„Vom Sinn des Lebens zum Buchstabenglück“ ist der Untertitel dieses, jetzt gut 11 Jahre alten Webdiarys. Der Titel bezog sich auf eines meiner ersten Themen im Web: „Sinn des Lebens“ war eine exemplarische Suchanfrage, an deren Ergebnissen entlang ich einen später recht erfolgreichen Artikel über Philosophie im Netz schrieb, zu Zeiten, als die breite Öffentlichkeit noch nicht ahnte, was sich da „online“ entwickelte. Dass ich 42 (!) Jahre alt war, als ich meine erste Homepage baute, spielte ebenfalls eine Rolle – und das „Buchstabenglück“ sollte aussagen, dass es mich glücklich macht, über alles zu schreiben und im Netz zu kommunizieren, was mich bewegt. Ganz unabhängig vom Thema und auch davon, was durch dieses Schreiben BEWIRKT wird.
Ich fühlte mich angekommen in meiner eigentlichen Profession: Schreiben, kommunizieren, Webprojekte entwickeln – für mich und für andere. Auch alle beruflichen Aktivitäten zuvor lagen schon auf dieser Linie, wenn auch noch ohne Netz. Fantasievolle Öffentlichkeitsarbeit war mein Beitrag zu den politischen Themen, für die ich in jungen Jahren kämpfte: es fiel mir leicht und machte riesigen Spass! Nebenbei hatte ich ein Studium zur Dipl-Kommunikationsdesignerin hinter mich gebracht, und später entwickelte ich Kampagnen zur Klima-Problematik, lange bevor das Thema richtig hochkochte. Das Netz entdeckte ich dann 1995 und schrieb ab 1996 Beiträge für Printmedien über „Internet und….“ – bis die kommerziellen Akteure das Web okkupierten und fortan nur noch „nützliche“ Themen gefragt waren (Arbeit finden, Shoppen, Technik, Erotik).
Selbständig im Web
Aber auf die Printmedien und ihre schlechte Bezahlung konnte ich ja bald pfeiffen! Es meldeten sich Menschen, die meine Web-Kompetenzen für ihre Anliegen nutzen wollten und so wurde ich „Webdesignerin“ – nach dem Programmierer der erste Netzberuf, der sich heraus kristallisierte. Meine Selbständigkeit entwickelte sich fernab langweiliger Businesspläne und angestrengter Kapitalsuche wie von selbst. Nicht mal die Arbeitsamtsförderung, die mir zugestanden hätte, musste ich in Anspruch nehmen. Immer fanden und finden mich Kunden über meine eigenen Web-Aktivitäten, Akquise braucht es nicht. Ab und an empfehlen mich auch Freunde und Bekannte, mein Spektrum reicht vom Honorar-Bloggen bis zur Gesamterstellung, Pflege und Bekanntmachung (heute: SEO, SEM…) ganzer Webauftritte. Und immer bleibt genug Zeit für eigene Aktivitäten, was mir weit mehr wert ist als durch MEHR bezahlte Arbeit MEHR zu verdienen.
Kreative Eigenarbeit – für was?
Meine eigenen Projekte waren und sind bisher meist „große Schubladen“, die mich nicht an ein bestimmtes Thema binden. Die mittlerweile als „Blogs“ firmierenden Publikationen sind recht stabil, was ihre Lebenszeit angeht, doch recht sprunghaft in den Themen. Dies entspricht dem breiten Spektrum der Interessen, für die ich mich begeistern kann. Eine Begeisterung, die mich zu kurzfristigen Einsätzen motiviert, die dann aber bald wieder zugunsten eines neuen Themas verfliegt. Oft schon hab‘ ich Menschen beneidet, die „ihren Daimon gefunden“ haben und sich einer einzigen Sache lebenslänglich verschreiben, dort zu wahren Experten werden – und dabei glücklich sind!
