Der Blick in die Zukunft des eigenen Alters ist ein Thema, das bei jedem Satz, der mir dazu in den Sinn kommt, gleich Dimensionen annimmt, die mich im Schreiben behindern. 1000 Aspekte fallen mir dazu ein und jede Aussage erscheint sofort problematisch. Eigentlich wollte ich ja titeln
„Überleben in der Altenrepublik“ –
konnte es dann aber doch nicht so hinschreiben. Denn: bloßes Überleben reicht doch nicht – ich wäre schön blöd, mich in der Vorausschau gleich so zu beschränken! Und dann gleich der nächste irritierende Gedanke: Man muss auch gehen können, wenn es an der Zeit ist. Uralt werden um jeden Preis kann doch nicht oberster Wert sein…
Tja – schwierig! Wo anfangen??? Ein möglicher und jedenfalls sehr zeitgemäßer Titel wäre auch
„Die Altenrepublik und ICH“
denn anders als bei anderen brisanten Polit-Themen (Klimakatastrophe, Globalisierung, Arbeitslosigkeit) stellt sich die Frage mit großer Sicherheit ganz persönlich. Nur ein früher Tod oder ein ausreichendes Vermögen könnte mich retten, doch das eine kann ich nicht wünschen, über das andere verfüge ich nicht.
Lange schon weiß ich, dass ich weit weniger als den Sozialhilfesatz an Rente bekommen werde, wenn alles so weiter geht wie derzeit. Ich werde also maximal „grundversorgt“ sein, was immer das 2030 bedeuten mag, das Jahr, in dem ich 76 werde.
Wenn ich auch hoffe, dann immer noch geistig und körperlich beweglich zu sein, um selbständig leben zu können, so gibt es dafür doch keine Garantie. Unabhängig davon wird mir die Grundversorgung nicht reichen. Zwar ist mein Lebensstil eher bescheiden und genügsam, doch würde der Wegfall dessen, was ich über das Sozialhilfelevel hinaus erarbeite, doch drastische Verluste an Bewegungsfreiheit bedeuten.
Vor allem, wenn ich den Wegfall der Arbeit mit bedenke, womit ich ein weiteres Feld der Unsicherheit betrete: Werde ich immer so weiter arbeiten können? Werde ich es wollen? Braucht dann noch jemand das, was ich anzubieten habe? Was wird das sein? Als eine, die sich in der selbst gewählten Arbeit verwirklicht, kann ich mir nicht vorstellen, damit jemals aufzuhören. Allerdings arbeite ich schon jetzt deutlich weniger als noch vor zehn Jahren, gönne mir ein arbeitsfreies Wochenende ab Samstag mittag, einen Feierabend zwischen 18 und 19 Uhr und auch mal Mittagspausen von ein bis zwei Stunden. Es gibt ein Leben jenseits der Arbeit, und ich vermute, das will mit zunehmendem Alter mehr werden – jedenfalls dann, wenn es gut geht.
Was tun?
Dieses „gut gehen“ wird nicht von selber kommen, das erscheint angesichts der Prognosen und schwarz gemalten Szenarien zumindest wahrscheinlich. Filme wie „Aufstand der Alten“, der mich gestern zu diesem Beitrag inspiriert hat, regen dazu an, dem Thema ins kalte Auge zu schauen und sich ein paar grundsätzliche Fragen zu stellen. Zum Beispiel die, ob ich eher nach der ganz persönlichen Problemlösung suchen soll (etwa: alles tun, um noch jede Menge Geld zu verdienen) oder doch eher „Politik machen“, um das Los der jeweiligen Alten zu verbessern und so auch fürs eigene Alter vorzusorgen.
Beide Möglichkeiten versprechen keine wirkliche Lösung. Schaue ich mein bisheriges Verhältnis zur Arbeit an, dann ist sonnenklar: Die Freude an der Arbeit ist mir ein sehr viel höherer Wert als das Geld, das ich mit ihr verdiene. Etwas nur deshalb tun, weil es lukrativ ist, kann ich über den Einzelfall hinaus nicht zur Linie des Handelns machen – ich lebe JETZT, nicht für ein besseres Leben irgendwann in der Zukunft. Das war immer schon so und wird sich auch nicht ändern, denn es ist die Basis meines Wohlbefindens. Und mit einem etwas höheren Sparbeitrag wäre es ja auch nicht getan. Zur „privaten Vorsorge“ bin ich mit 52 zu alt, als dass sich dadurch noch etwas am Zielstatus „grundversorgt“ ändern würde. Da ich auch kein Erbe zu erwarten habe, ist also abzusehen, dass es mir im Alter dreckig gehen wird, wenn ich auf mich alleine gestellt bin – und Kinder oder reiche Verwandte habe ich keine.
