Beziehung, Beziehungen, eine Beziehung haben – ich vermeide diese Worte lange schon. Mag sie nicht, je älter ich werde, desto weniger. Allein schon der Wortklang: Be – ZIEHUNG. In mir zieht sich etwas zusammen, wenn ich es höre! Man will an mir ziehen, mich anderswohin haben als ich von mir aus gehen will. Mich abziehen vom Eigenen, wegziehen, einen festen Be-Zug zu mir herstellen, der mich bindet und eingemeindet in die Erwartungen anderer. Mich berechenbar machen, genau gesagt.
Das Streben nach Beziehung bedeutet im Fall des Erfolgs oft die Zerstörung dessen, was gesucht wurde: der Andere in seiner Andersheit. Wie faszinierend er doch sein kann: fremd, unabhängig, ungebunden, unberechenbar. Im Fall des Gefallens – und nur dann streben wir ja nach Beziehung – ist er Projektionsfläche für alles denkbare und undenkbare Gute, Wahre und Schöne, ist inkarnierte blaue Blume, menschlicher heiliger Gral, potenzieller Erlöser aus aller Einsamkeit. Mit ihm (oder ihr) sein, bedeutet Entlastung vom Bei-Mir-Sein und Befreiung aus langweiliger Alltäglichkeit – aber nur solange, bis „die Beziehung steht“ , bis ganz klar ist, in welchem Bezug zueinander man künftig lebt: Wünschen und Wollen wird ausverhandelt und in Geben und Nehmen gegossen, das Miteinander bekommt eine feste Form, ein Gewand aus Ansprüchen und Pflichten. Beziehung erreicht – nun können die Beziehungs-Probleme beginnen!
Ich hatte Beziehungen, klar: beginnend mit dem 15. Lebensjahr eine Aufeinanderfolge intensiver, langjähriger Zweierbeziehungen. Mit allen Hochs und Tiefs, mit Himmel und Hölle, mit großer Nähe im Alltag, bis hin zum Zusammenleben und Arbeiten: Je näher und dichter die Verstrickung, desto größer die Abhängigkeit, desto schrecklicher und folgenreicher die Auseinandersetzungen und Konflikte. Je größer die „Liebe“, desto intensiver der Hass – ich schreibe die Liebe in Anführungszeichen, weil sie an dieser Stelle ein Besitzen- und Beherrschen-Wollen einschließt. Beziehungskonflikt ist dann, wenn der Andere nicht agiert, wie ich es erwarte – oder umgekehrt. Und weil ja eine „feste Beziehung“ besteht, meine ich, ein Recht darauf zu haben, dass er so sei, wie ich ihn mir wünsche. Ich liebe ihn also nicht in seiner Freiheit, diene nicht seiner Ganzheit, sondern habe handfeste Interessen, die ich bittschön befriedigt sehen will. Dafür bin ich schließlich bereit, die eigene Freiheit zu opfern und mich erwartungsgemäß zu verhalten – die Gegenleistung soll dann gefälligst auch stimmen. Hier passt gut die Rede vom „Investieren in die Beziehung“, die meint, sich mal wieder ausgiebig dem Anderen zu widmen: erhöhte Aufmerksamkeit, Zuwendung, eventuell Neuverhandlungen über Teilaspekte des unausgesprochenen „Beziehungsvertrags“ – das verbeulte und angeschrammte Beziehungsfahrzeug bekommt eine Runderneuerung, auf dass es noch ein bisschen weiter läuft.
Klar, man braucht Beziehungen. Solange sie rund um einen konkreten Zweck bestehen, wie etwa die Geschäftsbeziehung, die nachbarschaftliche Beziehung oder auch die Familienbeziehung, die es fürs Kinder-Aufziehen braucht, solange sind sie nicht wirklich problematisch, ja, nützlich und unverzichtbar. Aber kann es wirklich eine „Liebesbeziehung“ geben? „Liebe“ verweist auf etwas Absolutes, an sich bedingungsloses – „Beziehung“ ist dem klar entgegen gesetzt, ist konkret und begrenzt. Das Drama vieler Familien ist das Absterben der ursprünglichen Liebesbeziehung, bzw. das Ende der Illusion in Bezug auf einen konkreten Menschen, in Verbindung mit der Unfähigkeit, in eine reale, versachlichte Elternbeziehung überzuwechseln – eine, die durchaus Freundschaft, ja, Liebe umfassen kann, aber eben nicht in Gestalt der ursprünglich erwarteten in jeder Hinsicht beglückenden (und ausschließlichen!) Zweisamkeit.
Ohne es mir ganz bewusst gemacht zu haben, war ich Mitte dreißig fertig mit „Beziehung“: alles erlebt, mehrfach und überdeutlich das gesamte absurde Theater durchlebt, auf Wolken geschwebt, gefallen, gelitten, gekämpft, „investiert“ – wieder und wieder. Dass diese Männer ohne Ausnahme die Frau „nach mir“ geheiratet und/oder mit ihr ein Kind bekommen haben, zeigt mir, was ich verweigert habe: den natürlichen Sinn dieses illusionären „Beziehungsgeschehens“ für mich zu verwirklichen und eine Familie zu gründen. Für diese „Konkretisierung“ bin ich nicht geschaffen. Ich sage das so „passivisch“, weil ich das nur vordergründig selber wählte – es war mir einfach unmöglich! Man kann im besten Fall tun (oder lassen), was man will, aber ich kann nicht beschließen, zu wollen, was ich nicht will.
