Auf dem Flohmarkt, sonntags, Boxhagener Platz. Kein Antik- oder Kunstmarkt, sondern einer von der ursprünglichen Art, auf dem die Leute alles verkaufen, was sie nicht mehr brauchen – und das, was sich dann so ansammelt, wenn sie das Verkaufen weiter betreiben wollen. Da meine Wände noch immer recht kahl sind, halte ich Ausschau nach Bildern. Unwichtig ob Kunstdrucke, Poster, ÖÖlgemälde, vergrößerte Fotos, zusammengeklebte Collagen oder ausgedruckte Digitalwerke, unwichtig auch, wer wo und wann das Bild geschaffen, abgekupfert, geklaut oder variiert hat. Ich durchwandere den Markt im Uhrzeigersinn und scanne die Stände, die Tapeziertische und die Decken auf dem Boden systematisch nach Content. Inhalt für die bisher weißen Wände, auf die ich täglich mehrmals schaue.
Keine bestimmten Vorstellungen helfen mir beim Suchen. Ich weiß nicht, ob ich ein Abbild der Natur, etwas ganz Abstraktes, eine Stadtansicht, womöglich gar Bilder vom Menschen suche. Nur weiß ich recht schnell, wenn ich ein Bild sehe: DAS will ich NICHT!
So geh‘ ich von Stand zu Stand und erlebe jede Menge „Das nicht!“-Resonanz. Natürlich frag ich mich schon bald, was eigentlich nicht passt, warum mir einfach keines der vielen Fotos, Poster, Drucke und Gemälde gefallen will. Auch solche nicht, die weder stümperhaft noch uninteressant, ja, vielleicht „richtig gute Kunst“ sind. Aber: will ich da täglich drauf schauen? Die innere Probe auf den Ernstfall übersteht bisher keines. Es ist eine ganz andere Situation, als wenn man einfach nur so „Bilder kaufen“ wollte, in einer Hobby-artigen Sammlerhaltung, die bestimmte Vorlieben pflegt und das Beutegut zuhause in Rollen stapelt.
Nein, ich will Bilder für mich, Bilder zum selber ansehen, nicht zum zeigen. Und was ich ständig sehe, beeinflusst mein Sein, malt die Farbe an die Wände meiner Existenz, beeinflusst meine Stimmungen und Gefühle. Es muntert mich auf oder zieht mich herunter, lenkt ab oder unterstützt die Konzentration, stärkt den Willen oder unterminiert ihn.
Ich tue gut daran, sorgfältig zu wählen. Das bedeutet nicht, zu mir selbst in eine therapeutische Haltung zu treten und mir gewisse Bilder zu „verschreiben“. Sondern nur, auf die Regungen zu achten, die der Anblick in mir hervor ruft und zu fragen: will ich DAS? Will ich das jeden Tag, im Fall der weißen Wand gegenüber meinem Arbeitsplatz gar alle paar Sekunden?
Die besten Bilder auf dem Flohmarkt dieses Sonntags hat einer, der polnische Plakatkunst verkauft. Wow, dagegen können unsere gängigen Veranstaltungsplakate einpacken! Ein ganzer Stapel großer Poster wird vor mir auf- und umgeblättert: Plakate zu Opern, Theaterstücken, Lesungen, politischen Veranstaltungen, Symposien und Ausstellungen – und jedes ein echtes Kunstwerk! Es ist mühsam, so einen Stapel großformatiger Bilder, es sind gewiss über 150, eins ums andere zu zeigen und umgedreht abzulegen. Auch deshalb bin ich ausgesprochen kaufbereit, sollte eines darunter sein, dass mich „anspricht“.
Das Schreien der Bilder
Die Bilder sprechen mich tatsächlich fast alle an. Allerdings nicht so, wie ich minütlich von der Wand gegenüber angesprochen werden will, muss ich mit Bedauern feststellen. Die allermeisten dieser wunderbaren Werke der grafischen Kunst stellen in Frage, klagen an, verunsichern oder machen Angst, vermitteln das Gefühl von Ohnmacht und Wut, stimmen aggressiv oder verzweifelt, erheben Forderungen oder machen sich abgründig über etwas lustig. Manche spielen mit dem Ekel, andere mit Gewalt, manche auf verstören-wollende Art mit Sex, wieder andere bleiben so cool, dass man die Wand gleich weiß lassen könnte – oder schwarz.
Ich kaufe schließlich eines, das mir besonders ausdrucksstark erscheint, wohl wissend, dass ich es vermutlich nicht aufhängen werde. Ein schwarzer Vogel im Flug, gemalte Silouette – in ihn hinein rast ein roter Vogel mit riesigem Schnabel und durchdringendem Blick, der das Zentrum des Bildes darstellt. Es macht agressiv, keine Frage. Und damit ist es ein Fehlkauf, einzig dem Verkäufer zuliebe geschehen.
Mit meiner Rolle unterm Arm mach‘ ich mich auf den Heimweg. Immerhin weiß ich jetzt, was ich suchte und nicht fand: Bilder, die etwas feiern und heiligen, nicht angreifen oder in Frage stellen. Bilder der Freude und Dankbarkeit, Bilder des Staunens und Bewunderns – Bilder der Liebe, kurz gesagt.
Gibt es solche Bilder? Ganz bestimmt gibt es sie, der Fundus der Bilder der Menschheit ist riesig. Ich erinnere mich spontan an einige Nähnadeln im Heuhaufen, die mir schon begegnet sind, Landschaften, Frauen, Paare in tantrischer Vereinigung, Götterbilder, erotische Szenen, die über das Erotische hinaus in eine andere Dimension weisen, auch abstrakte Kompositionen mit intensivem Gefühlswert. Es gibt sie im Fundus käuflicher Bilder, wenn man Titel und Autor kennt, doch sicher auch „ohne Titel“ auf vielen Festplatten und in Schubladen, wo alles verbleibt, bzw. verschwindet, von dem man vermutet, es sei unverwertbar. Oder mit dem man sich nicht an die ÖÖffentlichkeit wagt, warum auch immer.
Der Geist, der stets verneint
Ich verstehe, warum es so wenige solcher „Bilder der Liebe“ gibt. Zum einen stehen mir gewisse „spirituelle Kompositionen“ aus dem Eso-Markt vor Augen, die zeigen, wie schnell etwas, das mit aller Kraft harmonisch, schön und auf jeden Fall „positiv“ sein will, zum Kitsch gerät. Und mir fällt die Werbung ein. Dort gibt es eigentlich alles, was fehlt – nur dass es eben nicht um das Gute, Schöne und Wahre, sondern um die Güte und Schönheit der Ware geht. Nicht um Liebe, sondern ums Haben- und Jemand-Sein-wollen.
Es ist kaum möglich, den kritischen Geist mit all seiner Zersetzungskraft einfach zu überspringen und zu naiven Darstellungen aus voraufgeklärten Zeiten zurück zu kehren. Die dunklen Seiten der Welt können und sollen nicht geleugnet werden, doch kann ein „anprangern“ oder beweinen nicht einziger Inhalt eines „Bildes der Liebe“ sein. Noch viel weniger das „reine Spiel mit der Wahrnehmung“, das in der Kunst den Inhalt zeitweise abgelöst hat.
Ich hoffe trotzdem, auf meiner Suche nach dem Content für die blanken Wände noch fündig zu werden, hab‘ ja auch noch kaum geforscht. Wer mir Tipps geben will oder Bilder zeigen, ist herzlich eingeladen, ins Forum zu posten oder zu mailen.
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