Claudia am 25. Mai 2009 —

Vorsorge für den eigenen Ausfall

Der zum Glück nicht schwerwiegende Fahrradunfall vom Samstag hat mich erneut darauf gestoßen: Was passiert eigentlich im Fall meines plötzlichen Tods? Es hätte ja eine Straßenbahn hinter mir fahren können, als ich stürzte – und schon wär’s vorbei gewesen!

Wenn dann jemand mein Begräbnis organisiert und meine Wohnung ausräumt, ist damit ja nur der physische Teil meines Lebens „abgewickelt“.  Ich stell‘ mir grade vor, der mit dem Nachlass befasste Mensch verscherbelt einfach den PC an einen Elektronik-Trödler – um Himmels Willen!  All‘ meine Blogs und Themenseiten wären einfach nur tot, ohne dass irgend jemand mitteilt, dass es mich nicht mehr gibt. Irgendwann würde der Provider sie löschen – ungeachtet der Tatsache, dass hier und da Werbepartnerschaften existieren, die auch post mortem noch ein paar Monate ein bisschen Geld abwerfen. Das wiederum an Stellen landet, von denen ein Entrümpler wahrlich keine Ahnung haben kann, genauso wenig wie von meinem Bankkonto, das ich online verwalte.

Dann sind da meine Webhosting-Kunden und die aktuellen Auftraggeber – auch sie bedürfen einer geordneten Abwicklung und Übergabe an jemand anderen. Und dann sind da noch all die Behörden, Unternehmen und Personen, an die ich Zahlungen leiste, bzw. die Beträge von meinem Konto abbuchen,bzw. per Dauerauftrag überwiesen bekommen: Strom/Gas, Miete, Krankenkasse, dies und das…

Ich erinnere mich gerade an meinen Vater, der einen schwarzen Ordner mit einem Kreuz drauf im Regal stehen hatte. Darin hatte er alles für den Ernstfall vorbereitet, inklusive vorformulierter Anschreiben an alle Institutionen, mit denen sein Leben „verbandelt“ war – ich hab‘ das damals belächelt, doch im Grunde hat er es genau richtig gemacht!

Bei mir wäre allerdings einiges mehr voraus zu regeln, vor allem auch zu ordnen. Im Text „Mein Nachlass im PC“ hab‘ ich mich schon mal mit der Situation konfrontiert, jemand würde nach meinem Tod den PC anschmeißen und versuchen, sich einen Durchblick zu verschaffen. Mein Ableben hab‘ ich damals (2003) weit in die Zukunft verlegt, deshalb enthält der Text auch „Erinnerungen“ an Ereignisse, die tatsächlich noch im Reich der Möglichkeiten schlummern. Insgesamt war diese Vorausschau allerdings eher literarisch, nicht wirklich geeignet als Hilfe für denjenigen, der den Job der Abwicklung meines virtuellen Lebens ernsthaft angehen wollte.

Da fehlt also noch einiges. Und obwohl ich öfter dran denke, bin ich im umsetzen noch nicht sehr weit gekommen: Todesbewusstsein ist kein Zustand, den man gerne und freiwillig aufsucht, nicht mal, wenn man öfter darüber schreibt.

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Diskussion

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15 Kommentare zu „Vorsorge für den eigenen Ausfall“.

  1. Habe ich auch schon dran gedacht. Man sollte seinen besten Freund oder seine beste Freundin einweihen, Umschlag mit den wichtigsten URLs und Passwörtern geben. Aber man hat so eine irrationale Abneigung dagegen. Es ist als würde man als 57-jähriger (ich) ein Testament schreiben, obwohl man nichts zu vererben hat. Gut, dass Du das Thema zur Sprache gebracht hast. Es wäre nämlich wirklich blöd, wenn alles gelöscht wird, weil keiner die relativ geringen Gebühren bezahlt, aus Unkenntnis der Daten und Passwörter. Und wenn der beste Freund oder die beste Freundin nichts mit Computern am Hut hat, ist auch Mist. Ich würde zum Beispiel lieber Dir meine Daten anvertrauen als einem Computerlaien. Man müsste so einen Austausch unter Bloggern machen, auf Gegenseitigkeit. Nur so eine Idee.  Liebe Grüsse!

