Claudia am 12. Oktober 2004 —

Porno für Frauen

Seit das Internet die Welt vernetzt, schaue ich mir neugierig alles an, was es im Web so zu sehen gibt. Immer wieder mal surfe ich auch durch die „Schattenreiche“, betrachte die Bilderwelten der Sex-Seiten mit ihren unzähligen „Galerien“ und lese so manche „Erotic Story“. Es heißt, Frauen werden eher durch Geschichten angesprochen, Männer durch Bilder – und so „im Großen und Ganzen“ stimmt das vielleicht auch.

Vielleicht? Das Zögern meint nicht die Tatsache, dass es auch Männer gibt, die lieber Geschichten lesen, sondern die Abwesenheit von Bildern, die den „weiblichen Blick“ bedienen: Es sind vielleicht nicht Bilder schlechthin, die von Frauen nicht genossen werden, sondern es werden einfach keine Bilder gezeigt, die Frauen gefallen könnten. Von 500 „Pics“, die ich so durchblättere, sprechen mich vielleicht zwei an – ich guck mir „sowas“ also notgedrungen mehr aus einer Art sozialer Neugier an als aus Gründen der Lust.

Wenn ich mit Frauen über das Phänomen spreche, treffe ich oft auf eine Ablehnung, die sich auf das ganze Thema bezieht: PorNO! Die Bewertungen aus den großen Zeiten der Frauenbewegung wirken fort, insbesondere bei Frauen meiner Generation. Dabei hat sich die Gesellschaft grundstürzend geändert, gerade AUFGRUND dieser Bewegung. Ein 15 Jahre jüngerer Freund sagte neulich: „In den 80gern hab‘ ich gemerkt, dass die Frauenbewegung tot ist – aufgrund von SIEG!“ Manche Frau wird hier sicher heftig widersprechen, aber ich weiß, was er meint und gebe ihm Recht: zwar gibt es noch Missstände und Verhältnisse, in denen weiter um Verbesserungen gekämpft werden muss, doch ist der ganzen „Frauenfrage“ hierzulande (!) der Boden entzogen: es gibt keine Argumente mehr, die irgend jemand gegen die grundsätzliche Gleichberechtigung im gesellschaftlichen Leben und in persönlichen Beziehungen auffahren könnte. Wer es dennoch versucht, schließt sich selbst aus dem Reich „intellektueller Redlichkeit“ aus und outet sich als dummdreister, rückwärtsgewandter Macho. Das IST Sieg! (Und Alice Schwarzer tingelt folgerichtig seit Jahren als Teil der Spassgesellschaft durch die Talk- und Spiele-Shows).

Vor diesem Hintergrund eröffnet sich ein gelassenerer Blick auf das Phänomen Porno. Was damals als „männliche Feindseligkeit“ interpretiert wurde, kann ich heute als nicht zu bewertendes „anderes Empfinden“ achten – und gerade in der Unterschiedlichkeit der Geschlechter liegt ja ein großer Reiz! Moralisch gesehen nehmen sich die verschiedenen „Sichtweisen“ sowieso nichts: was für den Mann ein jugendlich straffer Körper in Sanduhr-Form ist, ist für Frau oft genug soziale Macht und Status (des Geldes oder des Geistes). Dieses Fühlen haben wir aus archaischen Zeiten ererbt, in denen es der erfolgreichen Fortpflanzung und Kinderaufzucht diente. Kein Grund, sich noch groß zu erregen, zudem sind die Prozesse der Angleichung unübersehbar: auch Mann muss heute um seine „Optik“ besorgt sein, und soziale Macht (des Geldes oder Geistes) wirkt auch bei Frauen zunehmend attraktiv.

Mehr Mann bitte!

Zurück zu den Bildern: Ich gönne den Herren der Schöpfung die vielen Ansichten hübscher Frauenkörper, ganz oder im Detail – doch als hauptsächlich heterosexuelle Frau wünsche ich mir „mehr Mann“! Wenn es gänzlich unumgänglich ist, dass Mann auf einem Bild vorkommt, beschränkt sich das oft auf die allernötigsten Körperteile, der Rest wird abgeschnitten! Die statistisch gesehen häufigste Männerfantasie (Sex mit zwei Frauen) führt außerdem dazu, dass die Bilderwelten vor Frau-mit-Frau-Szenen nur so strotzen: Mann glänzt durch Abwesenheit und wo er neigungsbedingt eine unverzichtbare Rolle spielt, etwa als Spielzeug einer dominanten Frau, wird er lieblos und wenig ästhetisch ins Bild gesetzt. Wunderschöne Fotos von kunstvoll gefesselten Frauen gibt’s dagegen wie Sand am Meer – aber wo ist der Mann, der sie fesselt?

Webseiten aus dem schwulen Raum zeigen Männer, zeigen sie sogar ausgesprochen schön und verführerisch. Diese Bilder inszenieren den Mann jedoch als bloßes „Objekt der Begierde“, als passives Bonbon zum Vernaschen – und Frauen fehlen natürlicherweise ganz. Diese Männerbilder sind also kein „Ersatz“ für das, was im Hetero-Kosmos fehlt.

Ich wünsch‘ mir Bilder, die eine Geschichte erzählen, die das erotische Kopfkino ins Laufen bringen. Szenen mit Mann UND Frau, gerne in wechselnden Rollen: Sie tut etwas mit IHM, er macht etwas mit IHR – und beide mit gleicher Sorgfalt, mit Liebe und Freude an der Inszenierung einer erotischen Szene dargestellt. Was ich mir NICHT wünsche, sind „Frauenseiten“, in denen nur die soften, romantischen Seiten der Sexualität dargestellt werden: das ist nur die halbe Wahrheit, die halbe Lust. Ich brauche als Frau keinen „Schonraum“ für meine vermeintlich empfindliche Seele, die vielleicht von den drastischeren Aspekten verstört werden könnte – ich will die GANZE Lust, in all ihren Facetten und Farben: rot/rosa und lila und schwarz!

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Anmerkung / Update 2024: dieser Artikel entstand am 12.10.2004 im Digital Diary und bekam sehr viel Aufmerksamkeit. Ich habe ihn – weil thematisch passender – dann in das Blog „Lustgespinst.de“ umgezogen. Aus dokumentarischen Gründen steht er nun wieder an der originalen Stelle.

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