Claudia am 23. August 2011 —

Krisenstatus: Wer zahlt, was schon verbraucht ist?

Kurzbeschreibungen der laufenden Großkrise sind für mich fast schon Sammelobjekte. In wenigen Sätzen sagen, was seit Jahren abgeht und sich immer weiter verschlimmert, gelingt immer besser, je länger das Elend andauert. Sogar die FAZ, die ja nicht unwesentlich die neoliberale Politik seit Maggie Thatcher „begleitet“ hat, sieht jetzt klar und richtig schwarz. Hier in Kürze die drei Phasen der Krise, zitiert aus „Die nächste Stufe der Finanzkrise“:

  • „In der ersten gerieten Banken wegen hoher Abschreibungen auf verbriefte Hypothekenanleihen in Schieflage und wurden, bis auf Lehman Brothers, durch Vergemeinschaftung ihrer Verluste gerettet.
  • In der zweiten Phase wurden europäische Peripherieländer in einen Abwärtssog gezogen, weil das Niveau ihrer Verschuldung nicht mehr erwarten ließ, dass sie ihre Kredite würden zurückzahlen können. Eine Stabilisierung wurde durch Rettungspakete versucht, die von den jeweiligen Rentnern und anderen staatsabhängigen Gruppen sowie von den ökonomisch stärkeren Euroländern im Norden finanziert wurden und werden.
  • In der dritten Phase haben sich nun die Zweifel an der staatlichen Solvenz auch auf Kernländer der Weltwirtschaft ausgeweitet, besonders die Vereinigten Staaten, aber auch Italien, zuletzt Frankreich. Damit geraten auch diese Länder in den Strudel“.

Das Vertrauen in die Rückzahlungsfähigkeit, das den Anlegern mittels Rettungspaketen und Schirmen, Bürgschaften und Notenbankeingriffen (Anleihen kaufen = Geld drucken) vermittelt werden soll, verschleißt jeweils umgemein schnell. Wer bürgt und rettet, übernimmt ja eine Schuldenlast, die wiederum das Vertrauen an den Rettern untergräbt – ein Teufelskreis, aus dem es keinen Ausweg zu geben scheint. Mittlerweile sind die Vertrauensreserven aufgebraucht, schreiben die Soziologen Jens Beckert und Wolfgang Streeck (faz.net) – und wer wollte da widersprechen?

Was nun als „nächste Stufe“ firmiert, ist eine „soziale Krise ungekannten Ausmaßes“. Beckert und Streek referieren die wenigen Möglichkeiten, die der Politik bleiben (massives Sparen, Steuererhöhungen, Schuldenschnitte, Inflation) die aber samt und sonders die Lage verschlimmern bzw. als nicht durchsetzbar erscheinen (wie etwa Steuererhöhungn in den USA).

Die düstere Sicht der Dinge kulminiert im Fazit:

„Es zeigt sich, dass die Lösung der Schuldenkrise wesentlich eine Verteilungsfrage ist. Wer zahlt für Ausgaben, die längst getätigt wurden, ohne je abgegolten worden zu sein, in einer Situation, in der die Gläubiger das Vertrauen verloren haben und ihr Geld zurückverlangen? Was da aussteht, ist die Wirtschaftsleistung eines ganzen Jahres, in einigen Ländern sogar weit mehr. Nachdem die Zuwächse des Sozialprodukts während der vergangenen dreißig Jahre vornehmlich den oberen Bevölkerungsschichten zugutekamen, stellt sich in der Schuldenkrise die Frage, ob und mit welchen Mitteln die Wohlhabenden versuchen werden, ihre Position auch um den Preis einer massiven sozialen und politischen Krise zu verteidigen. Wir können nicht ausschließen, dass sie die Schrift an der Wand auch weiterhin nicht verstehen wollen.“

Ich staune! Immerhin war die FAZ doch lange eine jener Wände, deren Schriften die Besitzenden dieser Welt ermuntert hat, unter der Fahne der (Neo-)Freiheit ihre Interessen als weit wichtiger anzusehen als jegliches Gemeinwohl. Aber egal, auch späte Einsicht ist Einsicht – auch Schirrmacher hat da ja kürzlich ordentlich vorgelegt.

Alles nur ein Geldproblem?

Nun werden all jene, die immer schon genau wissen, wo der Hase im Pfeffer liegt, wieder anmerken, dass die Crux im Geldsystem liegt, das wegen der Geldschöpfung mittels Schulden (FiatMoney), mangelnder Wertdeckung (im Unterschied zum früheren Goldstandard) und dem Zins&Zinseszins-System sowieso ein Betrug sei und zwangsläufig großflächig scheitern müsse. Ja, das mag stimmen, aber wem hilft das jetzt weiter? Ergeben sich daraus auch sinnvolle und umsetzbare Ratschläge für die Politik? So richtig ich viele dieser Analysen finde, so trüb und versponnen, egozentrisch und gesellschaftsfeindlich erscheinen die bloß ans (meist auch: reichere) Indivíduum gerichteten Tipps wie „Gold kaufen“ oder „Vorräte anlegen“!

