In Fortsetzung der mittlerweile sehr lang geratenen Diskussion zum letzten Beitrag (Brauchen wir gemeinsame Ziele?) schreib‘ ich lieber in Gestalt eines neuen Artikels weiter.
Mein Verständnis von Gemeinsinn hatte ich als eine Einstellung beschrieben, die allen nützt, aber auch dem jeweiligen Individuum, z,B. MIR.
Schließlich haben Menschen viele Interessen gemeinsam, doch haben wir deren Erledigung in hohem Maße an Institutionen ausgelagert bzw. arbeitsteilig organisiert. Man spürt dann die Notwendigkeit des Gemeinsinns nicht mehr so – bis es da wieder irgendwie knirscht. Und es engagieren sich ja nicht wenige freiwillig auf vielen sozialen und kulturellen Feldern.
Wir wollen Frieden, damit wir in Ruhe unseren eigenen Zielen und Amüsements nachgehen können. Auch eine saubere Luft und angenehme Umwelt (Artenvielfalt!), die Versorgung der Kinder, Alten und Kranken, die allgemeine Bildung und kulturelle Aktivitäten – es ist doch leicht einzusehen, dass dies alles im Prinzip gemeinsame Interessen sind. Auch dass mir einer beispringt, wenn mich jemand angreift, gehört dazu – und niemand sitzt gern auf zerschnittenen Sitzen im Abteil.
Kurz gesagt: Gemeinsinn ist doch nicht völlig abgehoben von eigenen Interessen, so als eine Art frei schwebender Altruismus. Oder doch?
Susanne hatte dem widersprochen, denn es sei falsch, von einem anderen Menschen zu erwarten, er oder sie könne wissen, was ich brauche und mir wünsche.
Also mich interessiert mehr, WIESO Claudia an einen Gemeinsinn und die Enfaltung dessen in unserer Gesellschaft glaubt anstatt über die Möglichkeit und Erfolg oder Mißerfolg eines solchen zu befinden.
Ich bewundere im Grunde den Optimismus von Dir, @Claudia, würde aber gerne mehr über die Wurzel dieser Haltung erfahren.
Genauso interessiert mich im Grunde der Hintergrund der Äusserungen von Susanne mindestens genauso stark wie deren Inhalt. So passiert es mir meist, wenn ich Leute näher kennenlerne.
Also: im Moment verstehe ich weder Susannes Einwand noch die Frage von Gerhard. Denn ich hatte für mein Empfinden ja schon recht klar geschrieben, was ich mit “Gemeinsinn” meine – und damit auch gleichzeitig erläutert, warum ich den “im Prinzip” für etwas ganz Normales halte. Ebenso, warum er in unserer Zeit oft fehlt bzw. als schwindend begriffen wird.
Für mich ist das keine Sache des Glaubens, sondern ergibt sich aus einfacher Vernunft, bzw. rationaler Betrachtung.
Susanne meint, niemand könne wissen, was ICH will bzw. dieses Begehren teilen – dabei habe ich nicht von spezifischen persönlichen Wünschen gesprochen, sondern von allgemein menschlich-gesellschaftlichen Bedürfnissen sozialer Art. Es mag einzelne geben, denen z.B. der soziale Frieden egal ist, das aber ist ein kleine Minderheit. Jeder will doch aus dem Haus treten können, ohne gleich überfallen zu werden! Um das zu wissen, brauch ich keinen Optimismus.
Sollte beim Nachbarn (mit kleinen Kindern) der Strom ausfallen, reiche ich ein Kabel rüber. Trifft es das ganze Haus und die HV tut nichts, würde es eine Hausversammlung geben und man würde besprechen, was zu tun ist. Verwahrlost der Platz (Wiese, Kinderspiel, Grün etc.) vor meinem Haus, bildet sich eine Initiative aus Anwohnern, die selber aktiv wird (ist hier schon mal geschehen).
Oft ist man selbst von nichts derartigem konkret betroffen. Na klar (siehe oben), wir haben ja nahezu alles institutionalisiert und an den Staat bzw. Unternehmen delegiert. Dann verlangt es ein gewisses Abstraktionsvermögen, z.B. Gemeinsinn durch Spenden, Proteste, Politik-machen, Freiwilligen-Arbeit zu zeigen – also über die vielleicht gerade ganz gute persönliche Situation hinaus zu sehen. Doch auch das schaffen recht viele Menschen immer wieder – indem sie einen persönlichen Bezug herstellen zum jeweiligen Thema. Z.B. wird jemand, der sich um Jugendliche kümmert, daran denken, dass es auch für die heute Erwachsenen besser ist, wenn diese in ein normales Leben statt einer Hartz4-Karriere finden etc. usw.
Ich selbst habe an vielen Stellen erfahren, dass es sehr wohl nützt, wenn man sich zusammen tut und gegen Missstände aktiv wird. In den 80gern war ich Teil einer Bewegung gegen Sanierungschaos, Leerstand, unbezahlbare Luxusmodernisierungen – und das war erfolgreich. Es gab Zoff, ein Senat trat zurück, Bauskandale wurden aufgedeckt – und es gabe dann eine Sanierung, die nichts kostete, es sei denn, die Mieter wählten einzelne Ad-Ons (und selbst die waren nicht teuer).
Ebenso hab ich an Verkehrsberuhigung, einem Jugendzentrum, Erhalt von Stadtgrün etc. mitgewirkt. Das heute so beliebte Chamissokiez in Berlin ist, was es ist, aufgrund der massiven Bürgerproteste und Beteiligung in den 80gern. Ansonsten hätte man da nämlich jede Menge Abriss gehabt, Entkernung, Mietervertreibung – und freie Fahrt für vielerlei Durchganzsverkehr.
Soweit für jetzt.
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6 Kommentare zu „Was ist Gemeinsinn? Brauchen wir mehr davon?“.