  2. darüber habe ich mir auch schon gedanken gemacht, zwangsläufig, wenn man viel mit dem auto unterwegs ist.
    wäre vielleicht noch ein neues geschäftsmodell: flankierend zu den bestattungsdiensten die pflege bzw. abwicklung von internetprojekten und -daten? viele angehörige dürften mit so einer arbeit ja überfordert sein, wären aber vielleicht froh, wenn sie jemanden damit beauftragen können?

  3. Limone, genau das meinte ich. Es müsste jemand machen, der mit der Materie vertraut ist. Man lässt das Begräbnis eines Angehörigen ja auch nicht vom Bäcker ausrichten. Bevor jemand diese Marktlücke entdeckt, könnten sich Blogger untereinander organisieren, also statt eines besten Freundes oder einer besten Freundin eine Bloggerin oder einen Blogger ihres Vertrauens wählen. Im Idealfall tauscht man die Daten auf der Basis von Gegenseitigkeit aus, was aber nicht Voraussetzung sein muss. Hauptsache, das System wird nicht kommerzialisiert, sondern bleibt auf der Ebene von Vertrauen und Freundschaftsdienst.

  4. Die „Geschäftsidee“ kam mir 1997/98, als ich die netzliterarische Website „Was geschieht mit meiner Homepage, wenn ich tot bin?“ (leider weg) zu Gesicht bekam. Auch später immer wieder mal, wenn ich dran dachte, was mit „virtueller Abwicklung“ so alles verbunden sein kann – aber selber hatte ich dazu echt keine Lust!
    Und ja, ich werd‘ mich dran machen, eine Art „Testament“ für einen lieben Freund zu machen – und eine Ordnung, damit er auch durchblickt.
    Wer übrigens Ulla Pellegrini kannte: ihr Blog und auch ihre Flickr-Seite ist noch im Netz: http://altweibersommer.blogg.de/ Sie starb Ende 2007 und das Blog wurde zu einer Art Erinnerungsbuch.

  5. Mir geht es anders. Läge ich heute im Sterben, ich dächte daran, wie meine Frau nun gegen ihren Willen alleinerziehende Mutter würde, ob mein Sohn mich noch braucht usw. Das aber, was ich gebastelt, geschrieben habe in all den schönen Jahren, ist mir egal. Das habe ich längst gehen lassen. Vielleicht kündigt Franziska meinem Provider, der alles löscht. Vielleicht wirft sie die ganzen Sicherungs-CDs weg, die im Schrank verstauben – und irgendwann sicher auch den Computer. Das stimmt mich heute nicht traurig. Ich glaube, ich tue, was ich tue, für den Augenblick. Ich freue mich im Nachhinein auch gar nicht dran. Das schuf ich gestern – das ist mir, als hätte es ein anderer gemacht. Es stört sogar: „Bist du nicht der, der x und y gemacht hat?“ – „Nein, der war ich.“ Nur an die Zeit, an das Tun selbst, denke ich gerne zurück. Ich wünsche mir nicht, dass man sich nach meinem Tod lange an mich erinnert. Die Menschen, die ich mag, die mich mögen, sollen in ihrer Gegenwart sein, in der ich dann nicht mehr bin. Und die anderen geht es nichts an.

  6. Habe gerade alte Familienbilder gefunden und fand das sehr lustig. Ich sah darauf meinen Vater, der seit 30 Jahren tot ist, zum Teil mit ganz neuen Augen. Ich selber habe nie Bilder in Fotoalben geklebt. Aber ich sehe an meinen eigenen Kindern, die alle drei um die dreissig sind, wie sie sich für solche Fotos interessieren. Was mich betrifft, möchte ich doch eine Spur hinterlassen statt in Vergessenheit zu geraten. Wenn meine Kinder später ihren Kindern von mir erzählen, sollen sie sagen können: „Der war so und so und hat das und das gemacht.“ Kinder interessieren sich ja für alles, sogar für das Leben ihrer Vorfahren. Und wer sich so versteckt, keine Informationen über sich preisgeben will und alle Spuren hinter sich verwischt, von dem vermutet man, dass er was zu verbergen hatte. Oder?

