aber auch den Rest, das sieht ja grausig aus!! Ohhhh, Dielen abschleifen, wann hab ich das zum letzten Mal gemacht? Sind zwar nur etwa drei Quadratmeter, aber man braucht diese brachiale Maschine, es staubt wie in der Wüste Gobi und das Versiegeln ist auch noch mal eine klebrige und stinkige Angelegenheit. So eine kleine Fläche zu beauftragen, würde sich andrerseits auch für den Handwerker nicht lohnen – also warte ich einfach ab, bis mich der große Frühlingselan packt und hoffe das beste.
Dies ist das erste Mal, dass ich meinen Wohnort ganz alleine aussuchte. Unbeeinflusst von einem Mitbewohner, mit dem ich mich einigen musste, unbeeinflusst auch von diesen alten Ängsten, die nahe legen, lieber dort zu wohnen, wo man sich auskennt., wo alte Freunde leben und alles bekannt ist. Bisher habe ich es keinen Tag bereut! Ich schaue aus dem Fenster und sehe über den Platz, über das (noch) ungenutze Gewerbegelände auf der anderen Seite bis hin zu den Bahngleisen und den Häuserblöcken dahinter. Züge fahren hin und her – ich sehe sie, höre sie aber nicht, dazu sind sie zu weit weg. Schön! Die Lage im dritten Stock bringt es außerdem mit sich, immer sehr viel Himmel im Blick zu haben, auch das tut meiner Seele gut, ich liebe die Weite, es macht mich auch innerlich weiter – bilde ich mir zumindest ein.
Zur U-Bahn gehe ich drei Minuten durch die Oberbaum-City, ein aus den alten Glühlampen-Fabriken herausrestauriertes und edel modernisiertes Geschäftsviertel, das abends und wochenends völlig tot ist. „Visionen leben“ steht auf großen Plakaten und Fahnen wehen, wer genauer hin sieht, bemerkt den hohen Leerstand: Büromieten um 30 Euro, wer zahlt das schon derzeit? In den toten Zeiten laufen Wachschutzleute in blauen Parkas mit Taschenlampen herum und erhöhen die „gefühlte Sicherheit“. Eine Münchnerin, die mich neulich besuchte, grauste es richtig beim nächtlichen Gang durch diese menschenleeren Straßen, aber ich versicherte ihr, „die Bösen“ seien eher im Kneipenviertel auf der anderen Seite der Geleise zu gange – wer läuft schon nachts durch die Oberbaumcity, da ist ja nichts!
Der Rudolfplatz mit Kirche, Schule, Kita, Grünanlage und Gründerzeitbauten bietet dann die angenehme Wohnlichkeit, die ich nicht missen möchte. Und binnen weniger Minuten kann ich Stadtlandschaften erreichen, die spektakuläre Ausblicke bieten: keine Postkartenidyllen, sondern die Schründe und Widersprüche, das Unfertige und Kaputte zusammen mit dem Schicken und Größenwahnsinnigen – so gerne will ich dazu eine Bilderseite machen, wenn ich mal richtig Zeit finde!
Und im Haus? Kaum war ich eingezogen, fingen Bauarbeiten an: Über mir, unter mir, Wohnungen werden ausgebaut, immer mal wieder Gas und Wasser abgedreht, die Decken erzittern, Bohrer heulen auf, Staub rieselt im Bad auf das schöne Schlammgrau. Der Bauleiter hat mir eine Flasche Wein vorbei gebracht und gut Wetter gemacht: wir müssen mal eben ein Wasserrohr in Ihrer Toilette rausreißen… Ich verlangte, dass sie das neue dann wenigstens wieder streichen, doch bisher geschah nichts. Auch in der Decke blieb ein Loch, es soll wohl noch verputzt werden.
Dies alles mindert kaum je mein Wohlbefinden, schließlich bin ich Sanierungs-gestählt: in Kreuzberg zu Beginn der 80ger waren die Baustellen andere und der Umgang weit rauher, keine Weinflaschen sondern Drohungen, keinerlei Ankündigungen, aber plötzlich war das Klo weg – das hier ist dagegen ein Kinderspiel!
Vor zwei Wochen dann flatterten Flugblätter der Kiez-Initiative herein: mir gegenüber auf der anderen Seite des Platzes wird die BSR (Berliner Stadtreinigung) einen Recyclinghof errichten. Natürlich ist jeder dagegen, man befürchtet Lärm, Dreck und „Gelichter“ – auch ich bin dagegen und habe als gute Bürgerin eine Einwendung gegen die Änderung des Flächennutzungsplans abgegeben. Gewiss ohne Aussicht auf Erfolg, doch war ich selber lang genug in solchen Kiez-Initiativen und unterstütze sie im gleichen Geist, wie ich mich von Marktforschern befragen lasse, wenn Zeit ist (Den Job hab ich schließlich auch mal gemacht..).
Der Rudolfplatz, ein Paradies? Gewiss nicht, aber ich fühl mich sauwohl hier. Ein Wohlgefühl, das von innen kommt, klar, doch es bedeutet viel, in einem Umfeld zu wohnen, das dieses „Innen“ nicht ständig unter Stress setzt. Und bisher stören mich die Ereignisse nicht wirklich, es kommt mir alles so bekannt vor, keiner großen Aufregung wert.
Diesem Blog per E-Mail folgen…