Manchmal bemerke ich an mir eine große Müdigkeit Menschen gegenüber. Sie bezieht sich nur selten auf konkrete Menschen, sondern taucht auf, wenn ich die üblichen Aggressivitäten und Miesepetrigkeiten mitbekomme: Das Insistieren auf je eigenen Interessen und Befindlichkeiten, die volle Blindheit fürs Gegenüber, das Pfauenradschlagen und Abwerten anderer, die Nicht-Akzeptanz anderer Meinungen und Haltungen, das Eintüten in Schubladen und Klischees anhand irgend welcher Details, das Herauspicken von Äußerungen aus dem Zusammenhang und „zur Schnecke machen“ des Redners, das Jammern und Klagen über persönliche Verluste und Umstände, an denen immer andere Schuld sind, der Ruf nach dem Staat bei gleichzeitigem Politiker-Bashing und persönlicher Politik-Abstinenz, die immensen Ansprüche an den Intimpartner, die zunehmende Unduldsamkeit gegen alles Abweichende, die wachsende Unwilligkeit zu solidarischem Handeln, die Überheblichkeit, die anderen sagt, was für sie gut ist und wann sie „im falschen Bewusstsein“ leben, der Scheuklappenblick, der immer nur das möglichst Negative bemerkt, das sich zum Schüren weiterer Streitigkeiten nutzen lässt – alles in allem scheint der Wille, sich in den Anderen zu versetzen und SEINEN Standpunkt, SEINE Möglichkeiten als ebenso wahr und real zur Kenntnis zu nehmen wie den eigenen, langsam aber sicher zu verschwinden.
Wir haben wohl zu lange Frieden gehabt. Man begegnet sich zunehmend im Modus des Messer-Wetzens, jedenfalls immer dann, wenn es nicht die eigenen Nächsten sind – und die werden auch immer weniger. Jenseits des Individuums gibt es bald nichts mehr, jedenfalls keine Öffentlichkeit und kein gesellschaftliches Miteinander, das sich auf positive Werte bezieht, dem sich alle gleichermaßen verpflichtet fühlen.
Ich schreibe das nicht, um eine weitere „Klage über die Welt“ zu verfassen und mich danach ein bisschen entspannter zu fühlen, sondern weil mich die Müdigkeit wundert, denn die ist neu. Früher wurde ich halt auch aggressiv, wenn die Pfeile mich trafen, oder eben deprimiert und traurig. Heute fühle ich mich allermeist gar nicht betroffen, selbst dann nicht, wenn mich jemand persönlich meint.
Statt dessen kommt bloß noch ein großes Gähnen auf: ach, wieder das Übliche… Dann kommen mir Menschen wie Insekten vor, die vollkommen berechenbar übereinander herfallen, wenn sie sich begegnen. Früher sah ich mich in der Position des Angegriffenen, heute bemerke ich die feindselige Tendenz, egal wo sie auftritt, und bin nur noch gelangweilt. Wie wenn man denselben Kriegsfilm zum zehnten Mal sieht.
Dann hilft nur abwenden und Dinge tun, die nichts mit Menschen zu tun haben: programmieren zum Beispiel, oder gärtnern. Und um den Schlenker zum Positiven nicht Diary-untypisch auszulassen: Die Menschenmüdigkeit ist auch nur eine Stimmung – und Stimmungen sind instabil, gehen Gott sei Dank vorüber!
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36 Kommentare zu „Menschenmüdigkeit“.