Wäre also „Politik machen“ die bessere Option?? Welche Politik? Für die Lebensbedingungen der heute Alten zu streiten ist ein ehrenwertes und nötiges Engagement, doch als solches keine Lösung der Frage: was wird aus MIR?
Zur Berufspolitikerin (die dann eine auskömmliche Rente bekäme) tauge ich nicht, das hab‘ ich in meinen aktiven Jahren gelernt. Der Wirkungsgrad im jeweiligen Problem ist mir einfach zu gering: es müssen lange Zeit dicke Bretter gebohrt werden und meist versinkt die ursprüngliche Intention in kaum überschaubarer Komplexität, im Widerstreit der Interessen, in halbseidenen Kompromissen, Machtlosigkeit und Zynismus.
Weit bessere Erfahrungen hatte ich mit Bürgerinitiativen und anderen selbst geschaffenen Strukturen. Genug Engagement und Mitstreiter voraus gesetzt, kann man so mittels geschickter Öffentlichkeitsarbeit durchaus Druck ausüben, der die Politiker in Bewegung versetzt. Allerdings müssen die geforderten „Bewegungen“ einigermaßen konkret und von konkreten Politikern umsetzbar sein – und da hapert es bei Großthemen wie „Verbesserung der Grundversorgung“, genau wie beim Thema Arbeitslosigkeit. Klar kann ich zusammen mit vielen anderen fordern: 1500 Euro Bürgergeld für alle – aber ob das irgend etwas bringt?? Schließlich müssen bald deutlich weniger Junge sehr viel mehr Alte erhalten und grundversorgen. Die Idee, da auch noch kostenträchtige Verbesserungen für alle zu erreichen, erscheint zumindest fraglich. Sich „in eigener Sache“ darauf zu verlassen, wäre eine idealistisch motivierte Verdrängung des Problems, kein Schritt hin zur Lösung.
Was also tun?? Es weiter einfach auf mich zukommen lassen und das Beste hoffen? Darauf vertrauen, dass ich bis zum Ende genug verdiene, um mich selbst zu erhalten? Sicherheitshalber wenigstens ein bisschen was sparen? Das müsste ich dann rechtzeitig in die Hände eines „Jungen“ geben, der es vor der „Anrechnung“ schützt und mir regelmäßig Bargeld vorbei bringt, das kleine Zubrot zur „Grundversorgung“? (Merke: Bargeldverkehr muss verteidigt werden!).
Dieser „Junge“ – wer sollte das sein und warum sollte er das für mich tun? Zum Glück könnte ich heute einen deutlich jüngeren Menschen benennen, der es JETZT machen würde, weil er mich als seine Geliebte mag. Wie es aussieht, wenn ich mal 70 und nur noch „eine Freundin“ bin, kann ich nicht voraus wissen. Sicher aber wird es davon abhängen, auf welche Weise ich von der Geliebten zur Freundin werde – und WAS ihm diese Freundin dann noch bedeutet.
Diese Spur lohnt es sich zu verfolgen. Ganz allgemein wird meine Situation im Alter davon abhängen, wie viele jüngere Menschen es gibt, die darauf Wert legen, dass es mir gut geht. Mit Altersgenossen versteht man sich am leichtesten, doch gerade sie sind nicht besonders hilfreich, wenn es darum geht, mit Bedürftigkeit und Schwäche im Alter zurecht zu kommen – sind sie doch vermutlich in ähnlicher Lage.
Freundschaft mit alten Menschen?
Als ich mich vor ein paar Jahren schon einmal mit der Frage nach dem Alter beschäftigte, war ich höchst empört über die teils desolate Lage vieler Alter. Berichte über den Pflegenotstand und menschenunwürdige Bedingungen in den Heimen, über vereinsamte Alte ohne jeden Kontakt hatten mich sehr berührt. Ich wollte etwas tun, mich nicht heraus halten und wenigstens ein bisschen helfen – außerdem hatte ich „Lust auf Alte“, die in meinem Leben praktisch nicht vorkommen, wenn man vom jährlichen Besuch bei meiner Mutter absieht.
