Ab und an lese ich in Foren mit, in denen Menschen vom Leiden an ihren Liebespartnern berichten. Auch für viele Printmedien ist das verbreitete Beziehungselend ein niemals endendes, immer aufs Neue viele Leserinnen anziehendes Thema. Garniert wird das Ganze oft mit Zeitgeist-Analysen: zwar stünde Romantik hoch im Kurs (Treue, Zweisamkeit, Family Values), doch nehme die Lebensdauer der Beziehungen ständig ab. Anscheinend werde der Mitmensch nurmehr konsumiert, um dann bei Nichtgefallen ausgetauscht zu werden. Was ja auch nicht wundert: Liebespartner brauchen einander nicht mehr zum Überleben. Lange schon haben wir die Sicherung der Existenz ans soziale Netz und andere Institutionen delegiert. Warum also bei jemandem verweilen, mit dem es nur noch Konflikt, gegenseitige Vorwürfe, Schuldgefühle und Miesepetrigkeiten aller Art zu erleben gibt?
Der Weg Richtung Hölle
Oft frage ich mich, ob es eigentlich so etwas wie einen FORTSCHRITT in diesen Beziehungsfragen geben kann, der über das individuelle Bewusstsein hinaus reicht? Ich bin da pessimistisch, denn an sich ist über die Dramen der Zweierbeziehung alles gesagt. Kaum ein Gebiet ist derart umfänglich in Ratgeberbüchern verhackstückt worden, doch scheint es gar nichts zu nutzen, wie viel man über diese Dinge weiß. Der übliche Ablauf einer Beziehung bleibt im wesentlichen gleich: Erst die Phase der Verliebtheit, in der die „rosa Brille“ den Blick auf den real existierenden Partner weitgehend verstellt. Wir erleben nicht IHN (bzw. SIE), sondern das, was wir erträumen und von einer Liebesbeziehung erwarten. Für alles, was in diesen Erwartungshorizont nicht passt, sind wir weitgehend blind. Lässt der „Rausch“ dann nach, tritt der reale Mensch, wie er wirklich ist, in den Blick – und der Kampf beginnt. Anstatt die eigenen Erwartungen einer kritischen Sichtung zu unterziehen, wird versucht, den Partner zu dem zu machen, was er sein soll. Solange die rosa Brille ihren Dienst tat, war das Gegenüber eine Quelle der Freude und des Genießens, jetzt wird Druck ausgeübt, subtil oder offen: Ändere dich, sonst verlasse ich dich!
Warum ist das so? Es sind doch alles erwachsene Menschen, sollte man denken. Wer glaubt denn allen Ernstes, das ein anderer Mensch durch sein so oder anders sein den eigenen Seelenfrieden gewährleisten könnte? Wie kann es geschehen, dass das Gefühl der Nähe und Vertrautheit auf einmal dazu führt, dass der eben noch Geliebte nun unter der Überschrift der Liebe mit einem Verhaltenskorsett überzogen wird, das tief in seinen Lebensstil eingreift?
Eckhart Tolle führt in seinem Buch „JETZT! Die Kraft der Gegenwart.“ das Dilemma, in das viele Beziehungen hinein schlittern, auf einen einzigen Punkt zurück: Solange der Mensch mit seinem Verstand identifiziert ist, bezieht er sein Selbstgefühl von außen. Das Ich-Gefühl ist abhängig von der Rolle in der Gesellschaft, von Erfolg und Scheitern, von Besitz und Status. Das vom Verstand geschaffene Selbst („Ego“) fühlt sich zwangsläufig unsicher und sucht deshalb fortwährend nach Dingen, mit denen es sich identifizieren kann. Trotzdem bleibt die Empfindung von Mangel und Bedürftigkeit immer bestehen, denn alles, was man gewinnen kann, ist ja nicht sicher: es kann wieder verloren gehen – und wer bin ich dann?