  7. @Dirk: mir geht es vordringlich um die verwaltungstechnische Abwicklung, die in meinem Fall nicht ganz einfach ist! Schmeißt man einfach den PC weg und kümmert sich um nix, entgehen evtl. Gelder in Höhe der Begräbniskosten – nur mal als Beispiel. Und meine Kunden will ich ja versorgt wissen, sie sollen nicht plötzlich ihre Seiten nicht mehr finden, weil der Provider alles gelöscht hat. Das Klinger-Web ist ein Kleinunternehmen und bedarf eben einer ordentlichen Liquidation.
    Das Digital Diary sähe ich durchaus gerne irgendwie archiviert: es ist immerhin das zweitälteste deutschsprachige Webdiary, kontinuierlich geführt, niemals unterbrochen oder wesentlich verändert, und ganz ohne nachträgliche Löschungen. Die anderen Projekte könnte man verkaufen und/oder mit Anderen weiter führen – sie sind alt genug, um einen gewissen Wert zu haben, teilweise sind sie durchaus noch ausbaubar.

    @Schreibman: mein Vater hat auch solche Alben geführt, was ich nach Auszug erstmal ebenso anfing. Allerdings kam ich übers erste Album nicht hinaus, ab dann gabs nur noch Stapel mit Fotos. Und die sehe ich eigentlich nie an, weder die familiären noch die eigenen.

    Es ist anders, wenn man KEINE Kinder hat: dann sind die eigenen Werke wie Kinder, aber die sentimentalen Spuren sind vergleichsweise unwichtig.

  8. Liebe Claudia,

    wolltest Du nicht mal das ganze DigiDiary als Buch herausbringen ?
    Dann stände es lange Zeit bei einigen Leuten im Bücherregal UND ein Exemplar in Leipzig in diesem Bucharchiv wo von jedem Buch ein Exemplar archiviert wird.
    Wär das nix ?

    Viele Grüße,

    Traurige Blume

  9. Das wäre nicht nur ein Buch, sondern ne kleine Reihe. Und soviel Aufwand um Texte, die im Netz stehen und auch FÜRS NETZ geschrieben wurden  – ich hab öfter mal dran gedacht, auch ansatzweise begonnen, es aber wieder verworfen.  Nachdem ich merkte, dass es eine Unmenge Text ist, probierte ich Themenauswahl – z.B. alles, was mit dem Internet zu tun hat, von 1996 bis 2001. Aber hey, wer soll das lesen?? Historische Texte zu lang vergangenen Netz-Urzeit-Themen..  mein erster Probeleser sagte zu Recht, das könne SO nicht erscheinen, sondern müsse alles kommentiert werden.
    Und im Moment krieg ich arbeitstechnisch nicht mal ein BOD aus den Texten des letzten Schreibimpulse-Kurses gebacken!! Geschweige denn sowas Verstiegenes wie eine wochenlange Beschäftigung mit eigenem Geschreibsel von vorvorgestern.
     
     

  10. Vorab eine kleine Anmerkung: Eltern sind ihren Kinder oft ein Stück voraus.
    Ich kenne dieses Lächeln von mir, wenn ich auf die Eigenarten meines noch lebenden Vaters schaue, und immer dachte, nee .. so bitte nicht. Aber je genauer und interessierter ich hinschaue, je mehr stelle ich fest, das trotz meines heftigen inneren Widerstandes wir scheinbar doch hintereinander herlaufen. Weil, wie du schon schreibst, ich auch immer öfter den Sinn erkenne und unser Abstand sich zu verringern erscheint, habe ich mit dieser (meiner) Näherungstheorie Frieden geschlossen – was ungemein energiesparend ist.

    Ich denke, alles was man hinterlässt und die Angehörigen mit unvermeidlicher und notwendiger Arbeit beschäftigt, sollte ich versuchen zu regeln, so gut es geht.

    Alles andere würde ich dann machen, wenn es von mir gemacht werden will. Wenn man Kinder hat, hat man schon eine Spur hinterlassen, wenn man keine hat, kann ich das Hinterlassen einer Spur nicht nachfühlen, aber ich kann gut verstehen, dass dort irgendetwas ist. Heute, aber das kann morgen schon wieder anders sein, macht sich keinerlei Bedürfniss nach einem Selber erschaffen von Erinnerungen an mich in mir breit. Ich würde dieses Gefühl gerne noch eine ganze Zeit lang behalten. Für diesen ersten Tag nach dem letzten Tag, möchte ich meinem Ego keine Minute schenken, die mir deswegen Heute fehlt.

  11. Ich denke oft an den Fall des eigenen Ausfalls. Aber ziemlich anders, als Du es hier beschreibst. Vielleicht paßt es dennoch.

    Die Kostenproblematik, muß ich zugeben, habe ich noch nie bedacht. Mein Laptop geht auf mir unerklärliche Weise ins Netz, ob ich nun hier in meinem Zimmer oder im Garten oder auf der Arbeit (darf ich das zugeben?) oder bei Freunden bin. Wäre ich weg, würde er eben einfach nicht mehr Pakete senden und empfangen. Aber niemand ist von mir abhängig. Mein Vorteil Dir gegenüber, denke ich.

