Nö, keine Sorge, ich will jetzt niemandem in die Festtagssuppe spucken! Die paar hundert Antifas, die als „schwarzer Block“ am Samstag durch Berlin zogen und gegen die Mauerfallfestivitäten demonstrierten, wirken mittlerweile unglaublich vorgestrig – schwer 80ger auf jeden Fall. Und dass die Berliner Abendschau diese Demo zwar erwähnte, aber kein Wort der Erläuterung verlor, was diese Leute denn gegen das harmlose Mega-Fest vorbringen, hat mich wieder mal gegen das TV-typische Verständnis von Nachrichten aufgebracht: Himmel nochmal, was NÜTZT es mir, zu wissen, DASS etwas statt findet, wenn mir nicht gesagt wird, WARUM? (Google und TAZ helfen da weiter)
Doch egal warum, die paar Protestierenden sind nur ein Tropfen auf dem derzeit unglaublich heißen Stein der Mauerfall-Begeisterung: seit Tagen, ja Wochen kann man durch die Kanäle zappen und findet eine Doku nach der anderen. Mauerfall-Erlebnisse, Mauerfall-Helden, die Geschichte der Mauer und ihrer Toten, deutsche Teilung und die Erosion der DDR, die schließlich in der „friedlichen Revolution“ ihren bedrückenden Geist aufgab. Alles sehr sehenswert, nur wirklich ziemlich VIEL auf einmal.
Soviel ungebrochener Pathos rund um ein deutsches Ereignis von Weltbedeutung war nie – nun ja, jedenfalls nicht zu meiner Lebenszeit. Davor allerdings schon: etwa im Verhältnis 1:10 eingesprengselt in die euphorischen Mauerfall-Dokus werden die Filme von Aufstieg, Schreckensherrschaft und Ende des 3.Reiches gezeigt. Und noch einmal das, was die Alliierten in den unzähligen Konzentrationslagern vorfanden, dann die Nürnberger Prozesse, die Arroganz der Täter, die nicht einmal jetzt begreifen wollten, was ihnen die Welt vorwarf.
In dieser massiven medialen Zusammenschau der letzten Wochen wird mir klar, warum dieses Mauerfall-Fest so unglaublich aufgeladen wird: endlich endlich gibt es etwas, wofür man sich als Deutscher nicht verstecken muss. Etwas, worauf man sogar stolz sein kann, ohne rechtsradikal und komplett verblendet zu sein.
DAMALS hat das noch niemand gewusst: die Feiern waren spontan, die Lage abenteuerlich, der Sekt floß in Strömen und die Massen strömten ohne Veranstalter zu den Übergängen, um die „Ossis“ ehrlich jubelnd zu begrüßen. Heute ist das Fest ein riesiger „Event“ voller Symbolik und Ritual: die bemalten „Mauersteine“ werden (hoffentlich stolperfrei) ihren rasanten Domino-Fall hinlegen, alles was Rang und Namen hat, kommt zum Festakt und Berlin ist ziemlich ausgebucht. Ich werde nicht hingehen, weil mir Massenveranstaltungen nicht liegen, werde aber per TV Anteil nehmen und vermutlich gerührt sein: dieser Schauer des Pathos, der ein paar Tränen in die Augen treibt – mein Gott, dass ich das bei „was Deutschem“ noch erlebe!
Der 3.Oktober als Nationalfeiertag war aus meiner Sicht die schlechtere Wahl. Man hätte mutig den 9.November nehmen sollen, in seiner ganzen Ambivalenz. Wie die Festivitäten und die mediale Vermittlung jetzt sehr deutlich machen, ist dieser Tag für uns das, was für die Amerikaner ihr Independence Day am 4.Juli und für die Franzosen ihr 14.Juli ist. Schön, dass wir – dank der mutigen Ossis – jetzt auch so etwas haben!
Die Schrecken und beispiellosen Untaten unserer Vorväter und Mütter sind damit nicht aus der Welt. Aber sie stehen nicht mehr ALLEINE da, sondern etwas POSITIVES steht daneben: der Mauerfall und die friedliche Revolution, deren Wirkung sich ebenfalls nicht auf Deutschland beschränkte, sondern für die in der Blockkonfrontation geteilte Welt ein neues Zeitalter einläutete.
Ein Grund zum Feiern, ja. Und wegen mir darf da jetzt auch Pathos sein – tut ja doch irgendwie gut!
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12 Kommentare zu „Eine Art 4.Juli für Deutschland: zum Mauerfall-Pathos“.