Eine Krankheit kann nicht dadurch geheilt werden, dass man die Geisteshaltung, aus der sie erwächst, noch verstärkt! Und kranken unsere immer noch mächtigen westlichen Gesellschaften nicht vor allem an Egoismus und Ignoranz vieler „Bessergestellter“, die nicht mehr sehen, dass sie mit all den Marginalisierten letztlich doch im selben Boot sitzen?

Im übrigen sitzen wir ja auch alle auf EINEM Planeten. Und auf dem sind eben mittlerweile einige kürzlich-noch Entwicklungsländer angetreten, ihren Teil vom Kuchen zu fordern und auch einzutreiben. Was unsere Geld-Eliten dazu zwingt, zu teilen – und das mögen sie nicht. Zumindest wollen sie die Verluste dann an anderer Stelle ausgeglichen sehen: also rauf mit dem Sharholder-Anteil, hoch die Rendite, runter die Steuern und Sozialabgaben, weg mit den Regeln!

Böse? Ach je – da bin ich altersmilde.. im Grund‘ ist es diesselbe Haltung, die viele Mittelständler motiviert, zuerst die Putzfrau zu entlassen oder schlechter zu bezahlen, wenn die Preise steigen, das Gehalt aber nicht. Genau so streichen Reiche und Mächtige eben die „Etats“ der Bevölkerungen zusammen, die über Politik der Staaten als Anteil am Kuchen verteilt werden dürfen, wenn der eigene Anteil schrumpft.

Kein Hass also. Wohl aber die Einsicht, dass wir wieder „Klassenkampf“ haben – weltweit.

***

Lesetipp:

Die Grundlage zur Lösung der Krise: Das Prinzip der Teilhabe

Diesem Blog per E-Mail folgen…

Diskussion

Kommentare abonnieren (RSS)
4 Kommentare zu „Krisenstatus: Wer zahlt, was schon verbraucht ist?“.

  1. Ich finde ja, dass es durchaus sinnvolle Alternativen zum jetzigen System gibt, wie z. B. das bedingungslose Grundeinkommen:
    http://www.kultkino.ch/kultkino/besonderes/grundeinkommen
    Aber um dieses Modell realisierbar zu machen, muss in der Tat zunächst ein Umdenken stattfinden, die Geisteshaltung verändert werden. Das wird wohl erst dann der Fall sein, wenn auch die Geldelite eines Tages keine mehr ist, weil das Geld nichts mehr wert ist. Der Mensch fängt ja oft immer erst dann an zu handeln und an sich selbst etwas zu verändern, wenn sein eigener Leidensdruck so groß geworden ist, dass nur noch ein Insichgehen hilft, um veraltete Muster loszulassen und Neues zuzulassen.

  2. Abgesehen von einer Änderung der Geisteshaltung bedürfte das BDG wohl einer Menge komplizierter Schritte vom Status Quo bis dahin – mit soviel Wagnis und möglichem Kontrollverlust, dass es als nicht machbar erscheint. Ist ja auch heute begrenzt auf DE schlecht vorstellbar – aber dafür wär ich auch! :-)

  3. Hallo Claudia,

    in der Welt verändert sich alles nur nach dem herrschenden Poten-
    tialgefälle, genau wie in der Physik. D. h. nur wenn der Druck auf die Menschen hoch genug ist, werden sich die Dinge ( nicht zum Bes-
    seren, sonder zum „Fitteren“ ) ändern. Ich glaube, es bleibt uns nur abwarten und Tee trinken – die tausende von Appellen der „Intelligenzia“ habe doch nichts bewirkt – von Goethe über Schiller bis Loriot.

    Gruß Hanskarl

  4. Man hat zuweilen das Gefühl, dass alle möglichen Szenarien schon durchgespielt wurden und man am Ende aller Möglichkeiten angelangt ist; das geht schon so weit, dass sich erzkonservative Medienmenschen die Frage stellen, ob nicht doch das linke Ideal das „richtige“ ist?

    Leider führt der mediale Druck, genauso wie der Ruf nach Handlung, bekannterweise auch zu Kurzschlussreaktionen. Stimmt, man müsste die Geisteshaltung zumindest im Ansatz noch mal durchgehen, bevor man neue Prinzipien einführt, aber wer garantiert, dass diese Prinzipien gerecht sind und nicht auch ihre eigenen Probleme mit sich tragen? Ich denke, wir befinden uns in einer Zeit, wo die Entwicklung unserer Gesellschaft einfach spürbar ist. Die Umbrüche und Paradigmenwechsel bleiben nicht aus – was so viel bedeutet, dass wir immer wieder auf die Frage zurück kommen, was gerade falsch läuft (das ist eine gute Frage!) und wie wir es besser machen können – am besten sogar für alle (das ist auch eine gute Frage). So lange wir als Gesellschaft noch so viel machen, sind wir auf dem richtigen Weg.

    Alles andere braucht eben Zeit.