Angesichts einer solchen Überschrift werden sich sicher gleich etliche Leser/innen fragen: Welches WIR?
Es eckt an, heute „wir“ zu sagen. denn egal, wie nahe oder ferne der gemeinte Kontext gerade liegen mag, denkt man als Leser nicht zu allererst das wahrscheinlichste „Wir“ einfach mit, sondern sieht sich im Gegenteil eingemeindet in vermutlich nicht selbst mitbestimmte Interressen. Was habe ICH mit diesem WIR zu tun?
Nun, ich bin heute zu dieser Überschrift gekommen aufgrund eines Kommentars von Michael Kostic auf Menachems Blog „Gemeinsam Leben“. Der schrieb zu Menachems Artikel „Nur nicht ärgern“ und zur von mir zuvor beklagten Bunker-Mentalität vieler Krisen-Kassandras:
„Ohne erkennbare gemeinsame Ziele, driftet jede Gesellschaft zusehends auseinander. Im Großen wie im Kleinen. Familie, Firma, oder Gesamtbevölkerung. Wir hatten die Chance etwas neues zu schaffen und vor lauter Arbeit kläglich versagt. Weiter noch verweigern wir uns weiterhin dieser Einsicht.“
Das WIR sei also hier die Familie, die Firma, die Gesamtbevölkerung. Ich füge noch „das Paar“ hinzu, denn auch da ist festzustellen: Wenn die erste Phase der Verliebtheit ‚rum ist, tun sich Paare schwer, die keine gemeinsamen Ziele und Aufgaben haben. Hat man aber z.B. als „Familie in spe“ einen Hausbau zu bewältigen, dann tritt die Krise oft nach Fertigstellung ein. Das Ziel ist erreicht – und jetzt?
In meiner Herkunftsfamilie gab es ab meinem 9. Lebensjahr ein gemeinsames Ziel: der jährliche Camping-Urlaub. Darauf wurde das ganze Jahr gespart, vorgeplant, sich gefreut – und trotz all der durchaus heftigen familiären Konflikte hatte das was Befriedendes: im Urlaub kamen wir alle auf unsere Kosten (übrigens gerade dadurch, dass im Urlaub weitgehend jeder seins machen durfte, anders als zuhause).
Was können Staaten wollen?
Was aber ist mit „der Gesamtbevölkerung“? Kann die denn jemals gemeinsame Ziele haben? Oder ist „der Staat“ gemeint? Säkulare Staaten sind ja gerade dadurch erträglich, dass sie die Erreichung des Glücks dem Individuum überlassen – und nur den Erhalt der Rahmenbedingugen gewährleisten wollen (Rechtsordnung, Infrastruktur etc.).
Hinzu kommt der Bedeutungsverlust der Nationalstaaten (den ich begrüße). Was kann bzw. soll EUROPA als gemeinsames Ziel wollen? Nun, im Vergleich zum asiatischen, amerikanischen und arabischen Raum fällt mir da durchaus einiges ein! Die Menschenrechte zum Beispiel, eine nachhaltige Umweltpolitik – und natürlich eine kreative Auseinandersetzung mit den Widersprüchen des Kapitalismus, die derzeit „das System“ an allen Ecken und Enden knirschen lässt.
Aber können das Ziele sein, die den Einzelnen davon abhalten, nur an sich und seine Familie zu denken? Man nehme nur das Beispiel der Fassadensanierung: alle denken nur an die drohenden Mietsteigerungen, nicht etwa an die immense Energie-Einsparung. Dann aber votieren diesselben Personen für’s Abschalten der AKWs und das Vorantreiben der erneuerbaren Energien. Aber bitte nicht, wenns uns was kostet – oder wie?
Welche Ziele könnten denn tatsächlich zu mehr Gemeinsinn motivieren? Was meint Ihr?
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90 Kommentare zu „Brauchen wir gemeinsame Ziele?“.