Wenn ich morgens erstmal ein wenig herum surfe, auf Rivva die Themen der Blogosphäre betrachte, einige Blogs und Mainstreammedien aufsuche, die auf meiner Startseite verlinkt sind, empfinde ich das Web oft als irgendwie „zu flach“. Eine völlig irrationale Anmutung, denn wie könnte es denn je „tiefer“ sein, wenn ich doch immer nur eine einzelne Seite auf einmal ansehen kann?
Diese einzelne Seite, die mein Interesse durch eine Artikelüberschrift geweckt hat, scheint mir mehr zu verbergen als zu zeigen: das ganze Web ist ja immer „dahinter“. Angesichts der unendlich vielen Blickwinkel auf die Welt, die ich mir „potenziell“ zu Gemüte führen könnte, ist sie ein Nichts, ein irrelevantes Stäubchen im Sandsturm, den ich immer nur ahne, aber niemals in ganzer Ausdehnung anschauen kann.
Auch ich bin so ein Stäubchen angesichts des Ganzen – aber für mich selbst bin ich das Zentrum. Eine verzerrte Sicht der Dinge, aus der ich nur sehr begrenzt in Gedanken mal aussteigen kann.
Norbert Bolz prophezeit unterdessen im SPIEGEL, dass wir mittels direkter Gehirnvernetzung demnächst zu Insekten werden: „Biokybernetische Kommunikationssysteme werden das Zentralnervensystem des Menschen und seinen Computer direkt verschalten, die Datenflüsse des Gehirns direkt steuern – Stichwort Biochip. Ein ins Gehirn implantierter Computer wird es dann auch ermöglichen, von Gehirn zu Gehirn zu kommunizieren – das war bisher den Engeln des Mittelalters vorbehalten.“… Der Computer wird von der Black Box zum Kleidungsstück und schließlich zum Implantat. Nanotechnologie sorgt dafür, dass der Computer weniger als Werkzeug denn vielmehr als eine Art Kleidung oder gar Haut erfahren wird. Nano-Biosensoren im Körper kontrollieren Gesundheit und Stresslevel.“
Total gehirnvernetzt würde mir wohl nichts mehr „zu flach“ vorkommen, denn es gäbe keine Trennung, kein sinnlich wahnehmbares „Interface“ mehr zwischen mir und den Informationswelten, die alle und alles umfassen.
Ist Bolz ein Spinner? Angesichts der nur noch geringen Fähigkeit vieler, sich zu konzentrieren, glaube ich nicht an die „Gehirnsteuerung“ – außer in der Art, wie sie derzeit bei Hightech-Prothesen schon im Einsatz ist: Ersatzmuskeln steuern, das scheint zu gehen. Hätte ich aber „Google im Kopf“, würde es kaum gelingen, noch irgend etwas genauer anzuschauen, denn jeder Begriff, über den ich nach-denke, würde bereits neue Infos ins Bewusstsein heben. Das Chaos im Kopf würde ein Handeln unmöglich machen.
Vielleicht ist das aber genau das, was fehlt? Der Mensch, endlich still gestellt in seinem oft genug zerstörerischen Aktivitäts- und Expansionsdrang?
„Der Körper und seine Gegenwart werden für das Funktionieren unserer Gesellschaft immer unwichtiger. Was zählt ist Erreichbarkeit, nicht Anwesenheit; was zählt ist Funktion, nicht Substanz.“
Das ist zum Teil heute bereits so – und doch ist es eine Lüge. Denn die Motiviation, überhaupt irgend etwas zu tun, entsteht im Körper, in der Welt der Gefühle und Empfindungen, die auf alles reagieren, was so „herein kommt“ – aber eben in hohem Maße vom Grundbefinden im „Hier und Jetzt“ abhängen. Mal raus auf den Balkon treten, in die Sonne blinzeln, ein paar Mal tief einatmen – und schon ist man völlig anders drauf!
Im Rahmen eines Honorarjobs schreib ich unter anderem immer wieder Texte zum Thema Diät – rein körperlich verstanden. Es ist aber eine ganz andere Diät, die die zunehmend vernetzte Menschheit braucht: nämlich die Info- & Input-Diät. Mal kein Blick ins Netz, kein TV, keine Musik, kein Handy, keine Zeitungen, nicht einmal ein gutes Buch – sondern einfach da sein, in der Welt sein, jedoch nicht nach außen schauen. Wer das gelegentlich übt, wird sich zunächst vorkommen wie „ausgesetzt“ – und doch bald bemerken, wie sehr es dem inneren Frieden nützt.
Wir sind übende Wesen und müssen uns gewisse Anthropotechniken aneignen, die einst nur im Rahmen religiöser Askesen tradiert wurden, sagt Peter Sloterdijk in seinem neuen Buch „Du musst dein Leben ändern“. Das Wissen um die Ausschaltknöpfe all der Gerätschaften und die Fähigkeit, Info-Angebote auch mal links liegen zu lassen – erst wenn das ganz verschwunden ist, sind wir das, was Norbert Bolz als Ziel der Entwicklung ansieht: ein Schwarm von Insekten.
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3 Kommentare zu „Werden wir zu Insekten?“.