Mein Austritt aus dem Beziehungsleben geschah dann in Gestalt einer neuen Beziehung. Ja, das klingt absurd, ist aber Tatsache. Ich näherte mich einem Mann, der, wie ich von ihm wusste, keinesfalls willens oder in Lage war, eine „Beziehung zu leben“. Schärfer noch als ich betonte er das Unmögliche an diesem Vorhaben. „Trost kommt nur von Fremden“, sagte er zum Beispiel – und ich setzte dennoch alles dran, aus diesem Fremden einen Bekannten zu machen, entfaltete ein letztes Mal meine ganze „Bindungskraft“. Wollte mich in festen Bezug zum „ganz Anderen“ setzen – ganz schön verrückt!
Mit Erfolg? Ja. Zum wirklichen Allein-Sein war ich in diesem Lebensalter bei aller Beziehungskritik noch lange nicht fähig – ich lernte es in der „Nicht-Beziehung“, die zwischen uns entstand. Nicht das Erotische, nicht die Tiernatur bildete die Basis dieses Zusammenseins, sondern Bewusstsein. Konkretisiert in der Ablehnung des Üblichen, im Leiden an der Unmöglichkeit absoluter Liebe im Alltag. Er war nicht „mein Mann“ – aber doch war er mir „alles“, indem er in bewusster Weise „Nichts“ war: Nichts Bestimmtes, Berechenbares, niemand, den man „haben“ könnte – nicht weil er nicht wollte, sondern weil da nichts war und ist, was zu besitzen wäre. Das klingt jetzt mystisch und ist es auch! Ich habe es immer gespürt und nie gut genug in Worte fassen können. Noch heute ist es falsch und kommt falsch an, wenn ich ihn als meinen „Ex-Lebensgefährten“ bezeichne, nur weil wir zu Beginn des Jahres auseinander gezogen sind. Dass lässt im Zuhörer die Meinung entstehen, da wäre eine Zweierbeziehung gewesen und man hätte sich „getrennt“. Dem ist nicht so – WIE es aber ist, kann ich nicht erklären, konnte es nie.
Auch dieses Miteinander hatte Berührung mit den Niederungen. Das ist unvermeidlich, ganz besonders, wenn man zusammen wohnt, was wir nach ein paar Jahren dann doch taten. Es gab Konflikte, Agressionen, Projektionen – aber immer einen Bezug zum unaussprechlichen „Dahinter“. Wenn er inmitten einer schlimmen Phase das Wort von den „jugoslawischen Verhältnissen“ prägte, die zwischen uns ausgebrochen waren, wenn ich zum Beispiel mal eine erotische Liebschaft hatte, dann wusste ich: auch er lebt, bei aller aktueller Verstrickung, immer noch hauptsächlich in diesem „Dahinter“. Wo wir einig und eins sind, wo es nichts zu kämpfen gibt.
Eine „Beziehung“ aus dem Geist/Spirit, nicht aus dem Bauch, dem Kopf, dem Herzen. All diese Ebenen kommen vor, sind aber nicht der Grund, in dem wir wurzeln.
Und jetzt, das merke ich sehr intensiv, seit ich wieder alleine lebe und mir alle Formen möglichen Zusammenseins mit Anderen offen stehen, jetzt kann ich nicht mehr anders! Bin nicht mehr „in Beziehung“ zu meinem jeweiligen Gegenüber, sondern gestalte jedweden Kontakt aus dieser anderen Ebene heraus – in jedem Augenblick neu. Das bedeutet: ich bin und bleibe allein, ob ich nun mit Anderen zusammen bin oder nicht. Anders als früher fühle ich mich in diesem Alleinsein wohl und glücklich: mir mangelt nichts, was ich beim Anderen unbedingt suchen und finden müsste. Klar hab‘ ich Bedürfnisse nach Austausch, nach Erotik, nach menschlichem Miteinander, genau wie ich Appetit aufs Essen habe – und manchmal Lust, mich zu berauschen. Aber all das bindet mich nicht, korrumpiert mich nicht in der Tiefe, die üblichen „Bindekräfte“ und Druckmittel laufen ins Leere: ich bin nicht „wer“, fühle mich undefiniert und also durch Andere nicht definierbar. Mein Bild vom Selbst entsteht nicht mehr dadurch, dass jemand zu mir sagt: Du bist so oder so, bist die, die mir dies und das gibt und die dafür dies und jenes zurück gibt. Ich brauche nicht mehr zu verhandeln, sondern lebe einfach.
Gestern war ich dir nah, war anschmiegsam und ganz entzückend – heute bin ich auf einem andern Stern, ziehe meine Kreise in der Ferne. Was morgen ist, können wir nicht wissen.
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