„Wir reden über Wochen….“ – mit dieser ärztlich verkündeten Perspektive einfach weiter leben, geht das? Wie es geht, beschreibt Ulla in den neueren Einträgen ihres Altweibersommer-Blogs. Als ich nach längerer Pause dort mal wieder vorbei surfte, erwischte mich ihre Geschichte „aus heiterem Himmel“. Ich erwartete lockeres Geplauder über dies und das, statt dessen las ich von der Diagnose, der sie sich seit wenigen Monaten stellen muss: Bauchspeicheldrüsenkrebs, inoperabel.
Ich hatte mich immer schon gefragt, ob ich wohl weiter schreiben würde, wenn ich mit der „finalen Diagnose“ konfrontiert bin, und wenn ja, wie lange. Altern, Krankheit, Tod sind Themen, über die man vielleicht mal aus der Distanz schreibt, aber in eigener Sache??? Wer schwächelt schon gerne öffentlich? Würde ich es wagen, mich derart zu entblößen? Ich weiß es nicht! Und nun erstarre ich vor Bewunderung über Ullas Mut, ihr Schicksal so tapfer und selbstbestimmt zu tragen, sich nicht durch vermutlich nutzlose Chemotherapien die Lebensqualität nehmen zu lassen, und zudem ganz offen über ihr Erleben zu schreiben. Und zwar genau so, wie es sich von Tag zu Tag entwickelt, mit all den wechselnden Gemütszuständen zwischen Hoffnung und Verzweiflung, sachlicher Analyse und Sarkasmus, innerem Widerstand und Momenten der Hingabe.
Und das Netz antwortet: unter Ullas Beiträgen finden sich viele Kommentare, Tipps und Infos, virtuelle Umarmungen, Trost und Ermunterungen. Wie wird sich das entwickeln, wenn die Schreiberin pflegebedürftig wird? Wird sich Ulla den Netzzugang am Krankenbett erkämpfen? Wird aus dem „internetten“ Zuspruch ganz reale Unterstützung?
In dieser Gesellschaft ist es immer noch üblich, Alter, Krankheit und Tod in die Unsichtbarkeit zu verdrängen. Wer dazu gehören will, soll gefälligst so jung, fit und schön sein wie die makellosen Gestalten, die von den Plakatwänden lächeln. In den Blogs und Homepages dominieren Erfolgsgeschichten und Belanglosigkeiten, die den Schreibenden gut aussehen lassen. Schließlich soll das „virtuelle Kostüm“ schmücken und schützen, nicht etwa mit harten Tatsachen konfrontieren, mit denen man selbst kaum fertig wird.
Das unvermeidliche Sterben ist die heftigste harte Tatsache. Das gilt für jeden, nicht nur für Menschen, die bereits „ihre Diagnose“ kennen. Für sie ist Verdrängung allerdings nicht mehr möglich, die Basis des alltäglichen Halbschlafs ist zerschellt. Die meisten ziehen sich dann zurück und verbergen ihre Lage, fürchten die Ausgrenzung und Diskriminierung und wollen erst recht kein Mitleid. Sie tragen mit dieser sehr verständlichen Haltung dazu bei, dass alles so bleibt, wie es ist – Ulla hat sich anders entschieden, wofür ich sie sehr bewundere!
Vielleicht werden die Blogger und Diary-Schreiber dazu beitragen, dass das Sterben wieder als selbstverständlicher Teil des Lebens wahrgenommen wird. Wer es gewohnt ist, über sich zu schreiben, hört nicht plötzlich damit auf, wenn „die Diagnose“ ins Leben einbricht – und alle, die da mitlesen dürfen, erleben eine seltsame und beglückende Beruhigung: auch Sterben ist Leben, ist Gegenstand des Berichtens und Betrachtens, zu dem man schreibend Distanz aufbauen kann, anstatt zu verzweifeln.
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3 Kommentare zu „Leben mit der finalen Diagnose – und schreiben!“.