„Sinndichte“ hieß die 1-Euro-Job-Maßnahme, zu deren Abschlussversanstaltung ich kürzlich eingeladen war: einer der unzähligen „Maßnahmeträger“ in Berlin, die für die ARGE (früher Arbeitsamt) Projekte zur Beschäftigung von Arbeitslosen durchführen, hatte ein ganzes Jahr lang Künstler mit weitgehend sinnfreien Tätigkeiten beglückt, deren spärliche Ergebnisse nun präsentiert wurden. Ein paar Bilder zierten die Wände, kleine Ton-Statuen standen auf Tischen, die Wände der Räume waren im Lauf der Maßnahme gestrichen worden, und ein „Konzept“ für bessere Lampen war zu bewundern, das die bahnbrechende Idee präsentierte, die vorhandenen kalten Neonröhren mit Japan-Papier zu ummanteln – auf dass das kalte, deprimierende Licht noch ein wenig dunkler werde.
Alles, was ich sah, hätte binnen zwei, drei Monaten von einer stringent arbeitenden Gruppe locker geschafft werden können. Den Rest der Zeit verbrachten die Teilnehmer wartend, plaudernd, „recherchierend“ oder mit veralteten und nicht in ausreichender Zahl vorhandenen Computern, Scannern und Druckern kämpfend.
Stricken und puzzeln
Der Name „Sindichte“ ist der reine Hohn, denn wenn etwas solchen 1-Euro-Job-Veranstaltungen fehlt, ist es der SINN des Tuns. Der ist nämlich tatsächlich verboten: Was die in einer solchen MAE-Maßnahme (MAE = Mehraufwandsentschädigung = 1-Euro-Job) beschäftigten Arbeitslosen tun, darf keine „normale Arbeit“ sein, denn die Billig-Jobber sollen mit ihrem Einsatz ja nicht den noch bezahlt Arbeitenden Konkurrenz machen.
Eine Gratwanderung, die dazu führt, dass die „Beschäftigten“ oft genug zur reinen Beschäftigungstherapie verdammt sind: in der gestrigen Sendung von ARD-exklusiv (Die Armutsindustrie, leider ist nur ein Trailer online!) wurden Beispiele gezeigt, dass es einem regelrecht schlecht werden konnte: da puzzeln Menschen monatelang gebrauchte Puzzle-Spiele zusammen, um sie auf Vollständigkeit zu überprüfen, andere häkeln und stricken Strampler, weil in unserem Land die Frühgeborenen angeblich frieren – und die mit solchen „Maßnahmen“ immer verbundenen Weiterbildungseinheiten bieten Inhalte, die mit beruflicher Qualifikation oft gar nichts zu tun haben. Das sei ganz in Ordnung so, sagte eine Projektleiterin, es gehe ja um den GANZEN MENSCHEN und man mache die Leute hier eben nicht nur „fit für den Markt“, sondern auch „fit fürs Leben“.
Gestandene Erwachsene, oft mit guter Berufsausbildung und umfangreicher Erfahrung, werden in den Maßnahmen dazu gezwungen, das Mathe-Wissen der 9. Klasse nachzuholen, zum x. Mal Bewerbungsschreiben und Lebenslauferstellung zu üben und alles in allem mehr als die Hälfte der Zeit einfach dumm rumzusitzen, weil es nicht wirklich etwas zu tun gibt. Im sogenannten „Profiling“ (ein Name für eine mehrwöchige Maßnahme) soll angeblich die Qualifikation des Arbeitslosen erfasst werden – eine Sache, die doch eigentlich der Betreuer beim Job-Center im Gespräch sehr viel spezifischer erledigen könnte. Aber nein, es werden Leute mit den unterschiedlichsten Berufen wochenlang mit Fragebögen und Unterrichtseinheiten traktiert, die für die Mehrheit der Betroffenen komplett sinnlos, ja sogar ziemlich demütigend sind. Die Ergebnisse haben denn auch keinerlei Relevanz und werden einfach zu den Akten gelegt. (Eine sinnvolle Betreuung des Einzelnen existiert ja sowieso nicht, denn die Betreuer wechseln schnell, es gibt Zuständigkeitsüberschneidungen und fast nie weiß einer, was der andere letztens noch vom Arbeitslosen forderte).