Mit meiner eigenen Sprunghaftigkeit bin ich mittlerweile weniger glücklich: zwar lebe ich in dieser selbst geschaffenen (und vom Netz geschenkten!) selbstbestimmten Arbeitswelt quasi „leidfrei“ und kann mich jederzeit frei entfalten. Zunehmend drängt sich aber der Gedanke auf: Wofür? In welche Richtung? Mit welchem Sinn und Ziel?
Diese gefühlte „Schubumkehr“ weg vom bloßen Buchstabenglück hin zur Suche nach einem nachhaltig sinnvollen und nützlichen, konzentrierteren und dadurch wirkungsmächtigeren Tun hängt gewiss damit zusammen, dass mir heute im Bewusstsein steht, dass mein Leben endlich ist. Und der Raum persönlicher (!) Wünsche ist LEER: es gibt nichts, was ich für mich noch unbedingt haben oder erleben wollte – ich bin zufrieden mit meinem Leben, wie es ist. Was allerdings AUCH bedeutet, dass ich mich in den bloßen Erhalt des Status Quos verstricken könnte: ohne Wachstum und Streben setzt Verkümmerung und Verteidigung ein – wobei ich mit Wachstum nicht bloß ein Äußeres meine.
Was ist nützlich und sinnvoll?
Nicht nützlich ist es zum Beispiel, wenn ich hier ein „ermunterndes“, vielleicht ein Stück weit utopisches Buch oder Video vorstelle, dann aber den eigenen Herzimpuls in der Diskussion der „Geht nicht, weil…-Kommentare“ zerreiben lasse. Das tut einfach nur weh, deprimiert und nützt im Sinne des Impulses niemandem. Im Gegenteil, es beschädigt meine eigene Motivation und Kraft, im Sinne dieses Impulses tätig zu werden.
SEHR nützlich war es dagegen, meine eigene „Empathie“ in Richtung der Kambodschaner Ernst zu nehmen, als ich 2006 dieses unsäglich arme Land bereist hatte. Ich wollte etwas zurück geben, etwas zur Verbesserung der Lebensbedingungen beitragen, also entstand die Aktion „Brunnen für Tani“: 2007 und 2008 zur vorweihnachtlichen Spenderzeit hier im Digital Diary durchgezogen, brachte sie das Geld für insgesamt 17 Brunnen: jeder dieser Brunnen versorgt nun 8 bis 20 (Groß-)Familien. Die Aktion verbesserte also die Lebensbedingungen von mehreren 1000 Menschen in Kambodscha, die nun Zugang zu sauberem Wasser haben. Etliche liebe Stammleser haben gespendet, das Digital Diary war auf einmal mehr als ein Ort besinnlicher Unterhaltung, wo man zwar gepflegt über Zeitgeistiges plaudert, aber niemals wirklich etwas ändert.
Das heißt nun nicht, dass ich die Zukunft in reinen Wohltätigkeits-Aktivitäten sehe. Auch „nur Schreiben“ kann Wirkungen haben, bzw. sich mit anderen Schreibenden zur Wirkung aufschaukeln. Dafür braucht es aber den jeweils passenden Rahmen, um ein Thema auch nachhaltig zu beackern. Hier schreib ich dagegen mal über dies und mal über das und vertreibe damit genauso viele Leute, wie ich mit dem Einzelthema anziehe – das Ergebnis ist Stagnation, nicht nur bei den Besucherzahlen.
Noch weiß ich nicht, welches meiner bevorzugten Themen ich in einem neuen Medium bearbeiten werde, doch nehme ich mir fest vor, bis zum Herbst damit zu Potte zu kommen. Vielleicht werden es ja auch gleich mehrere – das neue WordPress soll „Unterblogs“ ermöglichen, was ja eine Menge Arbeit sparen könnte.
Times they are changing – Buchstabenglück ist nicht genug! Das Digital Diary als persönlicher Schreibort wird aber auf jeden Fall bleiben! :-)
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32 Kommentare zu „Schubumkehr: Vom Buchstabenglück zurück zum Sinn“.