Gestern Nacht im Öffentlichrechtlichen: Im WDR lief „Die Körperfresser kommen“ – ein ziemlich gut gemachter Horrorfilm von 1977, subtiler als das, was heute so als „Horror“ läuft. Menschen verwandeln sich in gefühllose Doppelgänger ihrer selbst, die keiner menschlichen Regung mehr fähig sind, auch wenn sie körperlich nach wie vor perfekt funktionieren. Und kein Happy End: auch die Geliebte zerbröselt am Ende in den Armen des Helden, dann erwischt es auch diesen selbst.
Kalte Angst vor dem Anderen
Es geht nicht nur um die menschliche Urangst, sich selbst zu verlieren, sondern auch um Vertrauen in den Mitmenschen, das (jedenfalls in diesem Film) gnadenlos enttäuscht wird: Irgendwann mutiert jeder zum Monster. Es gibt kein Entkommen, keine Heimstatt in der Liebe. Wenn ich das als Parabel auf eine Gesellschaft verstehe, in der zunehmed jeder sich selbst der Nächste ist, ist das sicher nicht überinterpretiert.
Obwohl ich den Film nur punktuell verfolgte und gelegentlich an den PC wechselte, berührte er mich doch eiskalt. Ja, der Andere bleibt der unerreichbare, unkontrolierbare, unerforschliche Andere, egal wie nah er mir ist. Alles zivilisierte Miteinander ist nur dünner Lack, der schnell abblättern kann, wenn sich die Zustände und Interessen ändern. Tief in uns verborgen sitz das Reptiliengehirn, bereit, im Modus des Tötens und Fressens zu interagieren, wenn es denn nötig wird.
Mitgefühl und Seelenstreicheln
Stimmungsmäßig deprimiert und innerlich fröstelnd blieb ich dann dankbar im warmen Licht von Domians öffentlicher Telefonseelsorge hängen. Welch eine Labsaal! Dort kümmern sich fürsorgliche Programmgestalter um die Seelen der Anrufer und Zuschauer, auf dass niemand durch das vorgetragene, oft schier auswegslose Leid nachhaltig „runter gezogen“ wird. Eine beeindruckend klare 96-Jährige hat keine Freude mehr am Leben und möchte endlich sterben, kann aber nicht. In die Schweiz fahren ist zu umständlich, außerdem soll die Urne in der Heimat beigesetzt werden und nicht in einem schweizer See landen. Ihr Lebensfazit: Es war es nicht wert! Zuviel Leid und zu wenig Freude. Domian forscht nach lichten Aspekten: ja, das Fernsehen gibt ihr manchmal noch was, aber keinen Grund, weiter leben zu wollen. Egal, Domian wäre nicht Domian, würde er nicht versuchen, auch dieser Frau noch etwas zu geben: Liebevolle Zuwendung, Bewunderung für ihre Klarheit, Freude am Rekord (die älteste Anruferin aller Zeiten!).
Anything goes
Die nächste Anrufern – geschickt, geschickt! – ist dann eine 22-Jährige, deren 52-jähriger Vater seit einem Jahr mit Toten kommuniziert. In England sei das gang und gäbe, man könne es lernen, sofern eine Grundbegabung da sei. Ihr Vater habe Kurse besucht und nun verfüge er über diese Fähigkeit. Ihre Berichte sind frappierend: Der „Hellfühler“ fühlt die Stimmung der Toten und empfängt einzelne Bilder, die Aspekte und Details aus dem Leben zeigen, die er nicht wissen kann, aber von den Angehörigen erkannt werden. Domian reagiert mit liebevoller Skepsis, fragt nach, schlägt Tests vor, die „den Vater auf die Probe stellen“ könnten. Doch die junge Frau hat dies alles bereits erlebt und glaubt nun trotz anfänglicher Bedenken (ist mein Vater jetzt in einer Sekte?) an die Existenz des Totenreichs. Dort kümmern sich hilfreiche Geister um die Verstorbenen und päppeln sie liebevoll auf, wenn ihre Seelen im Leben zu sehr verletzt wurden.
Wie schön! Wie tröstlich auch für die 96-Jährige und alle von ihrer Rede betroffenen Zuhörer, die nun auf ein „danach“ hoffen dürfen. Nach diesem Ausflug in höhere Welten ist das Publikum dann innerlich wieder ausreichend erstarkt, um einem Betreiber von Abo-Fallen (30.000 Seiten, Millionen-Umsätze) im Netz zu lauschen, den das schlechte Gewissen gepackt hat.
Was für eine auf- und abregende TV-Nacht!
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6 Kommentare zu „TV-Nacht: Erst die Körperfresser, dann Domian“.