     
    Doch die Texte! Oder statt des Ausrufezeichens ein Fragezeichen (Fragezeichen).
     
    Natürlich wünsche ich mir oft, daß mich jemand vermißte. So ein Tom Sawyer Effekt, wie der in die Wohnstube seiner Tante hinein schlinst und es ihm dann doch gruselt. Und wenn ich abzähle, wieviele distinkte Texte ich allein ins Netz gestellt habe (die nie Veröffentlichten also gar nicht gerechnet, Staub Staub Staub hust…), dann kriege ich es schon mit der Wut zu tun bei dem Gedanken, das alles wäre für die Katz. Oder nein, für die Katz wäre mir ja noch lieb, aber sagen wir für irgendeinen Blattrandfickenden Germanisten der Zukunft, der ‚Sumuze‘ zu seinem Anker in den ewigen Jagdgründen wissenschaftlich akribischer Minimalst-Reputation machen möchte wird soll tun oder auch so….
     
    Brrrrrrrr.
     
    Doch warum schert mich das? Ich habe einen unbändigen Spaß beim Schreiben (auch wenn’s Tränendrüsen aktiv wird), ich habe sogar Spaß, es auf den Blog, also sichtbar, zu stellen. Und manchmal kriege ich ein Echo, eine Antwort, ein Lob (abgesehen von den netten Jungs, die eine schnelle verbal-injurische Nummer suchen).
     
    Nun ja, also kann ich doch sehr zufrieden sein. Ich las einst von einem jungen Mann, der nach einer blauen Blume suchte. Ich weiß nicht, ob er sie fand. Eine (staatliche oder mäzenatische) Prämie dafür hat er sicher nicht erwartet. Und einen großen Bohei um’s Finden machte er meines Wissens nach auch nicht.
     
    Vielleicht ist es gut, wenn wir wie Asche verschwinden: etwas Rauch, man hüstelt, und dann geht man heim. Altvordere sollten keine Last sein. Nicht wg. Gold und nicht via Net.
     
    Mein Ausfall, so hoffe ich, tut niemandem weh. Denn das wäre schad.

  12. Grr, das mit dem Html-Kommentar aus OpenOffice nervt doch sehr. Bitte lösche den Comment-Tag für mich, wenn Du Zeit dafür findest. Ich schwöre auch Stein und Bein, ich werde in Zukunft meine Kommentare erst in den Editor kopieren und dann von dort aus auf Dein Blog (auch wenn ich der Meinung bin, das könnten diese blöden Programme doch wirklich selbst machen…)

  13. Tja, dass ist schon wirklich ein Problem mit dem Streben und dem was da übrig bleibt von einen Leben oder auch nicht. Interessiert es jemanden überhaupt. Ich habe erst letzt in alten Unterlagen meiner Oma (geboren 1901) gestöbert. Ist schon super interessant – für mich, mein Sohn 12 Jahre fand es nur langweilig. Aber es sind zumindest Papiere, die einige Jahrzehnte überstehen. Wo allerdings die Technik in 100 Jahren ist (kann ein USB-Stick noch gelesen werden?) ist fraglich.
    Also: Tod ist nun mal tot, und was man davor nicht übergeben hat ist halt nun mal weg!!! NIRWANA eben.
    CU Biggi 

  14. Ich schliesse mich der Meinung an, dass man so früh wie möglich anfangen sollte, für seinen eigenen „Ausfall“ vorzusorgen. Ein „früh genug“ gibt es in diesem Falle leider nicht.

  15. Vor drei Jahren ist ein Arbeitskollege überraschend verstorben, der einen – nennen wir es mal kreativen – Bereich selbstständig betreut hat. Niemand war da, der sich in seinen Aufzeichnungen zurecht fand. Wir haben uns dann entschlossen, seine Projekte nicht weiter zu führen und haben seine Unterlagen sehr großzügig „entsorgt“, was mir menschlich sehr schwer gefallen ist. Wir rechneten damit, dass wir deswegen schon bald fachliche Probleme bekommen würden, was aber überraschenderweise nicht eintrat. Seitdem befürchte ich, dass auch meine Existenz viel einfacher und geräuschloser abwickelbar wäre, als ich das selbst wahrhaben will.