Eher zufällig fällt der IRAK-Krieg in die Zeit meiner fast totalen Medienabstinenz. Das Radio, dass ich mir auf dem Flohmarkt dann doch noch gekauft hatte, hat beim zweiten Anschalten den Geist aufgegeben. Der Minifernseher, den ich schon vor einem Monat mehr aus Jux mitgehen ließ, war ebenfalls ein Flop. Die tägliche Berliner Zeitung schaffe ich nicht jeden Tag. Ungelesen stapeln sie sich vor der Tür. Um nicht völlig auf dem Schlauch zu stehen, surfe ich einmal täglich zur Tagesschau, frag auch mal einen Freund, was es Neues gibt „von der Front“.
Soviel Neues ist da nicht. Mir entgeht nichts Wichtiges, mir entgeht nur das Eintauchen in die kollektiven Gefühlsozeane, die sich durch die fortlaufende Kriegsberichterstattung jedem mitteilen, der sich dem aussetzt.
Um die Ecke hängt ein Transparent von einem Balkon, auf dem steht: „Fickt mal richtig, damit Ihr nicht so zornig/deprimiert seid, dass Ihr morden müsst!“. Erinnert irgendwie an: „Make love, not war!“. (Möge die Leserin und der Leser entscheiden, welche Generation die besseren Slogans für sich verbuchen kann.).
Erschüttert…
Ich erlebe Mailinglisten, in denen ist die fortdauernde Klage über den Krieg dominierender Inhalt geworden. Viele zeigen große Wut, Trauer und Betroffenheit, sind sich einig gegen den Krieg (die Frage nach den Saddam-Opfern ist mancherorts schon „not-PC“, von meinem Gefühl her)…
Es geht ihnen schlecht, sie können aber auch nichts machen. Nützt es, tagelang vor der Glotze zu stehen und erschüttert zu sein?
Was fehlt – vielleicht kommt es später – ist eine Rückschau auf die ganze Geschichte: Bis nach dem 11. September, als die USA langsam anfingen, sich auf IRAK einzuschießen, hat niemanden groß interessiert, was dieser Saddam da macht. Auch die Europäer nicht.
Es genügte den Funktionären und Politikern, Sanktionen zu verhängen, die – und das hätte man weit früher thematisieren und ändern (!) müssen, nur das Volk trafen und die Saddam-Clique noch mächtiger machten. Hätte man den Irak wirtschaftlich nicht bis zur Perspektivlosigkeit ausgegrenzt, hätte ein Mittelstand sich entwickeln und stärker werden können, der letztlich zu einem Regimewechsel in der Lage gewesen wäre – meinetwegen auch mit Unterstützung von außen (aber unter eigener Regie).
So dagegen hat das kontraproduktive Vorgehen den Boden bereitet, auf dem die USA dann zu agieren begannen. (Die an der schwächsten Stelle ein Bein auf den Boden bekommen wollen, dort, wo der wesentlich von Saudi Arabien finanzierte Terrorismus herkommt, damit – neben dessen Eindämmung – der Zugang zu den ÖÖlquellen erhalten bleibt)
Was ich auch nicht ganz „stimmig“ finde ist der Hinweis darauf, dass man mit verlängerten Inspektoren-Aktivitäten noch mehr hätte erreichen können. Das kann gut sein, aber wer hat sich denn freiwillig gemeldet und bereit erklärt, den Aufbau und „verlängerten Verbleib“ der Droh-Streitmacht
MITZUBEZAHLEN. die es überhaupt erst ermöglichte, dass Saddam Zugeständnisse machte?
Womit ich keinesfalls die USA rechtfertigen will. Ich meine nur, alle Seiten haben Dreck am Stecken. Da gäbe es für die Zukunft manches zu lernen und zu ändern. Wenn man es ernst meint. Wenn man wirklich eine andere Weltordnung will als diejenige, die gerade aus Amerika aufgeherrscht wird.
Draußen auf dem Platz vor meinem Haus stehen Kreuze für die Toten des Irak-Kriegs – ja, das finde ich gut! Emotional aber stehe ich dem nicht anders gegenüber als all den anderen Toten: aus dem Sudan,
aus Sierra Leone, Tschetschenien und all den vergessenen Kriegen, die Jahrzehnte dauern und tausende Tote fordern, und kein Schwein interessiert sich.
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