Dieses Jahr ist das Sommerloch für mich ausgefallen. Nicht mal im späten Herbst ist soviel los, muss ich so viele verschiedene Dinge machen, WILL ich auf so vielen Hochzeiten gleichzeitig tanzen. Wie man in den Wald ruft, so schallt es heraus, das scheint nicht nur für Stimmungen und Emotionen zu gelten, es ist eine allgemeine mystische Wahrheit. Ich hab’ gerufen: Hey, ich will mal mein Einkommen verstetigen, und auch ein bisschen MEHR wär mal angesagt! Und schon antwortet die Welt: Aber sicher doch! Hier hast du Arbeit! – und schüttet mich so richtig zu!
Das ist beileibe keine Beschwerde, sondern eine Beschreibung. Für mich bedeutet es die Verschärfung meiner „Verzettelung“, das Anwachsen der ToDo-Listen ins Unüberschaubare, ein verstärktes Festkleben vor dem Monitor und in den Momenten des Innehaltens die Freude an der Leere im Kopf, wenn grade allzu viele verschiedene Dinge als nächstes dran kommen wollen. Viel reicher bin ich bisher noch nicht geworden, allerdings kann ich meine Rechnungen bezahlen und sogar die vierteljährliche Umsatzsteuer, ohne dass ich in Panik geraten muss wegen des überzogenen Kontos – es kommt ja bald wieder was rein. Ein kleiner Fortschritt also, ob es an der Finanzfront auch mal wirklich komfortabler werden wird, muss sich erst noch zeigen.
Leben und Arbeiten – das war immer schon mein Thema. Vom Start weg hab’ ich „das ganz Normale“ verweigert. Meine Einblicke in die damals noch gemütlich verhockte Arbeitswelt der 9-to-5-Jobs erschreckte mich und ließ mich denken: nie, nie niemals werde ich so enden, so lustlos malochend zwischen Geburtstagsfeiern und Pensionierungen, zwei Stunden echte Arbeit, den Rest rumhängen, quatschen, von den nächsten Anschaffungen und vom Urlaub plaudern, früh kommen, früh abhauen und dann endlich FREIZEIT, in der das Hobby ruft – nie wollte ich so enden! Soviel Lebenszeit in Zusammenhängen verschwenden, die mich nicht wirklich interessieren, das konnte ich mir nicht ansatzweise vorstellen. Mein Vater, der mich gerne „beim Staat“ gesehen hätte, erzählte aus seinem Arbeitsfeld beim Statistischen Bundesamt, wie eigenartig es doch sei, dass auf Spielkarten-Sets unterschiedlich viel Steuern erhoben werden, je nachdem, aus wie viel Lagen Papier und Beschichtungen die Karten bestehen – wie spannend! Meinte er tatsächlich, mich mit solchen Geschichten für den öffentlichen Dienst interessieren zu können?
Ich wandte mich ab mit Grausen und ging meinen „prekären“ Weg: mal schlecht bezahlte Honorarjobs, mal Arbeitslosenhilfe, zweimal Studium (eins mit, eins ohne Abschluß), Umschulung und Weiterbildung, kurze Anstellungen in befristeten, dafür aber spannenden Projekten, schließlich die Selbständigkeit, die quasi „von selber“ entstand, ohne jeden Aufwand in Sachen „Existenzgründung“. Und alles immer begleitet von Fragen wie: Was tue ich gern? Wofür mach’ ich das eigentlich? Hat es genug SINN, um mir ein gutes Gefühl zu geben? Kann ich da eintauchen und mich im Flow der Arbeit selbst vergessen? Wenn ja, was ist der Preis dafür? Ist es möglich, mit dem, was ich am liebsten tue, auch mein Geld zu verdienen? Oder wird es immer die Aufspaltung in Brotjobs (langweilig, aber ordentlich bezahlt) und „Herzblut-Arbeit“ (spannend, beglückend, aber schlecht oder gar nicht bezahlt) geben?
Die wundersame Verwandlung
Mein Arbeitsleben, ja fast mein ganzes Leben ist ein Ausexperimentieren dieser Fragen. Und mit Staunen und Bestürzung erlebte ich die wundersame Verwandlung von Herzblutarbeiten in Brotjobs, sobald es mal wieder gelungen war, etwas, das wirklich Freude machte, zu „kommerzialisieren“, also endlich Geld damit zu verdienen. Was zur ständigen Pflicht mutiert und zum Termin geleistet werden muss, scheint (obwohl selbst gewählt!) seine Qualitäten als „freies freudiges Schaffen“ zu verlieren – wie sonderbar! Ich erkannte, dass es an mir liegt, nicht an den Arbeiten, wie ich mich dabei befinde. Verlässlich zum Termin arbeiten kostet Überwindung und braucht Selbstdisziplin: in der Zeit des „Vor-mir-Herschiebens“ kann ich mir dann kaum mehr vorstellen, dass die Aufgabe Freude macht, wenn ich erstmal drin bin. Und da mich kein Chef und keine 9-to-5-Struktur zwingt, diesen „Einstieg ins Unausweichliche“ ohne viel Lamentieren und Verzögern täglich zu vollziehen, es also zu „üben“, anstatt drüber zu grübeln, verfalle ich meinen spontanen Impulsen, bzw. erlebe die Notwendigkeit, mich diesen zu entziehen, als Nerverei und lästige Last. „Du kannst dir zum Glück deine Zeit einteilen“ sagen viele Nicht-Selbständige mit einigem Neid. Sie wissen noch nicht, dass genau das eine Kehrseite hat: Vorteil ist Nachteil (Cioran), es gibt nichts nur Schönes im Reich der Dualität.
Es wundert nicht, dass meine Haltung den Brotjobs gegenüber wesentlich freundlicher geworden ist. Ich kann sie mittlerweile richtig schätzen und erlebe deshalb immer öfter, wie ich gerade da den „Flow“ erlebe, wenn ich mal drin bin. Kein Wunder, ich erzeuge die „Nerverei“ mit dem Anstauen der inneren Widerständigkeit ja selbst!
Auch dieser Eintrag ist eine Art Ausweichen vor dem, was da auf der ToDo-List lauert – also lasse ich es jetzt mal dabei bewenden und tauche ab in die Arbeit. Für die KURZEN PAUSEN gibt’s jetzt ein Gruppenblog, zu dem mich Oliver Gassner eingeladen hat: Cyberabad – fragt mich nicht, was das eigentlich sein soll, es wird jedenfalls schwer drauf los gebloggt!
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6 Kommentare zu „Brotjobs und Herzblut und Cyberabad“.