Dass ich das noch mal erleben werde, hätte ich nicht gedacht: aus dem Netz heraus entwickelt sich eine breite, außerparlamentarische Protestbewegung, die mit Verabschiedung des Zensurgesetzes nicht einfach wieder verstummen wird.
Ganz im Gegenteil, in vielen Menschen erwachte während der letzten Monate das Interesse an Politik auf jene ungemein inspirierende und motivierende Art, wie vor fast 3 Jahrzehnten mein eigenes politisches Interesse zustande kam: in Konfrontation mit absurden Vorgehensweisen der herrschenden Kreise und Parteiklüngel, die über hundertausendfache Proteste und sachlichen Rat vieler Experten einfach hinweg gehen. Mit einer Arroganz der Macht, die auf der Erfahrung basiert, dass ja nichts weiter droht: die Wählerkindlein werden es schon schlucken, wie sie ja meist alles schlucken, solange es ihnen (vermeintlich) am persönlichen Arsch vorbei geht.
Der Aufbau einer Zensur-Infrastruktur, zu deren inhaltlicher Ausweitung es bereits jetzt „ernsthafte Prüfungen“ gibt, lässt allerdings viele nicht mehr kalt. Wer sich intensiv auf dieses Thema einließ, der bekam – vielleicht erstmalig – einen gehörigen Schub an politischer Bildung und konnte lernen, wie Politik und politische Meinungsbildung hierzulande in aller Regel funktioniert. Parteien, die nach dem Grundgesetz eigentlich nur an dieser Willensbildung mitwirken sollen, monopolisieren diese in komplexen Parteistrukturen („Ochsentour“) und schicken über ihre Listen vom Wähler weitgehend unabhängige Kandidaten in die Parlamente, die dort mehr und mehr vom normalen Leben abheben.
Ihnen fällt jetzt quasi das Netz mit seinen vielfältigen Partizipationsmöglichkeiten auf die Füße, immer mehr Politiker werden den Schmerz spüren. Die SPD feierte gleichwohl ungerührt ihre „Geschlossenheit“ auf einem Parteitag, der den Antrag gegen die Verabschiedung des nicht nur aus meiner Sicht grundgesetzwidrigen Gesetzesvorhabens in gewohnter Manier diskussionslos ignorierte. Doch jetzt treten langjährige Mitglieder aus, ein MDB wird Pirat, Abgeordnete geben gewundene Erklärungen ab und eine mitten in die Phase des Zorns platzierte Einladung zur Diskussion trifft auf empörte Reaktionen.
14 Enthaltungen bei in der namentlichen Abstimmung über das Gesetz wird auch die GRÜNEN Stimmen kosten, wogegen die Piratenpartei, die derzeit noch Unterschriften für die Kandidatur bei der Bundestagswahl sammelt, massiven Zulauf bekommt.
Ich bin gespannt, wie das alles sich weiter entwickeln wird. Ereignisse wie das „Zensursula-Gesetz“ versetzen viele in Bewegung, die bis kürzlich noch als „politikverdrossen“ oder gänzlich desinteressiert galten. Ob dieses neue „wir“ über 1-Punkt-Proteste hinaus wächst, wird sich zeigen – im Moment bin ich da recht optimistisch.
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7 Kommentare zu „Zensursula sei Dank: Bye bye Politikverdrossenheit!“.