Verliebt man sich, erscheint das zunächst als Erlösung vom Mangelzustand. Tolle schreibt:
„All die anderen Dinge, aus denen du bislang deinen Selbstwert bezogen hast, rücken nun im Vergleich in den Hintergrund. Du hast jetzt einen einzigen Bezugspunkt, der sie alle ersetzt, der deinem Leben Sinn verleiht und über den du deine Identität bestimmst: die Person, in die du „verliebt“ bist. Du bist nicht länger ein nicht verbundenes Fragment in einem lieblosen Universum, es scheint zumindest so. Deine Welt hat jetzt einen Mittelpunkt: die geliebte Person. Die Tatsache, dass dieses Zentrum außerhalb deiner selbst liegt und du also immer noch dein Selbstgefühl von außen beziehst, erscheint zuerst bedeutungslos. Wichtig ist vielmehr, dass die unterschwelligen Gefühle von Unvollkommenheit, Angst, Mangel und Unerfülltheit, die für den Egozustand so charakteristisch sind, auf einmal nicht mehr da sind – oder etwa doch? Haben sie sich aufgelöst oder existieren sie unterhalb der glücklichen Oberflächen-Realität weiter?“ (S.161)
Leider ja! Man nennt es Liebe, doch immer öfter taucht das Gegenteil von Liebe in der Partnerschaft auf: Verlustängste, Kontrollbedürfnisse, Eifersucht, Ärger, Angst, Schmerz und Mangel treten auf, sobald das Verhalten des Partners die Bedürfnisse des Egos (das immer um seine Existenz fürchtet) nicht mehr befriedigt. Abhängiges Klammern wird jetzt mit Liebe verwechselt – und der Partner hat nichts mehr zu lachen! Tolle analysiert den Verlauf als Suchtgeschehen:
„Genau wie bei jeder anderen Art von Sucht bist du high, solange die Droge verfügbar ist (= solange der Partner nur das tut und zeigt, was genehm erscheint. ck.), aber unweigerlich kommt der Moment, in dem die Droge bei dir nicht mehr wirkt. Wenn all die schmerzhaften Gefühle wiederkommen, dann fühlst du sie sogar noch stärker als vorher, ja du siehst dann obendrein deinen Partner als Ursache dieser Gefühle an. Das bedeutet, du projizierst nach außen und greifst dann den anderen mit all der heftigen Gewalttätigkeit an, die Teil deines Schmerzes ist“.
Ich erinnere mich an hoch emotional durchdiskutierte Nächte, an Tränen und Vorwürfe, Verzweiflung und Hass, den ich doch gleichzeitig gar nicht wahrhaben wollte: Wir lieben uns doch! Wie kann es dazu kommen, dass nun alles so sperrig ist? Dass er mich nicht mehr ok findet, wie ich bin, sondern will, dass ich anders werde? Oder umgekehrt: warum zum Teufel ist er nicht bereit, diese kleine Änderung MIR ZULIEBE zu vollziehen? Er liebt mich nicht mehr, sonst wäre ich ihm das wert!
Ich erinnere mich aber auch an kleine „Momente der Erleuchtung“, in denen mitten im über Tage und Wochen hingezogenen „Beziehungs-Clinch“ auf einmal alles, worüber gerade noch erbittert gestritten wurde, von mir abfiel: EINIGUNG (über gegenseitige Ansprüche, Erwartungen, etc.) war plötzlich unnötig, wir waren ja schon zusammen! Oh, welche Entspannung… und wie schön, wenn dieser Moment sogar geteilt wird!
