Quer durch alle Medien wurde in den letzten Wochen schwer über ein neues Feature auf Facebook gelästert: die neue Timeline, die in Deutschland „Chronik“ heißt.
„Alle Fotos, alle Videos, alle gelesenen Bücher, jedes selbstgekochte oder im Restaurant eingenommene Essen, überhaupt alle Lebensereignisse in einer Art Endlos-Steckbrief vereint, unten die Geburt, oben die Gegenwart – das ist Facebooks neue Vision von der eigenen Rolle im Leben seiner Nutzer.“
(SPON, 22.9.)
Noch sieht nicht jeder in DE die neue Zusammenfassung aller eingestellten Daten, zusammengefasst in einer nun bequem bis zum Tag der „Facebook-Geburt“ zurückverfolgbaren Inhalte. Derzeit muss man sie erst umständlich frei schalten, doch soll das Feature schon bald für alle zur Verfügung stehen.
Den Datenschutz-Aspekt, an dem sich ein großer Teil der Kritik stößt, lasse ich jetzt mal weg, denn ich bin der Meinung, dass jeder bei FB ja doch selbst bestimmt, was in dieser „Lebenschronik“ zu sehen sein wird. Gerne sieht man hierzulande zumindest verbal allerlei Furchtbares kommen, wenn Menschen sich umfangreich im Web darstellen. Wahlweise wird das Selbstdarstellungs- und Mitteilungsbedürfnis kritisiert, das vor allem (aber nicht nur!) junge Menschen dazu bewegt, auf Facebook sehr viel von dem zu „teilen“, was sie erleben, fühlen und denken. Umsonst, die Massen stimmen mit hoher Wahrscheinlichkeit per Mausklick und Wischfinger ab: gefällt mir!
Dein Tod ist erst der Anfang… ?
Da es seit einiger Zeit auch möglich ist, Profile über den Tod hinaus zu erhalten, könnte es üblich werden, auf Facebook riesige Dokumentationen des eigenen Lebens zu hinterlassen. Virtuelle Friedhöfe, schon seit den 90gern hier und da zum Zweck des Gedenkens angeboten, wurden bisher kein Renner. Eine Art Nachlass-Community („Eternity Vision“) nimmt aber bereits den Gedanken der selber kreierten Hinterlassenschaft auf. FB macht das jetzt überflüssig (wenns der User will). Die große Mehrheit wird – ganz gegen den Tenor der Kritik – die Timeline begeistert mit Inhalten füllen. Sich selbst möglichst umfangreich ins Web schreiben, die eigene Historie „kuratieren“, wie Marc Zuckerberg sagt – glaubt die Kritik wirklich, dieser Versuchung würde massenhaft widerstanden?
Ich glaube das nicht, denke sogar, Google+ wird nachziehen müssen. Denn auch ohne bewusstes Kalkül auf ein posthumes virtuelles Leben empfand ich das Schreiben und Teilen in sozialen Netzwerken länger schon als „in den Sand schreiben“: Kaum gepostet, ist nach wenigen Tagen alles in der Versenkung verschwunden. Das mit dem Verstreichen der Zeit immer unmöglicher werdende Zurückblättern als einzige Möglichkeit, Vergangenes zu finden, erscheint fast als eine Art Enteignung von den selbst eingestellten Inhalten. Nicht umsonst gibt es in meinen Blogs ein Gesamtinhaltsverzeichnis – hier z.B. zurück bis 1999. Nicht weil ich glaube, dass es jemanden speziell interessiert, was ich vor zehn Jahren so verbloggt habe, sondern weil ich es selber wieder finden können will. Vermutlich auch – nur nicht ganz so bewusst – weil ich mich so meiner Existenz versichere: seht her, ich bin schon „ewig“ da… und es ist damit zu rechnen, dass ich auch noch ein wenig bleibe. :-)
Gestern Nacht sah ich den Film „The final Cut – dein Tod ist erst der Anfang“.
Der handelt von einer Gesellschaft, in der 25% der Bevölkerung ein Implantat im Gehirn tragen, das vorgeburtlich eingepflanzt wird und das ganze Leben aufzeichnet. Mit 21 erfahren die Glücklichen, deren Eltern sich das leisten konnten, dass sie Träger sind und nun damit rechnen können, dass ihr Leben niemals vergessen, sondern zumindest potenziell immer zur Betrachtung zur Verfügung stehen wird. Für die Trauerfeier schneidet ein „Cutter“ das Wichtigste aus den Chip-Inhalten zusammen, bzw. „schönt“ das Leben entsprechend den Vorstellungen der Hinterbliebenen, die dann gemeinsam den Film des Lebens anchauen.
Weil die Implantat-Träger wissen, dass post mortem ihr Leben betrachtet und sicher auch bewertet werden wird, ergeben sich psychosoziale Folgen, die nicht allen gefallen. Eine Widerstandsbewegung fordert die Abschaffung der Implantate und das Leben im Hier und Jetzt – ohne Gedanken daran, wie das gerade Erlebte wohl später wirken mag. Auch Datenschutz und das Recht am eigenen Bild wird gefordert, denn niemand kann ja verhindern, in den Erinnerungen Anderer zu erscheinen – genau wie es heute schon kaum verhindert werden kann, auf Fotos in sozialen Netzwerken „getaggt“ zu werden.
Nicht nur Zuckerbergs Traum scheint es zu sein, möglichst nahe an einen solchen „Film des Lebens“ heran zu kommen – natürlich persönlich gecuttet bzw. „kuratiert“. Ein Stück Unsterblichkeit im Web, das jetzt passenderweise in allerlei Datenspeicher-Bereichen „Wolke“ heißt. Sind wir tot, sitzen wir dann virtuell im Himmel der Matrix – always online, so lange das Netz besteht.
Diesem Blog per E-Mail folgen…
Diskussion
Kommentare abonnieren (RSS)
12 Kommentare zu „Das Facebook des Lebens und die Sehnsucht nach Unsterblichkeit“.