Ich ging zum „Verein der Freunde alter Menschen“ und hatte dort die Wahl, entweder Seniorennachmittage mit Kaffee, Kuchen und „lustigen Bingo-Spielen“ mitzugestalten oder wöchentlich einige Stunden mit einsamen Alten zu telefonieren, die keine Besuche wünschten. „Besucher“ konnte man erst nach einiger Vorbereitungszeit werden, also entschied ich mich für den Telefondienst.
Tja, und da erlebte ich recht schnell meine Grenzen! Mit Ausnahme einer lustigen Witwe, die alles andere als vereinsamt war und den Dienst eigentlich nicht brauchte, waren es sehr gewöhnungsbedürftige Alte! Verschroben, egozentrisch, abgefahren in eigene Fantasiewelten, unfreundlich, fordernd, manchmal direkt unverschämt. Ihr Denken kreiste einzig um die je eigene Vergangenheit, sie klagten und schimpften auf die wenigen, mit denen sie noch Umgang hatten und auf die böse Welt – es war psychisch äußerst anstrengend, mit ihnen zu reden. Dass sie sich über den Kontakt irgendwie freuten, war nicht feststellbar. Ich erkannte, dass diesen Alten nicht zu „helfen“ war, sie waren festgefahren in ihrem So-Sein und nicht mehr im Stande, sich auf andere Menschen einzulassen, geschweige denn, ihnen irgend etwas zu geben. Meine Achtung vor Altenpflegern und einschlägig Engagierten wuchs, doch schon nach wenigen Wochen stieg ich aus diesem Ehrenamt einigermaßen ernüchtert wieder aus.
Geben und Nehmen
Die Erfahrung hat mir gezeigt, dass ich nicht „nur geben“ kann, sondern von jeglichem sozialen Engagement auch etwas erwarte. Ich hatte mir – ohne mir dessen bewusst zu sein – „weise Alte“ erhofft: Menschen, die jenseits des Erwerbslebens mit seinem Stress und seinen Zwängen angekommen sind und nun mit offenem Geist und Humor auf das allgemeine Rattenrennen schauen; Männer und Frauen, deren heitere Gelassenheit und meditative Ruhe das Herz berührt und innere Distanz zur ständigen Geschäftigkeit weltlichen Handelns erleben lässt; Alte, die im Reich des Wesentlichen beheimatet sind und aus dieser Fülle heraus GEBEN können. Unter den verbitterten Egozentrikern, mit denen ich telefonierte, fand ich diese Menschen nicht, was eigentlich nicht wundert: WEISE ALTE brauchen keinen „Verein der Freunde alter Menschen“, denn sie haben Freunde, vermutlich mehr, als sie empfangen können.
Die beste Vorsorge (neben anderen Formen des Engagements) für’s eigene Alter wird also sein, die „weise Alte“ in mir wachsen zu lassen, meine Liebe nicht auf den Geliebten und gleichaltrige Freunde zu beschränken, sondern offen zu bleiben für Andere und ihre Sorgen. Der Hang zur Egozentrik und eine fordernde Anspruchshaltung gegenüber der Welt führt direkt in Alterseinsamkeit und Elend. Wer könnte es den Jüngeren denn verdenken, dass sie Schreckschrauben und Jammerlappen im persönlichen Leben eher meiden und den Umgang an Institutionen delegieren? Der Fluss des Nehmens UND Gebens darf nicht ins Stocken geraten, sonst landet man auf dem Abstellgleis – ein Ort, der bei knapper werdenden Ressourcen schnell zur Vorhölle gerät.
In der gesellschaftlichen Diskussion über das Thema „Altenrepublik“ ist viel die Rede von Gerechtigkeit, Menschenwürde, notwendigem bürgerlichen Engagement. Dass weniger Junge mehr Alte werden versorgen müssen, wird dabei ausschließlich als ökonomisches Problem verhandelt. Dabei ist der alles absichernde Sozialstaat längst Vergangenheit, jedenfalls für die, die ab 2020 „richtig alt“ sein werden – also für UNS! Wir tun also gut daran, zu überdenken, wie wir für die Welt nützlich bleiben, so dass die Jungen auch gute Gründe haben, uns nicht in Versorgungsanstalten mit miesester „Grundpflege“ endzulagern und einfach zu vergessen.
Daran zu arbeiten, ist eine individuelle Aufgabe – ich bleibe dran.
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16 Kommentare zu „Leben in der Altenrepublik: 2030 kommt bestimmt!“.