Beziehungsgeschäft und Beziehungskonto
Das Übliche ist das allerdings nicht. Normalerweise zog sich der Beziehungsstress über Monate, manchmal Jahre hin. Jeder versuchte, die eigenen Bedürfnisse durchzusetzen und erwartete vom Partner, dass er sich „aus Liebe“ anpasste. Eine Haltung, die der Liebe nach und nach den Boden entzieht. Der Andere wird zum „Anspruchsgegner“, die Beziehung zum Geschäft: hier verbiege ich mich dir zuliebe ein wenig, dafür unterlässt du etwas anderes, weil ich damit nicht leben kann. Das „Beziehungskonto“ wird wichtiger Teil der gemeinsamen Realität und unbemerkt erschafft man so die Sehnsucht nach dem Ende. Denn wenn ich nicht so leben kann, wie es mir entspricht, weil ER es anders will, dann denke ich immer öfter an die Zeit „danach“, in der ich endlich wieder die sein kann, die ich bin, und mein Leben so leben, wie es mir gut tut. Vielleicht sogar mit der Chance, jemanden zu finden, dem ich gefalle, wie ich bin, und für den ich mich nicht erst mühsam ändern und selbst beschränken muss.
Alles in allem brauchte ich bis Mitte vierzig und mehrere langjährige „Clinch-Beziehungen“, um all das hinter mir zu lassen. Dann war es durch, ganz ohne dass ich dafür neue intellektuelle Anstrengungen machen musste. Es war offensichtlich keine Sache des Wissens, sondern eine des Seins: Männer bedeuten in meinem Leben seitdem eine Bereicherung, keine Beschränkung mehr. Wer mich liebt, muss mich nehmen, wie ich bin – ja was denn sonst?
Ausschlaggebend für die Qualität einer Beziehung ist das, was ich hier und jetzt mit meinem Partner erlebe – nicht das, was er ansonsten so tut, wie er wohnt, wen er außer mir noch mag und trifft, wie er sein Leben gestaltet, wie er arbeitet oder wie viel Geld er macht. Und wenn er nicht da ist, gehe ich ebenso meiner Wege und unternehme, wonach mir gerade ist – wie käme er dazu, mich darin zu behindern und zu beschränken? (Er liebt mich doch!)
Und seltsamerweise geht das ohne jeden „Beziehungsstress“ ab! Wer sein So-Sein ganz selbstverständlich lebt und gar nicht als „Verhandlungsmasse“ begreift, lässt offensichtlich im Gegenüber gar nicht die Idee aufkommen, dass es lohnen könnte, an irgend welchen Schräubchen zu drehen, um in bestimmte Richtungen umzuerziehen. Dieselbe Entspannung genießen aber auch meine Partner: einzig, wenn mir der Liebste ein Leiden klagt, würde ich auf Dinge hinweisen, deren Veränderung vielleicht helfen könnte. Ansonsten darf er sein, wie er ist, denn so liebe ich ihn ja, dafür muss mir nicht jedes Detail seines Lebensstils gefallen.
So komme ich heute zum Schluss: nicht die sogenannte „Liebe“, in der der Partner und sein Wohlverhalten meinen Seelenfrieden garantieren soll, macht glücklich, sondern eher eine Grundhaltung wahrer Freundschaft: den Freund liebt man mit all seinen Ecken und Kanten, man droht ihm nicht mit „Verlassen“, wenn er sich nicht ändert, sondern genießt einfach das, was man an ihm schätzt, was den wahren Grund für die Freude am Zusammensein ausmacht.
Diese Lehre entsteht aus Leiden und Scheitern. Scheitern im Bemühen, den eigenen Kopf durchzusetzen, bzw. im mehrfachen Erleben dessen, was aus einer Liebesbeziehung wird, wenn sie zum „Beziehungsgeschäft“ verkümmert.
Insofern glaube ich nicht, dass es da je einen „kollektiven Fortschritt“ geben kann. Immer wieder texten die Liedermacher: „ich liebe dich, ich brauche dich, ich kann nicht ohne dich leben!“ – Sätze, bei denen es mir kalt den Rücken runter läuft angesichts der besungenen und auch noch gefeierten psychischen Abhängigkeit.
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[Über Liebe, Erotik, Beziehung schreibe ich auch im Lustgespinst.]
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