Noch zwei Tage bis zum Abflug nach Kambodscha: die erste mehr als drei, vier Tage währende Reise seit Jahrzehnten und dann gleich soooo weit weg!!! Raus aus Europa, raus aus dem Winter, rein in die Tropen – ich hab‘ einfach JA gesagt: ein Diary-Leser, der mir in langen Mail-Dialogen und während seiner Besuche ans Herz gewachsen ist, lädt mich und einen lieben Freund nach Phnom Penh ein, wo er lebt und arbeitet. Was für ein Ereignis in meinem ansonsten so stationären Leben, in dem der Gedanke an „Urlaub“ normalerweise einfach nicht aufkommt! Warum sollte ich denn „irgendwohin“ reisen, um dort herum zu lungern, wenn ich doch da bin, wo ich sein will? Wenn ich doch täglich tue, was ich gerne tue, warum das unterbrechen?
So dachte ich, so lebte ich, so posaunte ich es gerne heraus. Lange Zeit entsprach die Haltung den Tatsachen, doch mittlerweile ist es nur noch träge Gewohnheit, bzw, die Unfähigkeit, ohne Not etwas anders zu machen als zuvor. Das spürte ich, als der Vorschlag plötzlich im Raum stand. Ich fühlte mich geneigt, abzulehnen, doch fand ich keinen echten Grund: die Reise erschien machbar und sie passte zur Beziehung, die sie ermöglicht. Alles stimmte – nur Trägheit und Ängstlichkeit, „in die Fremde“ zu ziehen, stand dagegen. Und meine Angst vorm Fliegen.“Wenn ich so Schiss hätte wie du, würde ich mir das nicht antun“, sagte mein Reisebegleiter in spe, als er realisierte, wie sehr mich die Angst all die Monate seit dem Entschluss zur Reise beschäftigte. Ich konnte bis Weihnachten gar nicht an die Zeit in Kambodscha denken, denn jedes „daran denken“ konfrontierte mich erneut mit der Angst. Nicht etwa so, dass ich nun zuhause saß und zitterte, sondern eher so, wie der Gedanke an eine existenziell wichtige Prüfung alles andere, was danach noch kommen mag, überlagert.
Wo ausweichen nichts bringt, ist es besser, sich einfach dem zu widmen, was da so machtvoll in den Vordergrund drängt. Also versenkte ich mich in die Erinnerung an die schier unerträgliche Todesangst beim letzten Flug im Sommer, an dieses schrecklichste aller je erlebten Gefühle, wenn sich plötzlich der Abgrund unter einem auftut – zumindest in der subjektiven Empfindung. Die Angst schien mir sagen zu wollen: Du wirst sterben! Bald! Und ich lauschte in mich hinein, was für Widerreden kommen wollten.
Oh ja, ich würde gerne noch länger leben! Die Welt ist so wunderbar und erschreckend schön – wer wollte sie freiwillig verlassen? Diese Lebensfreude lebt in mir, sie wird sogar von Jahr zu Jahr stärker, je älter ich werde, je mehr ich von allem-was-ist wahrnehme. Wo die Liebe zum Leben ist, ist allerdings kein Tod – ich bin überzeugt, man kann bis zum letzten Atemzug auf erfüllte Weise das Leben lieben. Bloß bin ich bisher nicht im Stande, mich in dieser Liebe zu zentrieren, sollte mich ein gewaltsamer, plötzlicher Tod erwischen – wie etwa bei einem Flugzeugabsturz.
Eine andere Einrede gegen das „alsbald sterben“ kam nicht: Ich muss doch noch…. . Nichts dergleichen taucht in meinem Bewusstsein auf, wenn ich der Möglichkeit Raum gebe, dass ich vielleicht bald abtrete. Das wiederum ist ein wirklich angenehmes, friedliches, tröstliches Gefühl!! Es gibt nichts, was ich unbedingt noch erleben will, nichts, was ich immer aufgeschoben oder vermieden hätte, um es vielleicht später nachzuholen. Keine unerfüllten Träume, keine alten Rechnungen, keine Feindschaften, die den inneren Frieden rauben – allenfalls würde ich gerne eine aufgeräumte Wohnung und einen ebensolchen PC hinterlassen wollen (daran arbeite ich gerade).
Zu meinem Erstaunen wurde die Angst nun nicht stärker, je näher der Tag des Abflugs rückte. Im Gegenteil, ich spüre nicht einmal mehr Lust, mich mit Baldriantinktur in eine gelassene Grundstimmung zu versetzen, wie ich es eigentlich geplant hatte. So langsam kommt ein ganz gewöhnliches „Reisefieber“ auf: ich packe, ordne noch allerlei für die Zeit der Abwesenheit, und FREUE mich – endlich!!! – auf die drei Wochen in Kambodscha. Die Angst spielt nicht mehr die erste Geige, ich rechne jetzt tatsächlich damit, auch am Ziel anzukommen. Sogar erste Gedanken an ein Leben „nach der Rückkehr“ gehen mir durch den Kopf – mir scheint, ich hab das Gröbste hinter mir!
Einen spürbaren Wendepunkt in diesem Empfinden gab es schon vor ein paar Wochen, als ich noch ganz blass wurde, wenn ich daran dachte, wieder im Flieger zu sitzen. Im beobachtenden Erinnern der Todesangst, dieses schrecklichsten aller Gefühle, fiel mir plötzlich ein: Wenn ich dann (eines Tages…) WIRKLICH sterbe, ist auch nicht MEHR zu erwarten!
Todesangst ist Todesangst – ob „passend“ oder nicht. Die Möglichkeiten der Psyche, Angst und Horror zu fühlen, sind endlich, und ich kenne das jetzt!
Seltsamerweise beglückte mich dieser Gedanke, ich wurde entspannter und konnte zum erstem Mal mit Interesse einen Reiseführer über dieses spannende Land lesen, in dem noch so unendlich viel zu tun ist – so ganz anders als hier!
Am Sonntag geht es also los. Drei Flüge (Frankfurt, Bangkok, Phnom Penh) stehen an, und dazwischen stundenlange Aufenthalte auf Flughäfen. Etwas wird also gewiss sterben auf dieser langen Reise: meine Angst vorm Fliegen.
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Siehe auch:
27.7.05: Angst vorm Fliegen
16.8.05: Angst vorm Fliegen II: Ein paar Gedanken über Tod, Zeit und die Kunst, zu sterben
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