Als ich vor fast sechs Wochen in Phnom Penh ankam, gönnte ich mir erst mal ein paar ruhige Tage, um mich an all das Neue zu gewöhnen. Dass das nach der Rückkehr genauso nötig sein würde, hätte ich gar nicht erwartet: schließlich ist es ein Heimkommen zum Altbekannten, zum Gewohnten und Vertrauten. Und doch fühlt es sich nicht weniger spektakulär an wie der Wechsel ins Fremde, wobei die „Akklimatisierung“ vom Groben zum Feinen vonstatten geht. Am drastischsten beeindruckt die physische Umwelt, die winterliche Kälte, die ich noch niemals als so angenehm erlebte: Kalte, klare Luft streichelt das Gesicht, der Körper fühlt sich leicht, fast schwebend, denn er muss nicht mehr schwitzen, um seine Innentemperatur gegen die Hitze zu verteidigen. Erst jetzt merke ich, wie groß die physische Sehnsucht nach Abkühlung war!
Kulinarische Abenteuer
Das nächste ist das Essen, das eine tiefe Zufriedenheit auslöst: Keine Irritationen durch exotische Khmer- und Thai-Gewürze mehr, von denen ich einige definitiv nicht mochte. Das ist allerdings nur der Gipfel des Eisbergs, mehr als gelegentliche Geschmacksschocks durch „Banana-Flower“ oder Koriander bedeutet es einen subtilen Stress, dass definitiv gar nichts von all den vielen gesunden und durchaus wohl schmeckenden Gerichten die „Geschmackserwartung“ wirklich befriedigt – auch dann nicht, wenn ich, wie gegen Ende des Urlaubs, immer öfter europäische und internationale Küche bevorzugte. Schon zwei Spiegeleier bescheren ja ein gewisses Frusterlebnis, wenn sie ganz ohne Salz und Pfeffer serviert werden, und zig Varianten von Fisch und Sea-Food, auf die ich wirklich stehe, erscheinen unvollkommen, wenn es keine Zitrone dazu gibt. Pizza ohne grundlegenden Tomatenbelag und Pasta aus dünnen asiatischen Nudeln wirken nicht wirklich „stimmig“, genau wie das immerhin vorhandene, aus der französischen Tradition übernommene Baguette nie und nimmer die „richtige“ Konsistenz in Teig und Kruste aufweist.
Ich hätte nie gedacht, dass ich so stockkonservativ bin, was das Essen angeht, sondern pflegte ein Selbstbild der Aufgeschlossenheit gegenüber allen möglichen fremden Küchen. Dass das durchweg europäische bzw. europäisierte Küchen sind, war mir gar nicht so bewusst, doch beim Inder in Berlin schmeckt es eben deutlich anders als beim Inder in Phnom Penh. ALLES schmeckt anders, egal, was es ist. Und natürlich hab‘ ich das lange sehr genossen, mit Freude vieles ausprobiert und manches neue „Lieblingsgericht“ entdeckt (z.B. Nudelsuppe). Dass es bei allem Spaß an kulinarischen Abenteuern auf Dauer doch anstrengt, sämtliche vertrauten Geschmackserlebnisse zu entbehren, merke ich erst jetzt nach der Heimkehr: mein morgendlicher Milchkaffe aus der Espressokanne macht mich richtig glücklich! Ich brate Tiefkühlfisch ohne Gräten und geize nicht mit Zitrone, gehe täglich zum Bäcker und freue mich über Brezeln und Mehrkornbrötchen, bereite mir grüne Salate mit genau dem Dressing, das ich mag und merke, wie sich jede einzelne Geschmacksknospe auf der Zunge übers Wiederschmecken freut!
Allein
Eine dritte drastische Veränderung „im Groben“ ist die Heimkehr ins Alleinsein. Fast sechs Wochen war ich ununterbrochen mit meinem liebsten Gefährten zusammen, phasenweise sogar im selben Zimmer. Jeden Tag und jede der vier Reisen durchs Land erlebte ich mindestens zu zweit, oft waren wir auch zu dritt und zu viert. Es ging sehr gut und gab keinerlei Urlaubszoff, doch in der letzten Woche spürte ich die zunehmende Sehnsucht nach meiner heimischen „Einsiedelei“: einfach nur da sein, ohne dass jemand meinen Gesichtsausdruck interpretiert, frei verfügbare Zeit ohne jede Abstimmung und Verabredung mit anderen. So, wie ich jetzt wieder vor dem PC sitze: allein und doch virtuell mit allem verbunden, jeden Moment frei, etwas ganz Anderes zu tun als ich es eben noch vor hatte, ohne dass ich das irgendwie erläutern und vermitteln müsste – nach sechs Wochen „in Kontakt“ genieße ich den mir eigentlich vertrauten Normalzustand wie ein neu erobertes Paradies. Wie anders ist das doch als noch mit 25, wo ich es kaum allein zuhause aushielt, sondern immer bei Freunden und Geliebten herum hing oder selbst Besuch hatte!
Nun bin ich schon den vierten Tag alleine und kann mich langsam wieder auf die lieben Mitmenschen freuen, die ich morgen und übermorgen sehen werde. (Wie machen das nur all die vielen „Zusammen-Wohner“ ?) Anders als noch vor der Reise ist mir allerdings bewusst, wie privilegiert dieses Leben in einem großen, individuell gestaltbaren Freiraum ist, in dem der Andere ein „besonderes Ereignis“ ist und keine ständige Notwendigkeit. Schon meine 72 Quadratmeter persönlicher Wohn- und Arbeitsraum sind ein riesiger Luxus: auf dieser Fläche würden in Kambodscha und Vietnam locker mehrere Familien leben, wenn sie nicht gerade zu den Reichen gehören, die es natürlich auch gibt.
Ich muss dafür zum Glück nicht reich sein und wenn ich krank bin oder einen Unfall habe, zahlt die Kasse den Arzt. Wogegen man in Kambodscha sogar im Krankenhaus einfach stirbt, wenn man keine zahlungsfähige, bzw. verschuldungsbereite Familie hat, die für die Behandlung gerade steht.
Diesem Blog per E-Mail folgen…
Diskussion
Kommentare abonnieren (RSS)
11 Kommentare zu „Fisch mit Zitrone und Glück allein“.