Disziplinierung und Schönung der Statistik
In der ARD-Sendung wurde schön heraus gearbeitet, dass es bei all diesen MAE-Maßnahmen zu allerletzt darum geht, die Leute in den ersten Arbeitsmarkt zu bringen. Sie sollen lediglich beschäftigt werden und ihre „Arbeitsfähigkeit“ beweisen, indem sie bereitwillig und pünktlich Monate lang sinnlose Dinge tun. Zudem fallen alle so Beschäftigten aus der Arbeitslosenstatistik – schön für die Politik, so kann man ERFOLGE zeigen! Und keiner der Betroffenen wehrt sich, denn sie hätten ja nur mehr Repressalien von Seiten der ARGE zu befürchten, wenn sie auch noch aufmucken würden.
Dieser ganze, aus meiner Sicht menschenunwürdige Beschäftigungszirkus kostet eine Unmenge Geld und die Maßnahmeträger werden stetig mehr. Sie bekommen pro Betreutem ca. 500 Euro – zusammen mit den Lohnkostenzuschüssen für die Einstellung Langzeitarbeitsloser addiert sich das auf 7 Milliarden Euro pro Jahr (wenn ich die Zahlen in ARD-Exklusiv richtig erinnere).
Wes‘ Brot ich ess…“
Besonders deprimierend finde ich auch, wie verblendet die Sozialarbeiter, Projektleiter und Geschäftsführer der Maßnahmeträger das falsche Lied der „Förderung für den Arbeitsmarkt“ mitsingen. Andrerseits auch verständlich: Sie sind es ja, die täglich hunderttausende Menschen weitgehend sinnfrei beschäftigen müssen, Menschen, die alles andere als freiwillig diese „Maßnahmen“ besuchen – da muss man sich schon selber einreden, man täte etwas Sinnvolles, sonst bliebe nur die Wahl, hinzuschmeißen und selber auch arbeitslos zu sein.
Derzeit werden, wie ich höre, die MAE-Maßnahmen herunter gefahren zugunsten von Weiterbildung. Ob das eine Verbesserung ist, wird sich erst zeigen – sind es doch diesselben „Träger“, die nun auf Weiterbildung umsatteln. Ich fürchte, die Weiterbildung wird genauso „sinndicht“ sein wie das, was bisher geboten wurde.
Gibt es Alternativen?
Ja sicher, man muss sie nur wollen. Zum Beispiel könnte man ganz damit aufhören, Beschäftigung zu veranstalten und statt dessen gemeinnützige NACHFRAGE organisieren – mit den Mitteln des Internet wäre das heute locker machbar. Stadt- und Bezirksverwaltungen wie auch gemeinnützige Vereine (die NICHT die „Beschäftigung“ zum Thema haben!) könnten Arbeitskraft-Anforderungen und ganze Projekte an eine gemeinsame Jobbörse melden, die dann von interessierten Arbeitslosen selber ausgewählt werden könnten. Völlig sinnfreie Jobs würden so gar nicht erst nachgefragt. Bisherige Projektleiter der Träger könnten logistisch tätig sein, informieren und beraten, sowie sehr spezifische Weiterbildungen vermitteln.
Man könnte auch bestimmte Bereiche ganz für diesen 2.Arbeitsmarkt reservieren, so dass dort das Verdrängungsproblem entfällt. Wir hätten dann ein „bedingtes Grundeinkommen“, das jeder Abeitsfähige erhält, der in diesem (wirtschaftlich unproduktiven, aber sozial wichtigen) Sektor x Stunden arbeitet – wer es nicht tut, bekäme weniger.
Oder man streicht einfach die ganze Arbeits(losigkeits-)Verwaltung und führt ein Bürgergeld ein, das über das Finanzamt ausbezahlt wird (negative Einkommenssteuer). Das FDP-Programm finde ich in diesem Punkt gar nicht schlecht, wenn es auch gewiss nicht schon das ist, was man sich als Optimum wünschen würde.
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64 Kommentare zu „1-Euro-Jobs: demütigende, sinnlose Beschäftigungen“.