Es ist der dritte Tag ohne jede Struktur. Keine Termine, keine Telefonate, keine E-Mails, die mich zum Reagieren zwingen. Ich sitze mit dem ersten Milchkaffee vor dem Monitor, schaue nach links aus dem Fenster und sehe den Nebel, der alle Konturen milchig weiß verschwimmen lässt. Weihnachten hat die kollektive Aufmerksamkeit komplett auf sich gezogen und mich braucht es dazu nicht. Ich bewohne die entstandene Leere und fülle sie auch selber nicht mit Sinn: kein Abarbeiten anstehender Aufgaben, kein Eintauchen in einen kreativen Schub, nicht mal ein Wellness-Programm mit ich-tu-mir-jetzt-was-Gutes-Vorsätzen. Die Zeit vergeht und ich nutze sie nicht. Wie lange ist es eigentlich her, dass ich das mal so erlebt habe? Ich weiß es nicht.
Gestern Mittag dachte ich daran, mich mit einem Freund, der ebenfalls Weihnachten alleine verbringt, für den Abend zu verabreden. Vielleicht essen gehen, danach der neue Kaurismäki-Film, dann noch ein bisschen plaudern über Gott und die Welt. Aber der Charme der Leere hielt mich ab: lieber nichts veranstalten, lieber weiter nur so herumlungern ohne jede Notwendigkeit, auch nur den Mund aufzumachen.
Das „Haus der Stille“ veranstaltet Schweige-Seminare, las ich gestern in einem Stadtmagazin. Nach einer Einführung wird tagelang geschwiegen, kein TV, kein Internet, kein Telefon, kein schreiben oder lesen. Für Hardcore-Fans gibt’s das auch in Kombination mit Fasten. Eine beeindruckende Erfahrung, sagt der Veranstalter, man wird auf einer tiefen Ebene mit sich selbst konfrontiert und für manche ist das wirklich hart. Das glaube ich gern, doch was ist dieses „Selbst“, das dann jenseits aller Ablenkungen aufscheint? Was ist ein Supermarkt ohne Waren und ohne Kunden? Ist das noch der Supermarkt? Ist eine Wohnung ohne Möbel und Bewohner noch Wohnung? Welche „nackte Wahrheit“, welche „Essenz“ soll sich da zeigen?? Ist das, was da erlebt wird, nicht vielmehr bloße Reaktion auf das spektakuläre Fehlen von allem??
Immer öfter bin ich der Spektakel müde. Das Leben als ununterbrochene Abfolge von Veranstaltungen, in denen wir „Sinn machen“ geht mir manchmal einfach auf den Senkel. Früher glaubte ich, das Glück läge darin, selbst Veranstalterin zu sein und sein eigenes Ding zu machen, doch das ist nur eine relative Wahrheit. Ich kann mich selbst genauso gut, ja heftiger stressen als irgend ein Arbeit- oder Auftraggeber es je könnte. In der Leere, in der ich mich gerade aufhalte, merke ich, wie zwanghaft „arbeitssüchtig“ ich normalerweise bin. Einfach mal nichts tun kommt nicht in Betracht: ich arbeite an den ToDo-Listen, erledige dazwischen das Allernötigste im Haushalt und kaufe auf die Schnelle ein. Nahtlos geht Berufliches und Privates ineinander über, denn auch abends bastle ich an Webseiten, schreibe E-Mails und Forenbeiträge, wechsle mal vor den Fernseher, um die Nachrichten vom Rest der Welt mitzubekommen, kehre zurück, um noch etwas zu erledigen, koche mir dazwischen was, sinke schließlich müde ins Bett, zappe noch ein wenig durch die Kanäle oder nicke über einem Zeitungsartikel ein. Ein Gegengewicht sind die Wochenenden, an denen ich den Liebsten empfange und ebenso regelmäßig einen alten Freund besuche: zwischenmenschliche Veranstaltungen, die ich sehr liebe, die aber ebenso aktive Inszenierungen sind wie diejenigen aus der Welt der Arbeit.
Kleine Fluchten
Mein Unbewusstes hat so seine Tricks entwickelt, mir Freiräume in diesem terminierten Leben zu verschaffen: wenn ich die ToDo-Liste weitgehend abgearbeitet habe und noch EINE SACHE ansteht, die ich unbedingt erledigen muss, schiebe ich diese letzte Arbeit gerne vor mir her. Ganz egal, ob es eine geliebte oder ungeliebte Arbeit ist, ich zögere es hinaus und lungere derweil einfach nur herum: mal in alle Mail-Accounts gucken, ein Blick in die Diskussionslisten, vielleicht einen Beitrag schreiben, wenn ein interessantes Thema meine Aufmerksamkeit bindet. Ein bisschen zielloses Surfen, ich folge den Links, die das Web als Verführung ins Sinnfreie überall bereit hält, oder probiere mal ´was Technisches aus, installiere irgend ein neues Feature oder recherchiere eine Frage, die in einem Gespräch offen geblieben war. Alles mit dem Gefühl gestohlener Zeit, im Hintergrund murmelt das schlechte Gewissen leise aber unüberhörbar: Du solltest jetzt aber… – doch ich stelle mich taub und lasse mich weiter ablenken so lange es nur eben geht.
Warum mache ich das so? Es wäre doch viel sinnvoller, die Arbeit gleich zu erledigen und dann RICHTIG frei zu haben! Tja, das ist wohl wahr, doch weiß mein Unbewusstes ganz genau, dass mir dann, wenn ich FERTIG bin, die nächsten Vorhaben einfallen. Schließlich bin ich keine Arbeitnehmerin, die ihren verordneten Feierabend genießt, sondern eine selbstständige Kreative, die immer ein paar Projekte in petto hat, an denen weiter gearbeitet werden kann. Und die stehen dann fordernd auf der Matte, wenn ich mit den Pflichten durch bin. Das „Sinn machen“ würde nahtlos weiter gehen, deshalb stellt mir das UBW ein Bein und ich verfalle – im Grunde gerne – ins Rumlungern zur falschen Zeit.
Kann ich daran etwas ändern? Na klar, alleine das Beobachten dieses Verhaltens, das drüber Reden und Schreiben ändert es schon, zumindest kenne ich das so von anderen Macken, die ich an mir selbst beobachtete und die dann nach und nach verschwanden.
Drei Tage ohne diesen selbst gemachten Stress sind mir jedenfalls ein wundervolles Weihnachtsgeschenk. Zwar ist da mein Jahreswechselkurs mit zehn schreibfreudigen Teilnehmern, und auch im Wellness-Blog muss „Christiane Bach“ weiter schreiben, doch kann ich den Ausnahmezustand, den ich empfinde, in diese Aktivitäten gut einfließen lassen.
Vielleicht schaffe ich es ja im neuen Jahr, mir bewusst gesetzte Freiräume zu schaffen – sie also „zu veranstalten“, weil es anders nun mal nicht geht.
Der Nebel beginnt, sich zu lichten, es wird heller. Vielleicht gehe ich nachher noch raus und lasse die Füße entscheiden, wohin es gehen soll.
Diesem Blog per E-Mail folgen…
Diskussion
Kommentare abonnieren (RSS)
3 Kommentare zu „Weihnachten 2006: Einfach so herumlungern“.