Nachdem ich nun schon mal angefangen habe, kann ich jetzt nicht aufhören mit dem sichten, sortieren, ausmisten. Das Bücherregal ist geschafft, was da jetzt noch drin ist, kenne ich wieder! Das, was mir dieses schier körperliche Unwohlsein beim Blick auf chaotische Ecken, Regale und Schränke vermittelt, ist der mangelnde Überblick. Nicht zu wissen, was da alles ist, bedeutet auch, nicht zu wissen, wo etwas Bestimmtes ist, wenn ich es mal brauchen sollte. Da ich aber nur selten außerhalb der Küche mit physischen Gegenständen umgehe, vergesse ich sie auch schnell: aus den Augen, aus dem Sinn…
Einfach abholen lassen
Wie wunderbar, dass es das Internet gibt!! So kann ich „die Entsorgung“ vom PC aus ganz unaufwändig organisieren. Die Kann-weg-Bücher füllen im Moment den ganzen Esstisch, sie werden Mittwoch von den Mitarbeitern des „Berliner Büchertischs“ abgeholt – super! Und als ich heut früh‘ beschloss, mich von diesem unförmigen Zweitschreibtisch zu trennen, der von Machart und Form überhaupt nicht zum Rest des Raumes passt, hab‘ ich ihn fotografiert, dann bei der Schenk & Tauschbörse der BSR eingestellt – und grade eben haben ihn schon zwei junge Männer abgeholt. Ohne das Trum-Teil wirkt es im Moment selbst für mich ungewohnt leer – ich werde eine neue große Pflanze hinstellen, die wenig Licht braucht. Die alte musste bis auf zwei Ableger dran glauben und ist meinem „Entsorgungswahn“ zum Opfer gefallen: sie hatte mittlerweile mehr Luftwurzeln als Blätter.
Als nächstes wagte ich mich an die Kästen mit CDs und DVDs, sortierte ein Dritter in den Abfall und den Rest nach „Sorte“: Musik, Sicherungs-CDs, Filme, Software – nichts davon „sammle“ ich, es findet sich über die Jahre so ein und macht einen wichtigen Eindruck: bloß nichts wegwerfen, da könnten hochwichtige oder sehr persönliche Daten drauf sein, unwiederbringliche Software, die der PC vielleicht mal braucht!
Wenn ich aber von der tatsächlichen Nutzung ausgehe, dann entpuppt sich auch dieses „Daten-Scheiben-Horten“ als archaisches Überbleibsel als Vor-Netz-Zeiten: ich stelle bzw. lege sie immer nur ab und vergesse sie dann. Da ich keine DVD-Filme schaue (wenn doch, dann nur einmal), und mich auch nicht gewohnheitsmäßig mit Hintergrundmusik beschalle, hab‘ ich im Grunde keine Verwendung für solche Zuwendungen. Und CDs wie „Internet-Literaturwettbewerb 1998“ und ähnliche Netz-Kultur-Event-CDs werfe ich allein aus sentimentalen Gründen nicht weg, behalte auch eine Vogelstimmen-CD und die Präsentation „Biosphärenreservat Schalsee“ – auf dass sie noch ein paar Jahre länger herumstehen.
Warum wegwerfen schwer fällt
Irgendwie strahlt das alles einen vermeintlichen Wert aus, der mich am Wegwerfen hindert, obwohl es FÜR MICH keinerlei Gebrauchswert besitzt. Der einzig erkennbare Grund, solche Dinge zu behalten, ist die Tatsache, dass sie ein Stück Vergangenheit repräsentieren: gelebtes Leben – und sei es nur ein komplett unwichtiger Ausflug in jenen Naturpark, dem ich mit dem Kauf der CD dann noch was Gutes tun wollte. Hm, ich werde die Scheibe dem lieben Freund mitbringen, mit dem ich dort gewesen bin: wenn er es nimmt oder wegwirft, bin ich davon befreit!
Eine Vergangenheit ganz anderer Art repräsentieren die vielen Sicherungs-CDs: Ganze Festplatten-Bereiche aus verschiedenen Jahren seit 1992 – Webwerke, Mailverkehr und Fotos, die ich alle auch auf Platte habe. Möchte ich die ewig horten? Ich werde sie auf ganz wenige DVDs eindampfen, bzw. nur den jetzigen Stand erneut sichern. Allein die MÖGLICHKEIT, sich in E-Mails von 1998 zu vertiefen, ist Versuchung und Last zugleich. Besser, solche Daten existieren gar nicht, dann kann man der Verlockung rückwärtsgewandter sentimentaler Besichtigungen auch nicht erliegen. Bisher hat mich das zwar nicht im Geringsten gereizt, aber wer weiß, wie egozentrisch und verschroben ich im Alter mal werde!
Die Entsorgungsaktion erinnert mich an eine andere vor ca. zehn Jahren, als ich mich nach einigem Zögern von allen Werken auf Papier trennte, die ich im Lauf der Jahrzehnte angehäuft hatte: Hausarbeiten, Uni-Projekte, frühere Veröffentlichungen, Magazin- und Zeitungsartikel, selbst gemalte Bilder und Collagen, viele alte Fotos, selbst geschaffene Medien aus verschiedensten Jobs und Engagements – all dieses Zeug hab‘ ich ebenfalls nie wieder angesehen, aber gehortet als einen persönlichen Schatz. Keinen besonders geliebten, aber doch irgendwie „ein Teil von mir“.
Solche Zeugnisse des eigenen Wirkens in der Welt in den Müll zu werfen oder zu verbrennen, konfrontiert ganz klar mit der eigenen Vergänglichkeit. Sind die Spuren nicht mehr da, ist das Erlebte nur noch im Gedächtnis vorhanden, ist unscharfe Erinnerung, die schon zu Lebzeiten spürbar verblasst. Das bedeutet: Ich kann nicht mehr „beweisen“, dass geschehen ist, was geschah, kann meine Leistungen nicht mehr vorzeigen, nicht mit den Lorbeeren der Vergangenheit glänzen, sollte ich das mal wollen. Mit der Wahl, mich von alledem zu trennen, hab‘ ich mich für die Gegenwart entschieden – das hört sich gut an, aber im ersten Moment war es wie ein „Fall ins Nichts“.
Danach fühlte ich mich der Realität näher: dieser ganze alte Kram interessiert sowieso kein Schwein! Die ganzen Berge mit persönlichen Papieren, Fotos und Erinnerungsstücken, die bei Verstorbenen vorgefunden werden, sind nichts als ein Entsorgungsproblem: für die Freunde, für die Familie (falls vorhanden) oder für die Behörden. Das hab‘ ich jetzt schon oft genug mitbekommen, um mir da keine Illusionen zu machen – und finde es auch ganz richtig so. Das Leben ist in den Sand geschrieben: dass die Spuren einer Existenz schon bald restlos verwehen, ist Tatsache. Davor retten auch 20 volle Schränke nicht.
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13 Kommentare zu „Ausmisten – die Fortsetzung“.